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Unsere Heimat. Das MyFest in Kreuzberg.

© imago/Müller-Stauffenberg

Gentrifizierung in Berlin: Auch die Hipstermeile ist Heimat

Der Kampf um den Späti - oder gegen ein Luxushotel. Veränderungen tun weh. Doch was wir erhalten wollen, ist selbst oft Resultat von Verdrängung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Bernhard Schulz

Dem Kiez sterben die Läden weg. Nein, so dramatisch ist es natürlich nicht. Und ein Späti, der einem zweifellos weniger dringlichen, aber doch auch nachgefragten Geschäftszweck wie, sagen wir, der Versorgung mit angesagter Fashion weichen muss, lässt in der Oranienstraße noch nicht abends die Bürgersteige hochklappen. Aber als Signal ist der Kampf um die Offenhaltung einer beliebten Spätversorgungsstelle durchaus ernst zu nehmen.

Die Mischung verändert sich. Zahlungskräftige Gewerbemieter rücken an die Stelle eingeführter Kiez-Läden, wie eben auch eine andere, konsumfreudige Klientel die Hauptstraßen der Partyzone bevölkert, und beileibe nicht nur die von vielen ungeliebten Touristen. Denen wird gerade ein Luxushotel am Oranienplatz hingestellt, für das kribbelige Mittendrin-und-doch-gut-geschützt-Feeling, das Wohlstandsreisende gerne spüren möchten, ohne deswegen auf den gewohnten Komfort verzichten zu müssen.

Im Grunde geht es darum, dass Kreuzberg Kreuzberg bleibt. Zumindest das Klischee von Kreuzberg, das heutige Kreuzberg-Verteidiger von ihrem Bezirk hochhalten. Das ist kein spezifisches Berliner Problem. In Hamburg ist es St. Georg, in Frankfurt Sachsenhausen, in Köln das Belgische Viertel: Überall steht die kuschelige Mischung aus Partyvolk, (vermeintlich) Alteingesessenen, Kleingewerbe und Start-ups, Locals und Migranten hoch im Kurs.

Dabei ist der jetzige, ach so verteidigenswerte Zustand selbst das Ergebnis vielfacher Umwälzungen. Ohne die Brachial-Umsiedlung der Kreuzberger Arbeiterschaft nach Britz-Buckow-Rudow in den sechziger und siebziger Jahren wären die malerisch verlotterten Mietskasernen nicht für Studenten frei geworden, die in die abgeranzte Naunynstraße zogen (der sogar ein literarisches Denkmal gesetzt wurde), hätten sich daraus nicht propere Selbstbauwohnhäuser der mittlerweile Besserverdienenden entwickelt.

Was wird aus der Kreuzberger Mischung?

Es hätte 1987 auch keine Internationale Bauausstellung-Altbau gegeben, die genau diese Kreuzberger Mischung aus Wohnen, Arbeit und Gewerbe erhalten sollte, nicht zuletzt, weil sie die sehr wirkmächtige Unterstützung der best-vernetzten Szene genoss.

Wir tun uns schwer mit Veränderungen im gewohnten Lebensraum. Das ist weder bemitleidenswert noch verwerflich. „Heimat“ kennt alle Facetten der Wirklichkeit, von der Dorfaue bis zur Hipstermeile, und keine ist besser als die andere. Dass die düsteren Mietskasernen des einstigen Kreuzberg beseitigt oder grundsaniert wurden, steht als Errungenschaft außer Frage, und doch waren auch sie einmal Heimat, einschließlich Kohleofen und Außentoilette.

Das Gefühl der Entwurzelung, das in der Gesellschaft virulent ist und politisch bösartige Auswüchse zeitigt, erfasst eben nicht nur Ewiggestrige. Es ist mitten unter uns, weil es ein menschliches Grundbedürfnis anfrisst. Nennen wir es Heimat oder einfach nur Vertrautheit, Zuhausesein, Sich-Auskennen. Alle mahnen: Veränderung ja, aber nicht zu schnell! Nur was das konkret heißt, weiß niemand zu sagen. Gegen gesellschaftliche Strömungen lassen sich keine Staumauern errichten.

Vor Jahrzehnten schon wurde das Aussterben des Tante-Emma-Ladens beklagt. Beklagt von den vielen, die dennoch lieber in die großen Supermärkte strömten und mittlerweile womöglich aufs Internet umgestiegen sind. Drogerieketten kamen und verschwanden, und auch Discounter sind nicht für die Ewigkeit gebaut. Wer seinen Späti liebt, darf sich den Six-Pack nicht an die Haustür liefern lassen. Wer Cafés mag, darf keinen Kaffee in Pappbechern forttragen. Wer Schreiner schätzt, seine Möbel nicht nach weltweit lesbaren Piktogrammen zusammenschrauben. Und und und. Es ist verdammt schwer, das Alte, Vertraute, Geschätzte zu bewahren. Es gelingt, wenn überhaupt, auch nur in Maßen. Aber es liegt immer auch an uns selbst.

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