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Feinstaub und Stickstoffdioxide: Die Silbersteinstraße in Neukölln zählt den meistbelasteten Straßen Berlin.

© dpa/Paul Zinken

Feinstaubbelastung durch Straßenverkehr: Schlechte Luft: Berlin droht Millionenstrafe der EU

Die Werte für Staub und Stickstoffdioxide in der Luft liegen an verkehrsreichen Straßen in Berlin deutlich über den EU-Grenzwerten. Anwohner in Weißensee und Tempelhof erwägen Klagen.

Strafzahlungen in Millionenhöhe an die Europäische Union drohen dem Senat – und das ausgerechnet wegen der Berliner Luft-Luft-Luft. Denn anders als in dem Operetten-Schlager von Paul Lincke von 1904 ist die Luft in der Stadt nicht nur gut, sondern prall gefüllt mit Staub und Stickstoffdioxiden. Ersterer reizt die Schleimhäute, dringt in Lunge und Blutkreislauf ein, wo er Krebs erzeugen kann. Letztere verschlimmern vor allem die Leiden von Asthmatikern.

Dass das Land das Problem mit der schlechten Luft nicht in den Griff bekommt, räumt sogar der Senat ein. Jedenfalls heißt es auf der Website der Umweltverwaltung zur Luftqualität in der Stadt: „Die Werte an verkehrsreichen Straßen liegen im Jahresmittel immer noch deutlich über dem EU-Jahresgrenzen“. Die Verbesserung der Abgastechnik von Fahrzeugen habe nicht zu einem gleichartigen Rückgang der Stickstoffdioxidbelastung in der Außenluft geführt. Die ernüchternde Bilanz trotz Umwelt- und Tempo-30-Zone: „Ein weiterer Rückgang um ein Viertel ist notwendig, um die EU-Grenzwerte einhalten zu können.“

Anwohner in Weißensee wollen klagen

Doch während in Potsdam die seit Januar gültigen EU-Grenzwerte sowie die drohenden Strafzahlungen die Verwaltung alarmiert haben und eine erbitterte Debatte über die Sperrung von Fahrbahnen auf der Pendler-Einflugsschneise (Zeppelinstraße) tobt, wartet die von der Wohnungsnot ohnehin arg strapazierte Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, bis sich Staub über das Thema legt.

Allerdings könnten die Beamten schneller als erhofft von ihrer lässlichen Haltung zum Gesundheitsschutz der Bürger eingeholt werden: Anwohner an der viel befahrenen Berliner Allee im Stadtteil Weißensee begehren auf gegen den giftigen Staub in den Abgasen und bereiten eine Klage vor. Ähnliches droht am ebenfalls stark befahrenen Tempelhofer Damm.

Mit der „vielerorts verheerenden Umwelt- und Gesundheitsbelastung“ steht Berlin nicht allein da, sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Peter Meiwald, aber die Hauptstadt hat sich auch nicht aus den Top 15 der deutschlandweit am stärksten verkehrsverrußten Städte drängen lassen. Dies bekam Meiwald von der Bundesregierung schriftlich auf die Fragen des Abgeordneten zur Umweltbelastung in Deutschland.

Diesel-Fahrverbot oder nur Tempo-30-Zonen?

Schuld an der schlechten Luft sind zum allergrößten Teil Dieselfahrzeuge – und das beste Gegenmittel wären Fahrverbote für dieselben, jedenfalls wenn sie keine Partikelfilter der allerneusten Generation haben. In der viel befahrenen Neuköllner Silbersteinstraße, wo wegen des vielen Güterverkehrs und der parallel verlaufenden Autobahn katastrophale Luftverhältnisse herrschen, besteht bereits ein solches Verbot. Doch kaum ein Fahrer hält sich daran.

„Ohne Überprüfung hilft es wenig“, sagt Martin Schlegel vom Umweltverband BUND. Und weil Fahrverbote außerdem auf massive Gegenwehr von Wirtschaftsbetrieben stoßen, führen wohl eher milde Varianten zum Ziel: In der Schildhornstraße in Steglitz dürfen Autos nur 30 Kilometer pro Stunde fahren und gut sichtbare Blitzgeräte schrecken Fahrzeugführer vor Übertretungen ab. „Dort sind die Stickstoffdioxidwerte immerhin deutlich gefallen“, sagt Schlegel.

Fast schon nachsichtig ist der Umweltschützer mit dem Senat: „Er hat frühzeitig die Umweltzone eingeführt, einen Luftreinhaltungsplan aufgestellt und sogar eine Fortschreibung auf Grundlage der ersten Ergebnisse verfasst“, sagt Schlegel. Das Lob könnte aber auch pädagogischer Natur sein, denn der BUND weiß, was eigentlich getan werden müsste: die landeseigene Fahrzeugflotte umrüsten.

Am BVG-Busbahnhof sind Stickoxidwerte am höchsten

Vor allem die dieselbetriebenen BVG-Busse pusten mächtig Dreck in die Berliner Luft. Deshalb werden etwa am Hardenbergplatz vor dem Bahnhof Zoo die stadtweit höchsten Stickoxidwerte gemessen: Dort liegt der Busbahnhof. Neue Busse müssten her, mit modernen Partikelfiltern.

Schildhornstraße, Mariendorfer Damm, Silbersteinstraße, Frankfurter Allee und Karl-Marx-Straße sind außerdem tiefrot gefärbt in der Tabelle der am stärksten von Stickstoffdioxiden belasteten Verkehrstrassen – überall dort werden die Grenzwerte der EU massiv überschritten. Weniger Verkehr, mehr Straßenbahnen und eine neue blaue Plakette in der Umweltzone, die nur noch Dieselfahrzeugen mit der neuesten Filtertechnik Durchfahrt ins Zentrum erlauben würde, würde es den Berlinern helfen, endlich wieder frei durchzuatmen.

Dass der Senat bisher das Problem mit dem Abgas-Schmutz lieber unter den Teppich kehrt, könnte auch daran liegen: „Grundsätzlich sind Strafen zwar vorgesehen, aber erst mal müsste die EU überhaupt ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten, und das hat es beim Stickstoffdioxid bisher noch nicht gegeben“, sagt der Rechtsexperte in Umweltfragen Remo Klinger.

Wie heißt es so schön: Wo kein Kläger, da kein Richter – und deshalb müssen die Berliner wohl vorerst weiter kräftig Staub fressen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung konnte bis zum Wochenende keine Antworten auf die Fragen zu den geplanten Maßnahmen gegen die schlechte Luft an Berlins Verkehrsadern geben.

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