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Kreuzberg: Monopoly im Chamissokiez

Vor 30 Jahren wurden hier Häuser besetzt, um ihren Abriss zu verhindern. Jetzt spekulieren Investoren mit den sanierten Kreuzberger Altbauten. Die Bewohner beobachten den schleichenden Prozess mit Sorge.

Früher gehörte das Haus Arndtstraße 38 einer „alten Dame“ aus Charlottenburg. Die ließ mal die Fenster ersetzen, ansonsten blieb alles wie gehabt. Auch der Mietzins. Deren Enkelin erbte das Haus und verkaufte es an eine Immobilienfirma, die es bald weiterverkaufte. Der jetzige Eigentümer kommt aus Baden-Baden.

Früher gab es die Eckkneipe Tabularasa in der Fidicinstraße 44. Mit Kegelbahn. Bekannt für gute Pommes und passables Bier. Jetzt ist die Kneipe der Empfangsraum der „Traumberg-Flats“. Die Kneipenräume wurden zu kleinen Appartements umgebaut, die man für 80 bis 100 Euro mieten kann. Pro Nacht.

Der Chamissokiez in Kreuzberg ist ein Traum von einem Wohngebiet, von außen betrachtet. Die Häuser sind behutsam saniert, das Kopfsteinpflaster ist erhalten, die Straßenlaternen sind antik, und die Straßenfluchten so intakt, als habe es nie einen Bombenkrieg gegeben.

Jahrelang kurvten die Touristenbusse hindurch und machten ihre Insassen staunen über so viel Bilderbuchkulisse aus Alt-Berlin. Das ging ja noch, aber nun gucken sie nicht nur, die auswärtigen Besucher, sie kaufen auch und mieten. Die Preise explodieren. Häuser kosten nicht mehr Hunderttausende, sondern ein paar Millionen. Wohnungen werden für zwölf Euro kalt an zugezogene Kreuzbergfans vermietet. „Spekulanten raus!“ steht wieder an den Hausfassaden, wie zur Hausbesetzerzeit in den 80er Jahren.

Uwe Hübsch, ein SPD-Mann vom alten Schlag, hat schon immer hier gewohnt, zwischen Bergmannstraße und Columbiadamm. Die erste Sanierung hat er mitgemacht, den Kampf gegen Abrisspläne und verfallende Hinterhäuser. Damals nahm der SPD-Bausenator Harry Ristock die Mieter unter seine Fittiche, gab großzügig Fördermittel und kaufte Häuser auf. Jetzt fühlt sich Hübsch von seiner mitregierenden SPD weitgehend im Stich gelassen. Er sagt es nicht, aber man merkt es ihm an. „Blutsauger“ nennt er die Immobilieninvestoren, die Altmieter verdrängen.

Zeitweise waren 13 Häuser besetzt, damals in den 80ern, erzählt Hübsch. Jetzt stehen Häuser, die verkauft werden sollen, einfach leer. Wie die Sendelbachhöfe in der Kopischstraße. Es ist ein schleichender Prozess. In der Arndtstraße 38 wohnen nur noch fünf Parteien. Die Hausverwaltung habe 6000 Euro geboten, wenn sie freiwillig ausziehen, erzählt Rainer G., Bauingenieur, 61 Jahre alt. Er bezog die Wohnung noch als Student. 1982 war das. „Mit Händen und Füßen“ will er sich gegen die angekündigte Modernisierung seiner vier Wände wehren. Auch einige Nachbarn wollen unbedingt bleiben. „Das ist meine Wohnung“, sagt Uta Fechner, die Deutsch für Ausländer unterrichtet. Mehr Miete zu zahlen, könne sie sich als prekär Beschäftigte gar nicht leisten. Der Hausbesitzer will sich zum Konflikt mit seinen Mietern nicht äußern.

In der Willibald-Alexis-Straße 34, einem ehemals besetzten Haus, haben sich die Mieter zusammengeschlossen, um mithilfe einer Stiftung selber Eigentümer zu werden. Doch die Chancen stehen schlecht. 2004 war das teilsanierte Haus verkauft worden, für rund 600 000 Euro. Inzwischen kostet es das Doppelte. Die Eigentümerverhältnisse sind schwer durchschaubar. Eine Mietpartei ließ sich nach unbestätigten Angaben für eine fünfstellige Summe herauskaufen. In der Folge musste eine Groß-WG aufgelöst werden. Fünf Wohnungen stehen inzwischen leer. Der Eigentümer will das Haus sanieren. Bei der Berliner Hausverwaltung, die sich um alles kümmert, ist nur der Anrufbeantworter zu erreichen.

Im Kiez hat sich eine Initiative gebildet, um den Mieterprotest zu organisieren. Eine Polit-AG bereitet einen öffentlichen „Spaziergang“ vor, andere Gruppen recherchieren Fakten zu Wohnungsleerstand und Umwandlung in Ferienwohnungen. Offiziell gibt es keine Zahlen, sagt Heinz Kleemann vom „Mieterladen Chamissoplatz“. Vieles spiele sich im legalen Randbereich ab: Hartz-IV-Empfänger, die untervermieten, weil sie sich die Wohnung sonst nicht mehr leisten können. Oder wohlhabende Geschäftsleute, die ihre Berliner Dependance nur für ein paar Wochen im Jahr ansteuern und sie sonst Bekannten günstig überlassen. Ein Gesetz gegen Zweckentfremdung von Wohnraum, wie es der Senat gerade vorbereitet, würde dagegen gar nichts nützen. Kleemann schätzt, dass seit 2003, als der Kiez aus dem Sanierungsstatus entlassen wurde, etwa 1200 Mieter aus ihren Wohnungen verdrängt wurden. Ein wirksames Gegenmittel sei die Verlängerung des Kündigungsschutzes nach einem Verkauf der Wohnung. Gegenwärtig betrage die Schonfrist fünf Jahre. Er plädiert für zehn Jahre. Das würde Investoren den Appetit verderben, hofft er.

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