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Potsdam: 17 Stockwerke und noch mehr Meinungen

In Potsdam tobt ein erbitterter Streit: Milliardär Plattner wollte eine Kunsthalle im Zentrum bauen an der Stelle des Großhotels. Er bekam böse Briefe, es gab Kritik. Der Mäzen zog sich zurück. Nun machen die Befürworter mobil – auch Günther Jauch.

Es war nur eine kleine Szene. Aber sie war bezeichnend für Potsdam und den Streit um die Kunsthalle, die der Softwaremilliardär Hasso Plattner (SAP) der Stadt schenken will. Vertreter der Linken holten auf der Sitzung des Bauausschusses ein altes Glas hervor, darauf abgebildet eine Silhouette: An den Seiten das Schloss Sanssouci, der Sommersitz des Alten Fritz, und Schloss Cecilienhof, wo die Alliierten 1945 Deutschland in Besatzungszonen aufteilten. Und in der Mitte thront das Interhotel, dazu der Schriftzug: „Bezirkshauptstadt Potsdam“. Ein Andenken aus DDR-Zeiten.

Dieser 17-Geschosser heißt heute Mercure-Hotel und um ihn ist in diesen Tagen ein erbitterter Streit entbrannt. Jetzt steht Potsdam an einem Scheideweg. Es geht um Vergangenheit und Zukunft, um die vermeintliche Spaltung zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen oder neuen Bürgersinn für diese seit Jahren wachsende Stadt.

Plattner, der Potsdamer Mäzen, der der Stadt die Fassade und das Kupferdach für das Landtagsschloss spendierte und schon Ende der 1990er sein Institut für Softwaresystemtechnik an der Universität Potsdam gegründet hat, wollte gern eine Kunsthalle in der Stadtmitte bauen. Im April kam diese überraschende Nachricht. Der Standort des Mercure-Hotels erschien schnell als optimal – das fand auch die Rathausspitze um Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD). Plattner hätte 45 Millionen Euro ausgegeben für das Grundstück, den Abriss und den Kunstbau. Die hätte seine Stiftung dann mit ostdeutscher Kunst der vergangenen sechs Jahrzehnte bestückt, dazu noch Werke aus Plattners Privatsammlung, vor allem der klassischen Moderne. Und der Bau im Lustgarten hätte vis-a-vis einen Kontrapunkt zum Schlossneubau und der wiederentstehenden historischen Mitte gesetzt. Die Furcht, Potsdam verkomme zu einem Puppenstädtchen mit seinen historischen Fassaden, mit viel Stuck und Putten, wäre genommen.

Hasso Plattner
Hasso Plattner

© Manfred Thomas

Aber es ist eben Potsdam. Während andere Städte auch um Plattners Kunsthalle buhlten, Filetgrundstücke anboten, den roten Teppich ausrollten, gab es in der brandenburgischen Landeshauptstadt Streit – um den Abriss des Mercure-Hotels, dessen wirtschaftliche Zukunft über 2013 hinaus völlig ungewiss ist. Plattner zog sich zurück, jetzt baut er seine Kunsthalle im Norden am äußersten Stadtrand, dort wo auf einem früheren Kasernen-Geländen ein SAP-Campus entsteht. Dort kann Plattner bauen, wie er will.

Besonders getroffen haben Plattner wohl die ablehnenden Stimmen der Potsdamer selbst, auch wenn die Kritiker wohl eine Minderheit sind: Von „Alteingesessenen“ habe er Briefe erhalten, die im Gegensatz zu den Zugezogenen den Abriss des 17-stöckigen Plattenbaus als Verlust von DDR-Geschichte sähen. Er habe vielfach den Vorwurf zu hören bekommen, „da kommt so ein reicher Pinkel und will uns was wegnehmen“. Auch werde ihm vorgeworfen, Arbeitsplätze im Hotel zu vernichten. Als Privatperson brauche er so etwas nicht, sagt Plattner. Schließlich seien die hohen Kosten des Vorhabens an explizit diesem Standort „angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage vieler Potsdamer“ nur schwer zu vermitteln.

Sogar Brandenburgs oberster Tourismusvermarkter Dieter Hütte hatte die Kunsthalle in der Stadtmitte zwar begrüßt, den Hotelabriss aber als bedenklich bezeichnet. Und mit der Weißen Flotte, die hinter dem Hotel an der Havel ihre Anleger für die Ausflugsschiffe hat, gibt es Konflikte um Baurechte.

Und dann ist da noch die Linke, seit der Wende stärkste politische Kraft in Potsdam. Sie will die Kunsthalle auch in der Stadtmitte haben, aber an anderer Stelle. Zwischenzeitlich forderten einige Genossen, aus dem Plattenbau ein Studentenwohnheim zu machen. Der Fraktionschef im Stadtparlament, Hans- Jürgen Scharfenberg, sagt, das Mercure sei ein Teil des Stadtbildes. „Es ist bestens platziert an dieser Stelle, wäre es nicht hier, müsste man eines hinstellen.“

Jetzt nach Plattners Rückzug aber hat die Stadt eine ungeahnte Welle der Unterstützung für eine zentral gelegene Kunsthalle und Empörung über die „Betonköpfe“ erfasst. Die Stadt ist in Aufruhr, viele einfache Bürger melden sich zu Wort, einige Kritiker sagen, es war alles gar nicht so gemeint. Architektur-Professoren der Fachhochschule haben einen Aufruf für die Kunsthalle im Lustgarten und für Plattners „großartiges bürgerliches Engagement“ gestartet. Für den heutigen Montagabend (19 Uhr, Alter Markt) haben Initiativen zu einer Demonstration aufgerufen, das Motto lautet „Aufstand der Vernunft“. Auch TV-Moderator und Wahl-Potsdamer Günther Jauch kommt und hat sogar seinen Urlaub verschoben – wegen der Kritik und der Schmähbriefe. „Plattner muss erfahren, dass eine überwältigende Mehrheit der Potsdamer sich über sein Engagement unbändig freut“, sagt Jauch. Die Kunsthalle am Lustgarten, „dieses Jahrhundertgeschenk" nicht anzunehmen, „wäre der Gipfel von rückwärtsgewandter Arroganz und größtmöglicher Dummheit“. Galeristen, Künstler, Filmproduzenten, Wirtschaftsbosse, Sportler, Prominente wie Regisseur Andreas Dresen appellieren an Plattner, seinen Rückzug zu überdenken.

Die Koalition im Rathaus hat eiligst einen Beschluss entworfen, der sich für den Standort am Mercure ausspricht. Zudem will die Stadt Plattner alle Konflikte mit der Weißen Flotte abnehmen und schnell Baurecht schaffen. Und für die 50 Beschäftigten des Mercure hat Oberbürgermeister Jakobs einen Beschäftigungspool und eine Jobgarantie mit Potsdamer Hotels und Verbänden gezimmert. Zu dem Paket gehören auch Gespräche mit Investoren über einen Alternativstandort in bester Lage schräg gegenüber an der Havel in der Speicherstadt. Plötzlich bewegt sich ganz viel. Rathauschef Jakobs sagt, er hoffe, dass Plattner sich noch umstimmen lässt.

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