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Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Hier werden auch die Revisionen in Strafsachen entschieden.

© Uli Deck/dpa

Justiz-Talk: Der Richter hat das letzte Wort

Thomas Fischer ist ein Spitzen-Jurist und sucht als "Zeit Online"-Autor die Lust am Widerspruch, auf die er im Beruf verzichtet. Ein Besuch in Berlin.

An das Strafrecht werden große Erwartungen geknüpft dieser Tage. Es soll die VW-Dieselaffäre aufklären, Licht in das Dunkel des Sommermärchen-Vergabeskandals bringen, die Facebook-Hetze gegen Flüchtlinge stoppen. Ob es all dies vermag, war nicht das Thema des Montagabend mit "Deutschlands bekanntestem Strafrichter" Thomas Fischer im Radialsystem am Ostbahnhof, zu dem "Zeit Online" einlud. Das Publikum sollte den Mann kennen lernen, der das Medium mit einer außergewöhnlichen Kolumne bespielt: "Fischer im Recht". Dort erklärt, provoziert und belehrt der hauptberuflich Vorsitzende am Zweiten Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) seine Leser anhand großer und kleiner Fälle, von der Flüchtlingskrise zum Rockermord.

Außergewöhnlich sind Fischers Texte schon, weil er selbst außergewöhnlich ist. Nicht wegen seiner früheren Karrierestationen als Paketbote und Hafenarbeiter, sondern weil Richter, zumal Bundesrichter, ihre politische Sicht der Dinge mit Eintritt in den Staatsdienst ihrer Intimsphäre zuzuweisen pflegen. Gelebte Unabhängigkeit, so sehen sie es wohl, Fischer jedoch nicht: "Ich mache das, weil ich es kann", sagt er. Er kann es wirklich. Analyse, Sprachkraft, Wissen, Haltung, diese Eigenschaften durchziehen jeden Text. Er wollte mal Schriftsteller werden, aber es habe nicht gereicht, sagt er. Für seine Ansprüche vielleicht nicht, für die anderer hätte es. Als juristischer Autor ist er als Bearbeiter des führenden Gesetzes-Kommentars auf seinem Gebiet ohnehin unangefochten.

Fischer legt sich an. Mit Politikern wie Norbert Blüm, weil sie ihm zu einfältig über Justiz räsonieren. Mit dem eigenen Gericht, weil sie ihn, den Ausgezeichneten, nicht befördern wollten. Bei dem später wegen Kinderporno-Besitzes verurteilten SPD-Politiker Sebastian Edathy entschuldigte er sich öffentlich, weil die Bilder nackter Kinder für sich genommen niemals eine Durchsuchung gerechtfertigt hätten. Mittelmeertouristen fragt er, wie es schmeckt, wenn die mit Olivenöl beträufelte Dorade auf ihrem Teller zuvor an ertrunkenen Flüchtlingen geknabbert haben könnte.

"Wut" erkennen die "Zeit"-Journalisten Sabine Rückert und Jochen Wegner in den Texten, was Fischer abstreitet. "Ich fühle mich nicht wütend". Es ist auch eher eine Art elaborierter Verachtung, die einem aus dem umfänglichen Zeilenwerk - Fischer online ergäbe pro Aufsatz locker drei Seiten Fischer print - entgegenschlagen kann. Verachtung für Richterkollegen, Verachtung für den Mittelstand, Verachtung für Journalisten, Verachtung für alle mit sich selbst und den Umständen Zufriedenen, die Ahnungslosen und Desinteressierten. Verachtung für das Gewohnte und Gewöhnliche.

Fischer weiß auch hier, wovon er spricht. Er habe nichts Anarchisches, sagt der Arztsohn. "Ich bin ein guter Beamter, der sich auf seine Pension freut". Die Widersprüche, die er als Oberrichter wegzuoperieren hat wie ein Chirurg Metastasen, sie machen ihm als Publizist und Talkshowgast offenkundig Freude. Ebenso dem Publikum, das sich per Handzeichen rund zur Hälfte ebenfalls als Juristen ausweist. Ein Richter in dieser Position, der sagt, was er denkt, ist neu in Deutschland. Fischer wird gelesen, kritisiert, bewundert, vielleicht sogar geliebt. An seinem Gericht sind die Meinungen darüber geteilt. Was wäre, wenn das dort jeder machen würde? "Es macht nicht jeder", hält Fischer die Antwort kurz. Wobei es dabei wahrscheinlich bleibt, denn es kann eben nicht jeder. Fischer ist, wie stets, nicht nur im Recht. Er hat auch das letzte Wort.

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