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Berlin: Bernd Eisenfeld (Geb. 1941)

"Begreifen Sie, wir haben die Macht. Begreifen Sie: Wir haben die Macht!"

September 1968: Bernd Eisenfeld verteilt in Halle 180 selbst gefertigte Flugblätter, in denen er aus Lenins „Dekret über den Frieden“ zitiert: „Denkt bitte nach! Bitte schweigt nicht!“ Es ist sein Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings. Der tschechoslowakischen Botschaft hatte er schon im August ein Telegramm geschickt: „Halten Sie stand – Behalten Sie Hoffnung.“

„Die Bürger zu bitten, über ein Lenin-Zitat nachzudenken und nicht zu schweigen – das erschien mir legal. Doch irrte ich gewaltig!“ Er wurde von der Stasi aufgegriffen und zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Er selbst bezeichnete in der ihm sachlichen Art seine Haft als „eine ganz hilfreiche Zeit, weil durch die Vernehmungen, die ich bei der Staatssicherheit hatte, mir wirklich die letzten Lichter ausgegangen sind, die ich noch in der DDR gesehen hatte.“

Die Schikanen in der Haft erschienen ihm erträglicher als die Intrigen der Stasi gegen seine Familie „die größte Kümmernis war: was läuft draußen.“ Sein Zwillingsbruder wurde drangsaliert, seine herzkranke Mutter zum Verhör vorgeladen, seine Frau aufgefordert, sich mit den beiden Kindern von ihm zu trennen.Als sie sich weigerte, verlor sie ihre Anstellung als Sekretärin.

„Eisenfeld, begreifen Sie, wir haben die Macht. Begreifen Sie: Wir haben die Macht!“

Das hatte er schon viel früher erfahren müssen.

Im Herbst 1956 wollte Bernd Eisenfeld mit seinem Falkensteiner Schachverein an einem Turnier im westdeutschen Erlangen teilnehmen. Die Gäste aus der DDR hätten 30 DM Taschengeld vom Gesamtdeutschen Ministerium erhalten – die Reise wurde untersagt. „Geweint habe ich damals und meine Koffer wieder ausgepackt.“ Im selben Jahr wurde der ungarische Volksaufstand von der Sowjetarmee blutig niedergeschlagen. Er begriff: Einzelne demütigen, das Volk demütigen, das ist das Wesen der Diktatur.

Bernd Eisenfeld und seine Geschwister waren im Vogtland groß geworden. Als der Vater aus dem Krieg heimkehrte, wurde er zweieinhalb Jahre in einem russischen Speziallager interniert. Die Eltern mahnten die Kinder früh, sich immer im Windschatten der Mächtigen zu halten. Keins der Kinder hielt sich daran.

Bernd Eisenfeld wollte Unrecht nicht hinnehmen. Erst recht nicht, als der Mauerbau jede Hoffnung auf ein freies Leben zunichte machte. Er schrieb offene Briefe an die Regierungen im Westen, an die UNO, an Prominente, ja selbst an die eigene Partei und Staatsführung, mahnte sie, die Teilung zu überwinden.

Er verweigerte den Dienst in der Nationalen Volksarmee, wurde Bausoldat – was ihn, den gelernten Ökonomen, seinen Beruf kostete: „Wer nicht bereit ist, den Ehrendienst zu leisten, also Waffendienst, der hat im Staatsapparat, und Banken gehörten ja zum Staatsapparat, nichts zu suchen.“

Er galt als „lernunwillig“ und unverbesserlich, erst recht, als er angesichts der fortwährenden Repressalien die Ausreise beantragte. Zweimal jährlich erneuerte er seinen Ausreiseantrag in die Bundesrepublik, bis ihm 1975 endlich stattgegeben wurde – unter der Auflage, dass nicht erwähnt werden durfte, wie oft er sich darum bemüht hatte.

Der Zwillingsbruder blieb zurück. Bernd Eisenfeld zog nach West-Berlin, um ihm zumindest räumlich nahe zu sein.

Er schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, publizierte, arbeitete in der politischen Bildung, aber er fand lange keine Festanstellung. Der Grund: die Stasi hatte das Gerücht gestreut, er befinde sich in ihrem Auftrag in West-Berlin.

Bernd Eisenfeld ließ sich in seinem Tun nicht beirren, er wollte sich für die „De-Legitimierung der DDR“ einsetzen, sachlich, denn er wusste, die Fakten sprachen für ihn. Er fand eine Anstellung am Gesamtdeutschen Institut, ab 1992 dann in der Gauck-Behörde.

Ihm war Unrecht geschehen, aber er verstand sich nie als Opfer. Nicht zuletzt, weil er genau wusste, dass ihm das bei der Aufarbeitung der Stasi-Verbrechen von den ehemaligen Tätern und deren Sympathisanten als „emotionaler Vorbehalt“ ausgelegt werden konnte. Nein, er blieb freundlich, sachlich, unaufgeregt. Es gab nur eins, worüber er sich, der in einer Diktatur groß geworden war, immer wieder wunderte: „Herrgott, wie können nur die Westdeutschen so miesegrämig sein.“ Gregor Eisenhauer

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