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Das Zeichen der Linksautonomen

© Paul Zinken/dpa

Linksradikale in Neukölln: Kiezblatt will sich nicht mehr einschüchtern lassen

Die linke Szene bedrohte das Neuköllner Blatt "Kiez und Kneipe", weil es einen AfD-Talk organisiert hatte. Wie geht es dem Blatt heute?

Petra Roß dreht sich eine Zigarette und achtet sorgfältig darauf, dass kein Tabakkrümel verloren geht. Dann redet sie von dem Moment, in dem sie das Gefühl hatte, alles wird wieder gut. Sie redet von ihrem Friseur. Der Friseur sagte zu ihr: „Aus Solidarität plane ich jetzt endgültig, eine Anzeige zu schalten.“ Es war nicht mal ein festes Versprechen. Aber er stand auf ihrer Seite, sie hatte Zuspruch, das war entscheidend.

Sie hatte ja noch gut diese Stimme im Ohr, den Sound dieses älteren Mannes, der am Telefon raunte: „Sag die Veranstaltung ab, sonst kann es sein, dass du mal vom Fahrrad fällst.“ Das war der Moment, in dem Petra Roß Angst bekam. Es war der 10. Mai, 14 Uhr, es war der Moment, in dem die zierliche Chefredakteurin des Szeneblatts „Kiez und Kneipe“ (KuK) Neukölln, endgültig aufgab.

Petra Roß sagte das „Kneipengespräch“ mit dem AfD-Politiker Andreas Wild ab.

Es sollte ein paar Tage später stattfinden, in einer Kneipe im Schillerkiez, als Teil einer Serie. Parteien, die in der Bezirksverordnetenversammlung sitzen, reden mit einem ausgewählten Bürger, die Gäste können in die Debatte eingreifen. Petra Roß moderiert. Ein Service zur Bundestagswahl.

Für die linke Szene ist Wild eine Provokation, ein Politiker mit völkischen Parolen. Es gab wütende Proteste auf Facebook und in Mails an die Redaktion. Die „Solidarische Aktion Neukölln“, ein Zusammenschluss linker Gruppen und Personen, schrieb an alle Anzeigenkunden der KuK. Sollte die Veranstaltung nicht abgesagt werden, wolle sie sich dafür einsetzen, dass „Läden und Akteur*innen ihre Kooperation mit der Zeitung sowie ihre Werbeanzeigen einstellen“. Das war nicht bloß Protest, jetzt ging es um die Existenz. Jetzt ging es auch um Pressefreiheit. Und um die Frage, wie reagieren Leser, Anzeigenkunden, Betroffene darauf? Und wie arbeitet die KuK weiter? Lässt sie sich von „faschistischen Methoden“ (KuK-Gründer Peter Kaspar) beeinflussen?

Petra Roß sagt: „Einen Anzeigenkunden haben wir sehr schnell verloren.“ Sie hockt auf einer Bierbank in der Fürbringerstraße in Kreuzberg, die Adresse der KuK Kreuzberg, gegründet 2004. Die KuK Neukölln entstand erst Jahre später.

Der Kunde ist ein Kneipenwirt, der drei Jahre lang inseriert hatte. Jetzt unterstützte er die Linie der Solidarischen Aktion Neukölln. Petra Roß ist auch für die Anzeigen zuständig, sie hätte mit dem Wirt reden können. Aber es ging nicht, es war kurz nach dem Drohanruf, „mir ging es nicht gut“.

Für die KuK Neukölln war es ein gefährlicher Moment. Folgten noch weitere Kunden? Hatte die Einschüchterung Erfolg? Felix Hungerbühler sitzt auch am Tisch, Mitarbeiter der Neuköllner Ausgabe. Er hatte ein mulmiges Gefühl. „Man weiß ja nie, was noch kommt“. Noch ein paar Kunden, die abspringen, und die KuK wäre pleite gewesen.

Aber das Blatt arbeitet weiter. Die Drohungen liefen ins Leere. Niemand sonst zog seine Anzeigen zurück. „Die Werbekunden waren entsetzt“, sagt Petra Roß. Ein neuer Interessent erkundigte sich sogar nach den Werbepreisen. Und Petra Roß’ Chef, Betreiber eines Käseladens und ohnehin Werbekunde, verkündete, dass er nun eine größere Anzeige als bisher schalten werde. Neue Kunden hat die KuK allerdings auch nicht gefunden.

Doch entscheidend waren die Reaktionen auf die Einschüchterungen.

Auch Leser waren entsetzt. „Wir hatten ganz viele Zuschriften, die uns unterstützten“, sagt Petra Roß. Sie ist in Neukölln bekannt wie ein bunter Hund. In einer Kneipentoilette raunte ihr eine Frau zu: „Ich bin zwar Antifa, aber das ist richtig scheiße, was die da gemacht haben.“

Auch die Parteien waren entsetzt. Die Linken hielten zwar auch wenig von dem Wild-Auftritt, „aber dann“, sagt Petra Roß, „ haben sie sich sogar dafür entschuldigt, dass es eskaliert ist.“

Denn auch die Kreuzberger KuK musste um ihre Existenz bangen. Die hat zwar mit der Neuköllner redaktionell nichts zu tun, doch das wissen viele nicht oder es ist ihnen egal. Wegen Wild fegte jedenfalls auch übers Kreuzberger Büro ein Shitstorm. Auch Chefredakteur Kaspar hatte Angst, dass ihm Werbekunden abspringen.

Dabei redet er generell nicht mit der AfD. Er will einer Partei, die Medien als Lügenpresse verunglimpft, keine Plattform geben. Aber er solidarisierte sich öffentlich mit seinen Neuköllner Kollegen. Damit geriet er noch mehr zur Zielscheibe. Doch auch bei ihm sprang kein Anzeigenkunde ab.

Abgesehen von grundsätzlichen Erwägungen wäre es ja auch inhaltlich absurd, die KuK-Ausgaben wegen der AfD abzustrafen. Nach der unsäglichen, völkischen Rede des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke berichtete die Kreuzberger KuK demonstrativ über Widerstandskämpfer im Dritten Reich oder die Topographie des Terrors. Und Petra Roß sagt, sie hätten sich lange überlegt, ob sie den provozierenden Wild überhaupt einladen sollen. Aber dann überwog der demokratische Gedanke.

Vielleicht spielten bei der ganzen Geschichte ja auch brennende Autos eine Rolle. Im April haben mutmaßlich Gentrifizierungsgegner im Schillerkiez Lieferwagen einer Burger-Kette abgefackelt, direkt vor einer Filiale des Unternehmens. Mutmaßlich Gentrifizierungsgegner. Schon vor Jahren gab es Angriffe auf die Firma, einschließlich Bekennerschreiben. Die KuK Neukölln verurteilte die Brandaktion scharf: „Diese Brandstifter (....) haben jedoch durch ihre Aktion jedes Recht verloren, sich linke Argumente ihrer Tat anzueignen.“ Eine klare Aussage. „Die Stimmung“, sagt Hungerbühler, „war also ohnehin schon angeheizt.“

Bleibt die Frage, wie die KuK Neukölln jetzt über die AfD berichtet. Petra Roß zieht an ihrer dünnen Zigarette und sagt: „Darüber haben wir uns nicht unterhalten.“ Klar ist aber jetzt schon, dass sich die KuK Neukölln in ihrer Berichterstattung über die AfD nicht durch die Erwartungen der linken Szene beeinflussen lässt. „Wenn es etwas Berichtenswertes über die AfD gibt“, sagt Hungerbühler, „werden wir bestimmt darüber berichten.“

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