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Berlin: Kunstmäzen Marx droht mit Rücknahme seiner Sammlung

BERLIN .Sollte die Deutsche Bahn AG, wie derzeit geplant, ein Gästehaus in einem Teil des Hamburger Bahnhofs unterbringen, droht der Kunstsammler Erich Marx, seine Sammlung zeitgenössischer Kunst, das Kernstück der gesamten Ausstellung, zurückzuziehen.

BERLIN .Sollte die Deutsche Bahn AG, wie derzeit geplant, ein Gästehaus in einem Teil des Hamburger Bahnhofs unterbringen, droht der Kunstsammler Erich Marx, seine Sammlung zeitgenössischer Kunst, das Kernstück der gesamten Ausstellung, zurückzuziehen.Falls die Bahn ihre Pläne verwirkliche, werde er die Werke dort nicht mehr ausstellen.Der Hamburger Bahnhof wäre dann "nicht mehr das, was er war und was sein Image in der ganzen Welt geprägt hat", sagte Marx im Info-Radio.

Wie berichtet, verfolgt die Bahn AG Pläne, wegen der Nähe zum entstehenden Lehrter Bahnhof in der Ehrenhofgalerie Ost ein repräsentatives Gästehaus einzurichten.Dazu will sie den Hamburger Bahnhof, der unter das Bundeseisenbahnvermögen fällt und damit Eigentum des Bundes ist, erwerben und anschließend dem Senat bis auf den von ihr genutzten Ostflügel für einen symbolischen Preis übereignen.Derzeit gibt es über die Nutzung des Hamburger Bahnhofs dem Anschein nach lediglich eine Nutzungsvereinbarung aus dem Jahr 1987 mit dem damaligen Eigentümer, der Reichsbahn, und dem Senat.Die Senatskulturverwaltung weigerte sich gestern, über aktuellere Verträge und Details Auskunft zu geben.Pressesprecher Wallrabenstein bestätigte lediglich noch einmal, daß es bisher nur Gespräche mit der Bahn über dieses Projekt gegeben habe.

In den vergangenen Tagen hatte Kulturstaatsekretär Lutz von Pufendorf zudem die Erwartung geäußert, daß sich die Bahn AG im Zuge dieses Geschäfts an einem Erweiterungsbau im Westflügel beteiligen würde.Mit diesem könnten die wegfallenden Räume kompensiert werden.Bahn-Sprecherin Marlene Schwarz sagte gestern gegenüber dem Tagesspiegel jedoch: "Dies kann ich nicht bestätigen." Zu dem gesamten Projekt sagte sie: "Die Bahn AG wird nichts tun, um den Kulturstandort Berlin zu gefährden." Ziel sei es, eine museumsverträgliche Lösung gemeinsam mit dem Senat und den staatlichen Museen zu finden.

Kunstmäzen Marx bezeichnete die am Dienstag vom Senat abgegebene Bestandserklärung als "Nebelwerferei".Er habe zudem keinen Vertrag mit dem Senat abgeschlossen, sondern mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der das Museum für Gegenwart im Hamburger Bahnhof untersteht.Zur Bahn bestehe keine Rechtsbeziehung."Ich sitze da und warte und gucke, was kommt", sagte Marx.

Hingegen bestätigte Senatssprecher Michael-Andreas Butz gestern, daß der Hamburger Bahnhof auf jeden Fall als Museum erhalten bleiben wird: "Alles andere hat sich dem unterzuordnen." Es werde keine Abstriche am Museumscharakter geben."Das Gesamtensemble als Einheit darf nicht zerstört werden", sagte Butz.Er kündigte an, daß der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen noch in dieser Woche mit Marx reden wolle.

Wolf-Dieter Dube, Generaldirektor Staatliche Museen - Preußischer Kulturbesitz, sagte gestern, daß die Vorstellungen der Bahn zwar durchaus eine Reduzierung des jetzigen Museums bedeuteten.Aber man könne mit diesem Angebot durchaus leben, wenn es als Kompensation den westlichen Erweiterungsbau sowie auch einen geplanten Skulpturengarten geben werde.Dies wäre ein angemessenes "Äquivalent".Er sei überzeugt, daß der Senat nicht leichtfertig handle, sagte Dube.Wichtig sei doch das Angebot der Übereignung.Dube äußerte die Hoffnung, daß es zu keinen Schwierigkeiten mit der Sammlung Marx komme.Der Vertrag mit Marx sehe vor, daß die Sammlung nach gegenseitiger Abstimmung im Hamburger Bahnhof oder in der Neuen Nationalgalerie gezeigt werden können.

Demgegenüber bezeichnete Heiner Bastian, Kurator der Sammlung Marx, die gesamte Planung als eine "schwachsinnige Idee".Das gesamte Museumskonzept stehe auf der Kippe.Auch sei ein Erweiterungsbau kein angemessener Ersatz.Veranstaltungen, die es bei zeitgenössischer Kunst geben müsse, könnten nicht mehr stattfinden.Außerdem gehe Ausstellungsraum verloren.

Nach Angaben der kulturpolitischen Sprecherin von Bündnis 90/Grüne, Alice Ströver, stammen die Architektenpläne für den Umbau des Ostflügels zum Gästehaus bereits vom Februar dieses Jahres.Auf Antrag der Bündnisgrünen soll das Thema auf der nächsten Sitzung des Kulturausschusses am 2.November behandelt werden.

