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Stolperfalle. Wenn Verletzte klagen, kann das für die Bezirke teuer werden.

© picture-alliance/ dpa

Gestürzte Rentnerin erstritt Schmerzensgeld: Bezirke fürchten Prozesswelle

Die erfolgreiche Klage einer wegen Gehwegschäden gestürzten Seniorin wird für Pankow teuer – und beunruhigt auch andere Bezirksämter. Sie fürchten eine Welle ähnlicher Prozesse auf sich zukommen, nachdem eine Rentnerin rund 3500 Euro Schmerzensgeld und Schadensersatz erstritten hat.

Wie berichtet, hat der Bundesgerichtshof dem Bezirksamt Pankow eine „schuldhafte Amtspflichtverletzung“ attestiert, weil es einen aus DDR- Zeiten stammenden Betonplattenweg auf dem Mittelstreifen der Neumannstraße über Jahre nicht reparieren ließ. Der Weg sei auf ganzer Breite derart marode gewesen und ein Sturz deshalb eine Frage der Zeit. Das Bezirksamt könne sich nicht einfach auf seine leeren Kassen und die gute Sichtbarkeit der Schäden zurückziehen, sondern müsse die Gefahrenstelle entweder in Ordnung bringen oder sperren.

Der Neuköllner Tiefbauamtsleiter Wieland Voskamp sieht „erhebliche Konsequenzen“ des Urteils, weil nach der Definition des BGH nun deutlich mehr Gefahrenstellen existieren und der Aufwand zu ihrer Beseitigung entsprechend steige. Das Tiefbauamt werde bei den regelmäßigen Straßenbegehungen verstärkt darauf achten und bei Bedarf „unverzüglich Abhilfe schaffen“.

Nach Auskunft von Thomas Schuster, der in Mitte den Fachbereich Straßenaufsicht leitet, gibt das Budget nur Flickschusterei her, und angesichts der dünnen Personaldecke wäre auch ein kurzfristiges Sonderprogramm keine Hilfe: Das Bezirksamt könne auf die Schnelle gar nicht viel Geld verplanen. Besser wäre ein auf Dauer erhöhtes und langfristig planbares Budget, sagt er. Seinen Bezirk sieht er durch das Urteil nicht betroffen: „Es gibt in Mitte keinen wegen Schäden unbenutzbaren Weg. Gäbe es einen, würden wir ihn sperren.“

Die Bezirke kontrollieren die Gehwege an Hauptstraßen etwa alle 14 Tage; an Wohnstraßen werden sie alle zwei Monate überprüft. An diesem Mittwoch wollen die Tiefbauamtsleiter aller Bezirke weitere Konsequenzen aus dem BGH-Urteil beraten. Das Urteil gegen Pankow wird zumindest insofern als Sonderfall angesehen, als der betroffene Übergang seit vielen Jahren völlig kaputt war.

Der Charlottenburg-Wilmersdorfer Baustadtrat Marc Schulte (SPD) fürchtet, dass der Schilderwald dichter wird. Denn erfahrungsgemäß konnten die Bezirke bisher fast alle Schadensersatzforderungen von Bürgern abwehren, wenn sie ihre Straßen und Wege regelmäßig kontrolliert und auf Gefahrenstellen hingewiesen hatten. Auch in Pankow waren nach Auskunft von Bürgermeister Matthias Köhne (SPD) bisher mehr als 90 Prozent der Schadensersatzforderungen vergeblich. Etwas mehr als 100 Fälle gebe es pro Jahr, ein Großteil davon von Autofahrern. Auch Köhne sieht das BGH-Urteil als Einzelfall, zumal es sich auf eine Mittelpromenade bezieht, bei deren Querung Fußgänger auch auf den Straßenverkehr achten müssen statt nur auf ihre Füße.

Jost Kärger, Jurist beim Autofahrerclub ADAC in München, erwartet nach dem Urteil weitere spannende juristische Auseinandersetzungen. „Man kann als Geschädigter künftig versuchen, mit diesem Urteil zu argumentieren. Möglicherweise wird die bisher schwierige Durchsetzung von Ansprüchen jetzt etwas einfacher.“ Erfahrungsgemäß hätten seit der Wende vor allem Gerichte in den neuen Bundesländern Klagen abgewiesen und darauf verwiesen, dass die Infrastrukturmängel in der Ex-DDR allgemein bekannt seien. Das scheine sich nun zu ändern.

Der Anwalt Herbert Geisler, der die gestürzte Rentnerin beim BGH vertrat, sieht in dem Urteil ebenfalls eine Einzelentscheidung, die aber zumindest für die örtlichen Verhältnisse in Berlin „dennoch Grundsatzcharakter haben dürfte“: Offensichtlich werde die kommunale Verkehrssicherungspflicht hier besonders lasch gehandhabt. Nun habe die Verwaltung die Quittung für ihre Versäumnisse bekommen. Die fragliche Mittelpromenade ist nach Auskunft des Pankower Bürgermeisters übrigens schon im Jahr 2010 repariert worden. Die Rentnerin war im September 2009 gestürzt.

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