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Kolumnistin Hatice Akyün.

© Andre Rival

Kolumne "Mein Berlin": Ich gebe keinen meiner Pässe her!

Obwohl die Deutschen doch der Urtyp der Promenadenmischung sind, glauben sie immer noch, sie seien aus einem Guss. Unsere Kolumnistin Hatice Akyün findet, man kann mehr als ausschließlich Deutsch sein und plädiert für den Doppelpass.

Was haben wir nicht alles doppelt. Glühbirnen auf Reserve, Jeans, wenn sie mal ordentlich passen, und digitale Fotos, die wir mehrfach abspeichern. Wir achten darauf, dass alles, was uns fehlen könnte, doppelt vorhanden ist. Andererseits tun wir alles, unsere Doppelmoral zu verbergen. Ich bin keinen Deut besser, denn ich bin so deutsch, dass sich meine türkischen Verwandten Sorgen machen, aber gleichzeitig so türkisch, dass ich für alles Türkische herhalten muss.

Wir sind das internationalste Volk der Welt. Römer, Kelten, Cherusker und Vandalen habe ihre genetischen Fingerabdrücke hinterlassen, als Europa nur aus Horden bestand. Später kamen die Ungarn, die Franzosen, die Italiener, die Balkanesen, die Schweden, die Norweger und die Spanier dazu. Der Große Kurfürst hat die Hugenotten geholt. Das Popeldorf Berlin wuchs über Zuwanderung. Weil sich keiner daran gestört hat, ist meine Stadt heute eine Metropole. Als die Preußen zuerst die Dänen, dann die Österreicher und am Schluss die Franzosen besiegten, waren wir schwuppdiwupp ein multikulturelles Reich. Es ist den Deutschen einfach nicht abzugewöhnen, sich aus einem Guss zu fühlen, obwohl sie doch der Urtyp der Promenadenmischung sind. Glauben wir tatsächlich, dass Goethe und Beethoven aus ordentlichen Verhältnissen kamen?

Das Spannende ist, dass der Grundgedanke des Doppelpasses zwei identische Muster bedient. Diejenigen, die ihn ablehnen, sehen ihre Identität verwässert und erwarten eine eindeutige Festlegung. Und diejenigen, die ihn befürworten, sehen darin eine Möglichkeit, sich zu bekennen, ohne ihre Identität verwässern zu müssen. Nein, ich will nicht ein „Dazwischen“ fördern. Doch wer in zwei Welten lebt, sollte dort auch verweilen dürfen. Andernfalls bleibt man immer ein Fremdkörper in der Gesellschaft. Wir gehören schon längst dazu, es ist nur noch nicht überall angekommen.

„Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so eine einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird“, schrieb Bertolt Brecht in „Flüchtlingsgespräche“.

Ich würde meinen türkischen Pass nie hergeben. Weil mit ihm meine Kindheitserinnerungen verbunden sind, weil er für die Geschichte meiner Familie steht. Das Gleiche gilt auch anders herum. Ich würde niemals auf meinen deutschen Pass verzichten, weil er meine Gegenwart darstellt, weil er meine Zukunft zum Ausdruck bringt. Meine Tochter wird sich nach jetzigem Recht in 20 Jahren entscheiden müssen. Für jene, die den Pass politisch sehen, soll er ein Bekenntnis sein. Aber für uns bedeutet er einfach nur, seine Erinnerungen in eine Schublade legen zu können.

Eigentlich wollte ich ein leises Plädoyer für die doppelte Staatsbürgerschaft abgeben. Beim Schreiben wurde mir jedoch klar, dass ich den Rahmen einer Kolumne sprengen würde. Meinem Deutschland würde es sehr gut zu Gesicht stehen, als Großmacht des Friedens den Käfig der Staatsbürgerschaft offenstehen zu lassen. Ein angstfreies Deutschland hätte eine ungeheure emotionale Anziehungskraft. Dass man Deutsch und Türkisch gleichzeitig sein könnte, wäre kein Bruch der Nationalität, es wäre ein Bekenntnis zu unseren Gemeinsamkeiten.

Oder wie mein Vater sagen würde: „Sorma kisinin aslini, sohbetinden belli eder“ – frage niemanden nach seiner Herkunft, er wird sie in seinen Erzählungen offenbaren.

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihre Kolumne erscheint jeden Montag.

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