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Bisexuelle demonstrieren auf dem San Francisco Pride 2015.

© Thomas Hawk/Flickr (https://www.flickr.com/photos/thomashawk/19072146538/)

"Bi Visibility Day": Die ignorierten Bisexuellen

Verwirrt, unentschlossen, aufmerksamkeitsheischend: Solchen Vorurteilen sind Bisexuelle noch immer ausgesetzt. Diskriminierungen gehen von Heteros wie Homos aus. Der heutige "Bi Visibility Day" soll das ändern.

"Ihre Eltern scheinen zu denken, dass Mädchen für Cara Delevingne nur eine Phase sind und sie könnten Recht haben" - das schrieb Rob Haskell vor zwei Monaten über das bisexuelle Topmodel in der US-amerikanischen "Vogue". "Meine Sexualität ist keine Phase. Ich bin, wer ich bin", stellte Cara Delevingne anschließend klar und löste einen Shitstorm von Bisexuellen gegen den Autor aus.

Bisexuelle als "Einhörner der sexuellen Orientierungen"

Die Behauptung, dass gleichgeschlechtliches Begehren nur eine Phase sei, kennen auch die meisten Schwulen und Lesben zu Beginn ihres Coming-Outs. Bisexuellen wird sogar oftmals die Existenz ihrer Sexualität abgesprochen.  Diese sei lediglich eine Vorstufe der Homosexualität und könne nicht als legitime und eigenständige Identität anerkannt werden. Bisexuelle - also Menschen, die sich von mindestens zwei Geschlechtern angezogen fühlen - sind nach dieser Auffassung also einfach nur verwirrt, unentschlossen, suchen Aufmerksamkeit oder sie lügen. Sie werden so zu "Einhörnern der sexuellen Orientierungen" gemacht, wie Margarete Stokowski in einer lesenwerten Kolumne in der "Taz" schrieb. "Fancy Shit, den es aber in echt nicht gibt. Angeblich."

Wenn Bisexualität mal nicht geleugnet wird, werden ihr oftmals bestimmte negativ konnotierte Eigenschaften zugesprochen. Solche spezifischen Stereotype werden von bisexuellen Aktivistinnen und Aktivisten seit einigen Jahren als "Biphobie" bezeichnet. Dazu gehört auch die umgekehrte Behauptung der gerade beschriebenen Leugnung der Existenz: Eine angebliche Allgegenwärtigkeit der Bisexualität ("Ein bisschen bi schadet nie", "Sind wir nicht alle ein bisschen bi?"). Unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt macht diese Unterstellung eine spezifische Bisexuellenfeindlichkeit und auch die Lebensrealität von Menschen, die sich als bisexuell bezeichnen, unsichtbar. Das Misstrauen gegenüber Bisexuellen wird dadurch ebenfalls nicht geringer.

Eine Unterstellung: Alle Bisexuellen seien promisk

Ein zentrales Vorurteil der genannten Biphobie ist beispielsweise die Unterstellung, alle Bisexuellen seien promisk. Damit verbunden wird Bisexuellen aberkannt, funktionierende monogame Beziehungen führen zu können. Diese könnten ja gar nicht anders, als untreu zu sein, und müssten immer mindestens eine Partnerin und einen Partner haben. Sie seien gierig, nicht vertrauenswürdig, könnten nicht genug bekommen und würden das Beste aus der "Hetero-Welt" und der "Homo-Welt" wollen. Dieser Promiskuitätsvorwurf suggeriert zudem, dass es problematisch sei, mehrere Partnerinnen und/oder Partner zu haben.

Das Problem hierbei ist die Verallgemeinerung auf eine gesamte Gruppe - einzelnen Individuen wird aufgrund einer Gruppenzugehörigkeit ein bestimmtes Verhalten zu- oder abgesprochen. Bei tatsächlich oft wechselnden Partnerinnen und Partnern sind (bisexuelle) Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft schwerer von Diskriminierung betroffen als (bisexuelle) Männer. Sie werden als sexuell verfügbar betrachtet, als unmoralisch dargestellt und mit gewaltvollen Bezeichnungen beleidigt, die dem sexuellen Selbstbestimmungsrecht der Frauen entgegenstehen. Verstärkt werden diese Ressentiments durch eine übersexualisierte Darstellung von Bisexuellen in den Medien, die nur einen Teil der Realität darstellen.

Im Fernsehen kommt Bisexualität kaum vor

Üblicherweise kommen Bisexuelle in den Medien allerdings gar nicht vor. Die britische LGBT-Organisation Stonewall fand in 168 Stunden Hauptsendezeit der BBC keine einzige Erwähnung von Bisexualität oder Darstellung von bisexuellen Charakteren. Lediglich in 0,07 Prozent von 126 Stunden ausgewertetem Jugendfernsehen verschiedener Sender fand eine Thematisierung von Bisexualität statt, allerdings keine positive und realistische. Dies entspricht nur 1,4 Prozent des Materials, das sich insgesamt mit Schwulen, Lesben und Bisexuellen befasste.

Selbst Google sperrte das Wort "bisexuell" jahrelang in seiner Autovervollständigung und behandelte es damit als Schimpfwort. Bisexuelle Unsichtbarkeit entsteht schon dadurch, dass Bisexuelle nicht über das Geschlecht ihrer Partnerinnen und Partner definiert werden können. Eine bisexuelle Frau wird beispielsweise in einer Beziehung mit einer Frau als lesbisch angesehen und in einer Beziehung mit einem Mann als heterosexuell. Beim Betrachten eines gleichgeschlechtlichen und eines verschiedengeschlechtlichen Kusses wird nicht bedacht, dass alle Beteiligten bisexuell sein könnten.

Selbst "Orange Is The New Black" drückt sich um eine klare Position

Ein positives Gegenbeispiel zu dieser Unsichtbarkeit könnte die erfolgreiche Netflix-Serie "Orange Is The New Black" sein, die Geschlecht und Sexualität in vielfältigen Weisen zeigt sowie weiße und heterosexuelle Privilegien thematisiert. Frauen werden als eigenständige und von Männern unabhängige Charaktere gezeigt, auch lesbische, bisexuelle und transgeschlechtliche Figuren und Schauspielerinnen gehören zum Hauptcast der Serie. Die Hauptrolle Piper Chapman ist zu Beginn der ersten Staffel mit einem Mann verlobt und hatte eine länger zurückliegende Beziehung mit einer Frau, mit der sie im Laufe der Serie wieder zusammenkommt.

Der Umgang mit ihrer Bisexualität ist ein zentraler Konflikt der ersten beiden Staffeln, das Wort "bisexuell" wird in den gesamten drei Staffeln allerdings kein einziges Mal ausgesprochen. Von anderen Charakteren wird sie mehrfach als "lesbisch", "ex-lesbisch" oder "hetero" bezeichnet, die hetero/homo-Binarität wird somit nicht aufgehoben. Diese Benennungen verstärken nicht nur eine Ausradierung der Bisexualität, sondern spielen im zweiten Fall auch Homophoben in die Hände, nach denen eine lesbische Frau "geheilt" werden könne oder heterosexuell werden könne, wenn sie einen passenden Mann findet.

Die Serie überzeugt mit realistischen Darstellungen von Menschen abseits der Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit, schafft es aber dennoch nicht, die Bisexualität der Protagonistin zu benennen. So wird der Bisexualität der Status als eigenständige, von Homo- und Heterosexualität getrennte Identität abgesprochen. