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Eiszeit. Eine Mutter wärmt in einem Zelt vor dem Lageso die Hände ihres Kindes. Trotz der Kälte stehen hier täglich hunderte Menschen für Unterstützungsleistungen an.

© dpa

Flüchtlinge in Berlin: Flüchtlingshelferin erhält Hausverbot im Lageso

Weil eine Helferin einem frierenden Kind eine Hose anziehen wollte, musste sie das Gelände verlassen. Am Lageso, wo täglich wieder Hunderte Flüchtlinge vergeblich warten, liegen die Nerven aller blank.

Von Sandra Dassler

Jorinde Leonhardt war die Empörung anzumerken, als sie am Freitag bei Facebook ihre Erfahrung schilderte. „Ich habe soeben Hausverbot im Landesamt für Gesundheit und Soziales bekommen“, schrieb die junge Frau. Und das nur, weil sie einem kleinen frierenden Jungen eine warme Ski-Hose anziehen wollte. Mit ihr hätten noch andere Helfer ein offizielles Hausverbot bekommen. „Die Begründung: Ich hätte mit dem kleinen Jungen auf die Straße gehen müssen. Im Vivantes-Zelt ist es verboten, Kindern Kleidung anzuziehen. Der Kleine sollte also raus in die Kälte, um sich dort umzuziehen – mitten auf der Straße.“

Sie habe am Lageso bereits viele Schikanen erlebt, schrieb Jorinde Leonhardt. „Und so geht es jedem Helfer. Alles ertragen wir und machen dennoch weiter. Denn es geht hier schließlich um Menschen, die unsere Hilfe brauchen! Der Gipfel der Abscheulichkeit ist für mich nun wirklich erreicht!“

An dem Rauswurf beteiligt gewesen waren ihren Angaben zufolge mehrere Sicherheitsleute der Firma Gegenbauer, eine Mitarbeiterin von Vivantes und mehrere Polizisten. Jedem habe sie ruhig erklärt, dass es um eine Hose für ein frierendes Kind gehe, aber niemand habe sie unterstützt. Im Gegenteil: Ein Mitarbeiter der Johanniter habe zuvor Frauen mit „anzüglichen Bemerkungen“ traktiert, ein Sicherheitsmann von Gegenbauer sogar gefragt: „Wem wollen Sie denn helfen? Den Ratten?“

Regelung bezüglich der Kleidungsstücke

Den Satz kann Sascha Langenbach von der für das Lageso zuständigen Sozialverwaltung erklären: „Wir haben das, nachdem wir von den Vorwürfen Kenntnis erhielten, nachgeprüft“, sagte er dem Tagesspiegel. „Der Sicherheitsmann hat keineswegs die Flüchtlinge als Ratten bezeichnet, wie es der Facebook-Eintrag suggeriert. Er hat die tatsächlichen Ratten gemeint, von denen es auf dem Gelände nicht wenige gibt.“ Das lasse sich kaum verhindern, weil durch die vielen Menschen, die sich dort aufhielte, auch sehr viele Abfälle weggeworfen würden.

Ansonsten habe die Sozialverwaltung die auf Facebook erhobenen Vorwürfe sehr ernst genommen und am Freitag mit allen Beteiligten, auch mit den Helfern, gesprochen, sagte Langenbach: „Uns ist an einem guten Verhältnis zu den Helfern gelegen. Aber wir haben eine Regelung, wonach im Vivantes-Zelt, wo rund um die Uhr Essen ausgegeben wird, keine anderen Nahrungsmittel und keine Kleidungsstücke durch Dritte verteilt werden dürfen. Wenn das dennoch passiert, werden die Betroffenen mehrmals darauf angesprochen. Wenn das nicht hilft, müssen wir handeln.“

Ähnlich argumentiert Vivantes-Sprecherin Kristina Tschenett. „Es ist nicht untersagt, im Vivantes-Zelt Kleidung anzulegen“, sagt sie: „Zum Schutz vor Infektionen ist jedoch das Verteilen von Kleidung und Essen im Essenszelt durch Dritte aus hygienischen Gründen untersagt, dafür bitten wir um Verständnis. Dieses Verbot wurde vom Sicherheitsdienst durchgesetzt, als am Donnerstag gegen 21 Uhr mehrere Personen Kleidung an Flüchtlinge verteilen wollten.“

Nerven liegen blank

Jorinde Leonhardt widerspricht dieser Darstellung: „Es war nicht um 21 Uhr, sondern um 23.30 Uhr“, sagt sie: „Und es wollte auch niemand Kleidung verteilen. Ich wollte nur dem frierenden Jungen eine Hose anziehen.“

Für die junge Frau, die seit Monaten vor allem nachts den Flüchtlingen am Lageso hilft, haben die Schikanen in den vergangenen Wochen massiv zugenommen. „Die einzige Möglichkeit, uns zu wehren, ist die Öffentlichkeit“, schrieb sie: „Wir brauchen jetzt Unterstützung! Ich fordere alle verantwortlichen Stellen auf, dass hier etwas geschieht.“

Der Vorfall zeigt auch, dass die Nerven aller Beteiligten blank liegen. Helfer berichten, dass derzeit wieder mehr als tausend Menschen täglich am Lageso anstehen, aber nur etwa 250 Anträge am Tag bearbeitet werden könnten. Viele Flüchtlinge erhielten seit Wochen kein Geld, würden inzwischen hungern oder müssten, um Essen am Lageso zu erhalten, dorthin schwarzfahren.

Die Polizei muss in der Turmstraße fast täglich eingreifen, erst am Donnerstag wurden ein Sicherheitsmann und zwei Beamte angegriffen. „Die Flüchtlinge und viele Unterstützer sind am Ende ihrer Kräfte“, sagt eine Helferin. „Die meisten Sicherheitsleute sind anständig, aber sie haben nun mal keine Ausbildung als Sozialarbeiter. Und es gibt keine Anzeichen, dass sich die Situation am Lageso irgendwie verbessern würde.“

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