Die Friedfertigkeit des Architekten

Natürlich reichte wieder mal das Geld nicht aus, wie üblich in Berlin.Im Dezember 1989 hatte Josef Paul Kleihues den Wettbewerb für die Restaurierung und Erweiterung des Hamburger Bahnhofs gewonnen, doch von den zwei zusätzlichen Ausstellungshallen, die der Architekt dem mittlerweile denkmalgeschützten Restbahnhof verpassen wollte, steht bislang nur die östliche.In ersten Ausstellungen Ende der Achtziger hatte der lange ungenutzte Gebäudekomplex bewiesen, daß er weiterhin museumstauglich war, und man hatte ihn als künftiges "Museum für Gegenwart" deklariert."Das Haus in Frieden lassen", lautete die Devise des Architekten, der auf ersten Restaurierungsarbeiten unter seinem Kollegen Winnetou Kampmann aufbauen konnte.Im Kopfbau und in den Ehrenhofflügeln waren nur wenige Innenräume zu rekonstruieren.Die Mittelhalle hat Kleihues fast unverändert gelassen, die Ausfachungen der alten Eisenkonstruktion wurden repariert und alles weiß gestrichen.Imposant wurde die neue "Ostgalerie", ein Saal von immerhin 80 Metern Länge.Kaum weniger eindrucksvoll geriet auch Dan Flavins Lichtinstallation aus blauen Neonröhren an der Außenseite des klassizistischen Kopfbaus, die die Eröffnung des Bahnhofs als "Museum für Gegenwart" am 1.November 1996 festlich unterstrich.Mit der Alten und der Neuen Nationalgalerie, der Friedrichwerderschen Kirche und dem Stüler-Bau mit der Sammlung Berggruen hatte die Nationalgalerie damit ihr fünftes Haus bekommen. ac

Die Historie des Hauses

Dem normalen Betrachter mag die zur Invalidenstraße gewandte Front des Hamburger Bahnhofs mit den zwei Türmen und den vielen Rundbögen wie eine romanisierende Laune des Architekten erscheinen; der Eisenbahnfreund aber seufzt beim Anblick der beiden unteren Rundbögen auf, dampften durch die noch offenen Tore doch einst die Lokomotiven.Über ein Jahrhundert ist das her: Bereits 1884 war der Bahnhof, gut vier Jahrzehnte vorher nach Plänen von Friedrich Neuhaus entstanden, geschlossen worden.Mit dem Bau des nahen Lehrter Bahnhofs 1871 war der alte Kopfbahnhof, der derzeit älteste Bahnhofsbau Berlins, weitgehend überflüssig geworden.Dem Verkehr blieb er dennoch gewidmet: Nachdem die Bahnsteighalle abgerissen und das Kopfgebäude vorübergehend für Wohn- und Verwaltungszwecke genutzt worden war, wurde der Komplex 1905 / 06 zum Verkehrs- und Baumuseum, erhielt dafür eine dreischiffige Ausstellungshalle mit später angefügten Seitenflügeln.Im Krieg schwer beschädigt, wurde der Bahnhof samt Inhalt von den Alliierten der Deutschen Reichsbahn überschrieben, verdämmerte in deren Obhut die Jahrzehnte.Anfang 1984 wurde das Museum bei der Übernahme der S-Bahn in West-Berlin durch den Senat mitübernommen und nach erster Restaurierung für Ausstellungen wie "Die Reise nach Berlin", für Modeschauen wie "Dressed to Thrill" (1988) oder auch Produktpräsentationen wie die der Parfümserie "Photo" von Karl Lagerfeld genutzt. ac

Die Neugier des Sammlers

Die Ehrung ließ nicht lange auf sich warten: Nicht mal ein halbes Jahr war das "Museum für Gegenwart" im alten Hamburger Bahnhof eröffnet, da erhielt Erich Marx, wie zuvor sein Sammlerkollege Heinz Berggruen, vom Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen die Ernst-Reuter-Plakette überreicht.Der 1921 in Brombach bei Lörrach geborene Mäzen hatte dreieinhalb Jahre zuvor mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz einen fristlosen Leihvertrag über seine Sammlung moderner Kunst unterzeichnet, die seit der Eröffnung im November 1996 einen zentralen Bestandteil der im Hamburger Bahnhof ausgestellten Werkschau darstellt.Der promovierte Jurist und Unternehmer, der sein Geld mit dem Bau von Kurkliniken und Hotels verdient hatte, sieht es als "Zufall", daß er überhaupt mit moderner Kunst in Berührung gekommen ist."Neugier" sei die treibende Kraft gewesen, die ihn zu Twombly, Warhol, Rauschenberg und natürlich Beuys führte.Beim Kauf eines Cy-Twombly-Gemäldes hatte er Heiner Bastian kennengelernt, den ehemaligen Sekretär von Joseph Beuys, der zum Kurator der Sammlung Marx wurde.1982 wurde diese in der Neuen Nationalgalerie gezeigt, wanderte dann aber zu großen Teilen ins Mönchengladbacher Abteiberg-Museum.Erst 1996 kehrten die Werke nach Berlin zurück.Bedeutend werde seine Sammlung erst "in ihrer Symbiose mit dem in Europa einzigartigen Gebäude", bedankte sich der Sammler bei der Verleihung der Reuter-Plakette.Ein bescheidener Mäzen. ac

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