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Kinder unerwünscht? Unsere Autorin will das nicht akzeptieren.

© dpa

Kinderdebatte: Espresso-Rüller, tear down this Poller!

Vergangene Woche lobte Fatina Keilani ein Café in Pankow, das Kinderwagen mit einem Poller aussperrt: So würde das Lokal zu einem Ort himmlischer Ruhe. Man kann das auch ganz, ganz anders sehen. Ein kleiner Wutanfall.

Poller-Alarm! Sie, lieber Leser, wollen auch wieder mitmachen? Für Sie zum Wachwerden kommt hier ein Querschnitt durch das Vokabular der (bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe) 76 Online-Kommentare zum Beitrag Fatina Keilanis aus der Vorwoche: Diese überforderten Prenzelberg-Mütter mit ihren Jannick-Elias sind spätberufene Hühner mit kleinwagengroßen Karren, in denen sie von morgens bis abends ungezogene, sauereimachende Brüllbomben durch die Gegend schieben. Auch ein gedruckter Leserbrief erschien zum Thema, darin war die Rede von stolzen Schwangeren, deren Bäuche einfach überall im Weg sind.

Tenor: Eklig, diese Muttis. Sabberfontänen, verkrümelte Feuchttücher und unkontrollierte Laktation stören die öffentliche Ordnung. Was glauben die, wer sie sind?

Der Fall Ralf Rüller (Chef des Cafés „The Barn Roastery“, vor dessen Tür der Poller des Anstoßes errichtet wurde) ist deswegen überhaupt noch erwähnenswert, weil er der wachsenden Gemeinde der von Kindern Genervten einen Altar errichtet hat. Ein in Beton gegossener Riesenphallus steht stramm im Eingangsbereich des Cafés an der Schönhauser Allee, an seiner grauen Eichel klebt das Schild mit dem durchgestrichenen Kinderwagen. Die Botschaft: Mutti, bleib draußen! Hier wird dir die Grenze gesetzt, die du deinen Kindern nicht zu setzen imstande bist.

Natürlich kann man den Poller auch so lesen: als Wellness-Garant für erschöpfte Eltern. Aber man muss wahrscheinlich schon sehr erschöpft sein, wenn man im Schatten des Pollers entspannen kann – mich packt dagegen die Wut, wenn ich beim Gang zum „Rewe“ wieder an Espresso-Ruellers Checkpoint vorbei muss. Weil der Poller nicht einen Schutzraum markiert, sondern „Verboten!“ schreit. Weil er die Sehnsucht nach der guten alten vermufften Zeit symbolisiert. Der Erwachsene muss in Ruhe seinen Filterkaffee trinken dürfen, das Kind soll gefälligst gehorchen und woanders spielen – ein koffeinhistorischer wie pädagogischer Backspin.

Lassen wir die Politik doch mal aus dem Spiel. Es geht um etwas anderes: Mentalität.

Joachim Käppner schrieb vor einiger Zeit in der „Süddeutschen“ sehr treffend über das Sehnen nach einer unbestimmten Vergangenheit: „Wann soll diese goldene Zeit gewesen sein? Vor 1945, vor 1918? Wohl kaum. Noch in den sechziger Jahren dominierten autoritäre Erziehungsmodelle, deren Opfer manchmal noch heute beim Therapeuten sitzen.“

Kinder sind grenzenlos laut und wollen immerzu spielen. Man stelle sich vor, viele maßen sich sogar an, mit einem Schrei auf die Welt zu kommen und ziehen wenig später nachts in grölenden Horden um die Häuser. Die Schönhauser Allee mit ihren Autos, ohne die der in allen Debatten überraschend abwesende Prenzelberg-Vati morgens nicht zur Arbeit käme, ist allerdings noch lauter.

Neulich im Feinkostgroßhandel „Centro Italia“ an der Greifswalder Straße. Kleinkinder werden mit Pecorino und Fenchelsalami gefüttert, man kneift ihnen beherzt in die Wangen, sogar Volkstänze kommen zur Aufführung. Unsere südeuropäischen Freunde haben es gewiss auch nicht immer leicht, trotzdem empfinden sie Kinder nicht als Bürde oder Belästigung. Wahrscheinlich, weil sie nicht vergessen haben, dass sie auch mal klein waren. Und weil sie es – Folklore hin, Folklore her – nicht anders kennen: ein zutreffendes Klischee, dass in Italien Kinder spätabends um den Restauranttisch rennen, ohne dass sich jemand beschwert.

Geht es in den Leitartikeln um Kinder, dann meist nur darum, dass zu wenige da sind (demografischer Wandel) oder dass man sie nur schwer wieder loswerden kann (mangelnde Kita-Plätze) oder dass man sie überhaupt nicht mehr loswerden soll (Betreuungsgeld). Es geht um „Rahmenbedingungen“, aber viel zu selten um das Sittengemälde, das den Rahmen ausfüllen müsste: Wie schafft man eine Stimmung, in der mehr Kinder gemacht und fröhlich großgezogen werden?

Espresso-Rüller, tear down this Poller! Ich würde auch auf einen sechsfachen Espresso vorbeikommen, denn der soll, wie mir von Feinschmeckern berichtet wurde, bei „The Barn“ wirklich spektakulär sein. Ich wäre bereit zur Versöhnung.

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Sonnabendbeilage Mehr Berlin.

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