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Papa und Sohn – oder Opa und Enkel? Harald Martenstein muss sich im Alltag oft dafür rechtfertigen, dass er spät noch einmal Nachwuchs bekommen hat.

© Kai-Uwe Heinrich

Harald Martenstein über späte Vaterschaft: „Methusalem beim Elternabend“

Mit über 60 Vater werden – ist das egoistisch? Das findet unser Kolumnist nicht. Hier schreibt er über sein spätes Abenteuer.

Kürzlich traf ich einen alten Freund, er ist ebenfalls vor Kurzem noch einmal Vater geworden. Er hat, wie ich, auch schon erwachsene Kinder, im Gegensatz zu mir sogar mehrere. „Wir sind unser ganzes Leben lang Väter“, sagte er. „Jahrzehntelang. Es gibt kein Nachher. Wenn der Kleine erwachsen ist, dann ist unser Leben vorbei.“

Das stimmt. Die Freuden des Ruhestands und deine diesbezügliche Lebensplanung kannst du vergessen, wenn du in den Fünfzigern oder gar Sechzigern noch mal Vater wirst. Du musst dich noch als alter Knacker nach den Schulferien richten. Du musst vielleicht Geld heranschaffen, bis du umfällst. Du sitzt als Methusalem beim Elternabend und wenn die Naturkatastrophe „Pubertät“ eintritt, dann steht du womöglich schon am Rollator und bietest dem Pubertisten eine breite Angriffsfläche.

Macht mir das etwas aus? Ja, natürlich. Warum habe ich mich dann darauf eingelassen? Weil ich es schön finde, ein Kind großzuziehen. Es ist schön, aber es kostet auch etwas, damit meine ich nicht in erster Linie das Geld. Du gibst etwas her, Freiheit, Unabhängigkeit, Lebensgenuss. Im Tausch dafür bekommst du ein großes Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Kinder sind nichts für Feiglinge.

Vorwürfe oft von älteren Frauen

Alte Väter müssen sich rechtfertigen, das hatte ich nicht erwartet. Vor allem ältere Frauen machen uns oft Vorwürfe, da spielt wohl auch Neid eine Rolle. Wenn Sie mit sechzig noch ein Kind möchten, Madame, dann gibt Ihnen die moderne Medizin eine Chance, von mir werden Sie keinen Vorwurf hören. Schimpfen Sie nicht, versuchen Sie’s einfach.

Ich bin ein Egoist? Wissen Sie, ein Kind großzuziehen hat mit Egoismus wenig zu tun, ganz im Gegenteil. Es hat mit Verantwortung und mit Arbeit zu tun. Ich könnte sterben, bevor das Kind groß ist? Das kann jedem passieren. Aber bei mir ist dieses Risiko natürlich größer als bei einem Dreißigjährigen. Möchten Sie allen jungen Menschen, die gesundheitlich angeschlagen sind, ebenfalls die Elternschaft verbieten? Ach so, Sie geben zu bedenken, dass ich mit meinem kleinen Sohn nicht mehr so gut Fußball spielen kann wie ein junger Vater, das ist natürlich ein sehr gewichtiges Argument. Dann sollten Rollstuhlfahrer und Übergewichtige ihrer Ansicht nach auch keine Kinder bekommen, sehe ich das richtig?

"Elternliebe ist im Idealfall eine Liebe, die loslassen kann"

Die Liebe zwischen Eltern und Kindern ist keine Liebe zwischen Gleichen. Während eine erwachsene Liebesgeschichte im Idealfall so verläuft, dass man im Lauf der Jahre enger zusammenwächst, muss das Kind sich von den Eltern entfernen. Es wird selbstständiger, Schritt für Schritt, eines Tages geht es weg.

"Das Tolle an Kindern ist, dass man in den wichtigen zehn Jahren auch die eigene Kindheit noch einmal durchlebt". Martenstein und sein 15 Monate alter Sohn auf einem Spielplatz in Kreuzberg.
"Das Tolle an Kindern ist, dass man in den wichtigen zehn Jahren auch die eigene Kindheit noch einmal durchlebt". Martenstein und sein 15 Monate alter Sohn auf einem Spielplatz in Kreuzberg.

© Kai-Uwe Heinrich

Elternliebe ist im Idealfall eine Liebe, die loslassen kann. Ihr Endziel ist nicht Nähe, sondern Distanz. Mit zwanzig sollte das Kind, vom Finanziellen abgesehen, auf eigenen Beinen stehen und sich seine eigene Welt bauen. Diese Zeit habe ich, falls ich so alt werde wie meine Eltern, zwanzig Jahre mindestens.

Ich kann meine Vaterrolle heute realistischer einschätzen als früher. Die große Zeit des Vaters beginnt, wenn das Kind etwa zwei Jahre alt ist, und endet meistens mit zwölf, dreizehn, dann werden die Freunde wichtiger und die notwendige Distanzierung beginnt. In diesen zehn Jahren kommt es darauf an, Erinnerungen zu schaffen, die meinen Sohn durch sein erwachsenes Leben tragen, vor allem die Erinnerung, bedingungslos geliebt worden zu sein.

Jeder Vater, egal, ob er lebt oder tot ist, egal, ob er jung ist oder alt, ist im Kopf seines erwachsenen Kindes vor allem die Erinnerung an eine hoffentlich geglückte Kindheit. Wir Väter verschwinden aus dem Leben der Kinder sowieso, auch, wenn wir noch irgendwo herumwursteln. Irgendwann sind die meisten von uns zu jemandem geworden, den man an Weihnachten anruft, weil es sich so gehört. Das sehe ich gelassen.

Das Tolle an Kindern ist, dass man in den wichtigen zehn Jahren auch die eigene Kindheit noch einmal durchlebt, das Sandburgenbauen, das Spielen, die Abenteuer, die Bücher, den Sieg über die Ängste. Und ich, der ich dank meiner Söhne fast mein ganzes Leben Vater gewesen sein werde, kann am Ende sagen, dass ich drei Mal Kind gewesen bin. Besser geht’s nicht.

Lesen Sie hier ein Interview mit der Soziologin Michaela Kreyenfeld über späte Elternschaft.

Und was meinen Sie? Ist es egoistisch, im höheren Alter noch einmal Mutter oder Vater zu werden? Diskutieren Sie mit!

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