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Offenes Bekenntnis. Tuvia Schlesinger, 59, ist Jude und Polizist. Normalerweise trenne er Dienst und Glauben, sagt er, am Sonntag machte er eine Ausnahme.

© Björn Kietzmann

Polizist mit Kippa: „Nicht ganz korrekt“

Der jüdische Polizist Tuvia Schlesinger hat im Dienst eine Kippa getragen. Das verstößt gegen das Neutralitätsgebot für Beamte. Doch Schlesinger glaubt, für sein Verhalten gute Gründe zu haben.

Sollte man als Jude in Berlin Kippa tragen? Für Tuvia Schlesinger ist diese Frage klar mit Ja zu beantworten. Bei einer Demonstration für die Straffreiheit der Beschneidung von Kindern trug der Polizist einen Button: „Haut ab! Kippa auf!“ Schlesinger will sich antisemitischen Drohungen nicht beugen und fordert andere Juden auf, es ihm nachzutun.

Allerdings war Schlesinger im Dienst, als er sich mit dem Button – und dann auf Wunsch von Fotografen auch noch mit Kippa – ablichten ließ. Ein durchaus bewusster Verstoß gegen das Berliner Neutralitätsgesetz von 2005. Danach sind sichtbare religiöse Symbole für Richter, Polizisten und Lehrer verboten. Das Gesetz war das Ergebnis einer heftigen Debatte um das Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen im Unterricht.

Schlesinger, 59 Jahre alt, seit mehr als 30 Jahren im Polizeidienst, ist sich bewusst, dass seine Aktion „nicht ganz korrekt war“. Das Neutralitätsgebot als Beamter findet er im Allgemeinen auch wichtig, in diesem speziellen Fall sei es aber „albern“, das Gebot gegen ihn anzuführen. „Ich will mir nicht verbieten lassen, die Kippa zu tragen, auch nicht von meinen Vorgesetzten. Ich steh' dazu, dass ich Jude bin, fertig.“

In der Debatte um die Beschneidung von jüdischen und muslimischen Kindern sei ein „Punkt erreicht: Bis hierhin und nicht weiter“. Zu viele „inkompetente Fachleute“ hätten sich zu Wort gemeldet. Das Tragen von Kippa und Uniform habe er nicht als politische Aktion geplant, erzählt Schlesinger.

Bei der Demonstration auf dem Bebelplatz sei er als Verbindungsmann zwischen dem Veranstalter und der Polizei eingesetzt gewesen. Fotografen hätten ihn gefragt, ob er eine Kippa dabei habe und sie aufsetzen könne. Das habe er dann gemacht. Im Alltag trage er als liberaler Jude keine Kippa, „nur zu Feiertagen in der Synagoge“.

Bildergalerie: Die Debatte um das Beschneidungsurteil

Tuvia Schlesinger ist nicht irgendwer. Er sitzt in der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde und im Rundfunkrat des RBB. Viele Jahre war er Vorsitzender des Sportvereins TuS Makkabi. Schlesinger wurde 1952 in Haifa geboren, als Sohn deutscher Emigranten. Die Familie des Vaters war im Holocaust umgekommen, die Mutter hatte versteckt in Berlin überlebt. Die Familie zog später zurück nach Deutschland.

Die Kippa-Aktion kann auch als Reaktion auf die Empfehlung des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Gideon Joffe, verstanden werden, in bestimmten Berliner Gegenden besser auf die Kippa zu verzichten. Joffe hatte seine Warnung nach dem Anschlag auf einen Rabbiner in Friedenau ausgesprochen. Schlesinger kritisiert – zusammen mit anderen Oppositionellen in der Jüdischen Gemeinde – Joffes Warnruf als „kontraproduktiv“ für die Identität der Mitglieder der Jüdischen Gemeinde. Es würde als Signal verstanden, sich zu verstecken. Juden müssten dagegen selbstbewusst auftreten. Joffe habe zudem den Dialog mit den Muslimen der Stadt abreißen lassen, im Gegensatz zu seiner Vorgängerin Lala Süsskind. Joffe wollte sich auf Anfrage nicht zu Schlesinger und seiner Kritik äußern.

Im Polizeipräsidium ist man unglücklich über Schlesingers Auftritt. Das Tragen der Kippa im Dienst sei schlicht verboten und in keiner Weise zu tolerieren. Auch seine Äußerungen – in Uniform – vor Fernseh-Journalisten, dass die Situation für Juden in Berlin immer schlimmer werde, stießen auf Empörung. Solche politischen Wertungen und Einschätzungen seien für Polizisten in der Öffentlichkeit tabu.

Dennoch wird Schlesinger dem Vernehmen nach nicht belangt – um nicht eine Diskussion anzufachen à la „Polizeiführung maßregelt jüdischen Beamten“. Nach dem Neutralitätsgebot sind nicht nur Kippa oder Kopftuch verboten, sondern auch Deutschlandfahnen. Bei der Fußball-WM 2006 hatte der damalige Polizeipräsident Dieter Glietsch den an zahlreichen Einsatzwagen angebrachten schwarz-rot-goldenen Schmuck verboten – und damit eine politische Auseinandersetzung ausgelöst. Der damalige Oppositionsführer Frank Henkel (CDU) hatte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) aufgefordert, das Verbot zurückzunehmen. Heute ist Henkel als Innensenator für die Polizei zuständig.

Die Landesvorsitzende der Berliner Bündnisgrünen, Bettina Jarasch, findet Schlesingers Kippa-Foto als „Zeichen der Solidarität“ gerechtfertigt. Es sei vergleichbar mit Aktionen zivilen Ungehorsams oder Kirchenasyl. „Das ist kein Anlass, das Neutralitätsgesetz wiederaufzurollen.“

Das Gesetz habe Ruhe in die Debatte um religiöse Symbole in der Öffentlichkeit gebracht. Ohne den Einzelfall einschätzen zu wollen, sagte der CDU-Innenpolitiker Robbin Juhnke: „Ich erwarte von Staatsdienern, dass sie sich in weltanschaulichen Fragen zurückhalten.“

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