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Berlin: Lothar Klünner (Geb. 1922)

Er reimt sich was auf die Ungereimtheiten und bleibt ansonsten still

Der wahre Dichter? Der hängt seine Verse nicht an die große Glocke, der schüttelt sie, bis auch noch der letzte Rest Prosa sich verflüchtigt hat. Der wahre Dichter macht nicht den Preisochsen auf den Jahrmärkten der feuilletonistischen Viehtreiber, der scharwenzelt nicht um Juroren oder ritzt sich blutig, bis die Hyänen des Betriebs ihm hinterherhecheln. Der wahre Dichter gockelt nicht angekränkelt durch die Salons der gefühligen Damen, der wahre Dichter sitzt in der Kneipe, schreibt seine Verse auf Bierdeckel und schickt sie adresslos Richtung Rand des Universums, von wo sie postwendend zurückkommen.

Natürlich wird er so nicht berühmt, aber darauf kann er einen lassen, einen Reim nämlich. „Am Ende wirst du gefunden, selbst wenn du nichts findest, sofern du nur gräbst.“

Es war ihm nicht in die Wiege gelegt worden, dem Sohn eines Oberregierungsrats, der bürgerlich aufwuchs mit Dienstmädchen, Familienwappen, Messerbänkchen, Servietten im Silberring und dem Familienhund Butzel von Bärensprung. Sein Griechischlehrer wurde zum Reiseführer ins Musenland, führte ihn weg von den Hexametern, hin zum Schüttelreim.

„Ob auch die Krittlerschaft wie wild bellt, drastisch malt Schüttlerkraft die Bildwelt.“ Für Nichtschüttler ist diese Art des Reimens ein wenig albern, aber das war der Schöpfer der Welt ja auch.

„Der Schüttelreim hat keine Tugend. Sein Dichten und Trachten ist böse von Jugend auf. Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine, wenn er auf den Plan tritt. Nichts ist ihm heilig, nichts ist ihm wichtig, es sei denn der schöne Wechsel.“

Den erprobte Lothar Klünner alias Leo Kettler in allem, was er tat. Im Künstlerkabarett „Die Badewanne“ und in der „Quallenpeitsche“, auf den wilden Festen derer, die überlebt hatten, aber die im wirklichen Leben nicht ankommen wollten, und in den ruhigen Stunden des Dichtens. Die Surrealisten animierten zum Weltenwechsel, Apollinaire, Breton, und allen voran René Char, dessen Freundschaft er suchte und fand. „Das Gedicht ist die verwirklichte Liebe der Sehnsucht, die Sehnsucht blieb.“

Für andere sprach Lothar Klünner gern. Er erstellte ein Werkverzeichnis der Malerin Jeanne Mammen, er übersetzte Chagalls Autobiografie und immer wieder René Char. Übersetzen, das hält die Zunge gelenkig und lenkt ab vom eigenen Ego. Von Dichtern lernen heißt Schweigen lernen. Wozu hab ich Gedichte geschrieben, wiegelte er alle Fragen nach sich selbst ab, doch nicht, um über mich selbst zu reden.

„Wer immer zu dir drang durch die Riegel hinter der Stirn las er das Visum für das Land unterm Schnee.“

Der wahre Dichter ist der Mann einseitiger Stabilität. Immer auf der Bordsteinkante, wippend. Hier die Gosse, da der Olymp. Ein kleiner Schritt von hier nach da. Musen helfen weiter, geben Halt und führen. Bier und Cognac helfen „all die Jahre hindurch, die kein Echo kennen“.

Der wahre Dichter hat seine liebe Mühe mit der Wahrheit, die andere so gern in den Mund nehmen. Er reimt sich was auf die Ungereimtheiten und bleibt ansonsten still. Er arbeitet fürs Radio, vermittelt seiner Tochter die Lebensfreude, ist seinen Freunden ein guter Freund. Er lebt sparsam, verzeichnet in seinem immerwährenden Kalauerkalender die immer schlechter werdenden Scherze des Schicksals und lässt sich trösten. „Immer mit zwei Musen im Bunde, oder mit zwei Busen im Munde.“ Blödsinn wird Nonsens, der ahnen lässt: Da war doch mal was. Wenn nichts mehr singbar ist: „Bleiben die Spiele der Stammler“.

Ein wahrer Dichter, der stirbt ganz leise, damit das hinterbliebene Publikum endlich auf seine Verse hört.

„Narrenmund ich. Gerühmt sei, was narrt! / Zu preisen den Geist, der alles durchweht / das Unbekannte, Ersehnte / aus jener Welt nebenan! / Wie leben, ohne sich daran zu stoßen?“

Die Götter lassen ihre Lieblinge nicht ohne ein liebevolles Lächeln sterben: Es war der wärmste und sonnigste Oktobertag seit 140 Jahren. Gregor Eisenhauer

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