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Checkt euch bitte woanders! Kreuzberg braucht den Karneval der Kulturen nicht mehr, findet unser Autor.

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Polemik: Karneval der Kulturen? Sofort abschaffen!

Dass sich Jahr für Jahr an Pfingsten rund um den Blücherplatz ein niveauloses Volksfest breitmacht, ist schlimm genug. Dass es Vorbote einer besseren Welt sein will, macht es unerträglich. Berlin braucht den Karneval der Kulturen nicht mehr.

In der Kreuzberger Urbanstraße befindet sich seit Jahren ein kleiner Hindu-Tempel. In einem Kellerraum. Mehrere Altäre sind diversen Gottheiten gewidmet. Der Hauptgott heißt Sri Mayurapathy Murugan und wird außerdem noch im Süden Indiens sowie auf Sri Lanka verehrt. Man kann den Tempel von außen kaum erkennen.

Aber bis vor kurzem wurde Sri Mayurapathy Murugan einmal im Jahr feierlich durch die Straßen des Viertels getragen. Mehrere hundert Gläubige säumten dann den Weg. Familien in prächtigen Gewändern postierten sich mit Opfergaben an jeder Straßenkreuzung. Musiker tröteten, Trommler machten Tacka-di-tacka-di. Direkt vor unserer Haustür blieb der Umzug jedes Mal stehen. Es war sehr laut. Gebetsformeln plärrten aus einem Megafon. Und wir traten aus der Tür und hinzu. Es war wunderbar.

Manchmal bedarf es in Kreuzberg nur weniger Schritte, um in eine so fremdartige Welt zu wechseln, dass sie mit der eigenen nichts mehr zu tun hat.

Der Umzug war nirgends vorher angekündigt worden. Aber wer den tamilischen Kalender kannte, wusste vermutlich Bescheid. Mitten in Tabla-Rausch und Sitar-Wolke bekam man von den Staus, die sie verursachten, natürlich nichts mit. Die Menschen waren mit sich selbst beschäftigt, und das ist ein legitimer Grund, die öffentliche Ordnung zu stören.

Wer den Berliner Kulturkalender kennt, weiß, dass Kreuzberg über Pfingsten praktisch ein einziger Stau ist. Der Umzug wird jedes Mal angekündigt. Trotzdem gibt es kein Entkommen vor dem, was 1995 als Karneval der Kulturen mal sehr wohlmeinend begann. Wobei nicht der Straßenkarneval selbst das eigentliche Ärgernis ist, sondern das ihn begleitende Volksfest.

Vergeudeter Erfahrungsschatz der Migration

Checkt euch bitte woanders! Kreuzberg braucht den Karneval der Kulturen nicht mehr, findet unser Autor.
Checkt euch bitte woanders! Kreuzberg braucht den Karneval der Kulturen nicht mehr, findet unser Autor.

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Alles Temporäre in dieser Stadt hat seinen Reiz. Je kürzer es dauert, desto eindrucksvoller fällt es aus. Der Loveparade genügte ein Tag, dem Marathon reichen zwei halbe. Dass es aber für ein Straßenfest möglich ist, mehrere Hauptachsen des Bezirks tagelang für nichts weiter lahmzulegen als Bierlachen, Fettschwaden, Chinapfannen, Perlenbänder und Klangschalen, verwundert mich jedes Mal wieder. Terroristen hätten die Infrastruktur mit einem Anschlag nicht empfindlicher treffen können. Wie eine Bombe bricht das Pfingstbesäufnis über der Gegend rund um die Heilig-Kreuz-Kirche herein. Es hat keinen Bezug zu dem Ort, an dem es stattfindet, es ist nicht mal ein schöner Ort. Es platzt nur mitten hinein in den Alltag von Menschen, die in Ermangelung eines Kiezes nur zu gut wissen, wie wehrlos sie sind.

All das wäre vielleicht noch zu ertragen, wenn das Multikultifest nicht krampfhaft versuchen würde, mehr als ein Jahrmarkt zu sein. Der Spaß soll nicht um seiner selbst willen stattfinden, sondern als öffentliches Bekenntnis zu einer besseren Welt. Die performte Behauptung: Alles wäre besser, wenn es nur alle machten wie die Ethno-Gruppen und Weltmusik-Beseelten vom Blücherplatz. Scheußliche Vorstellung. Die siffen doch letztlich nur den Bürgersteig voll.

Die Idee vom fröhlichen Zeichensetzen – irgendwie ist sie ranzig geworden. Total Achtziger. Langweilt auch jeden. Abends sind die Massen sich selbst die größte Attraktion.

Berlin braucht so ein Festival nicht mehr. Jedenfalls nicht als Demonstration politischen Bewusstseins. Weil die Stadt längst ein lebendiges Multidings ist, dem nichts mehr so fremd ist, dass es zur Annäherung die Hilfe eines „urbanen Straßenfestes“ bräuchte. Ein Viertel der Berliner Bevölkerung hat seine kulturellen Wurzeln in einem anderen Land. Es sollte doch möglich sein, mit diesem Schatz an Migrationserfahrungen einfallsreicher umzugehen, als ihn an Essstände und Auftritte in Trommelgruppen zu vergeuden. Ich will es wilder, magischer, bilder- und geistreicher.

Übrigens gefällt es mir nicht, wie ein frustrierter Anwohner zu klingen. Aber es ist auch schwer geworden: Seit die Hindu-Gemeinde aus der Urbanstraße sich in Britz einen prächtigen Tempel mit knalligen Farben neu gebaut hat, genießt mein Viertel sogar den Schutz von Sri Mayurapathy Murugan nicht mehr. Der wird nun durch Gartenkolonien getragen. Soll das etwa fair sein?

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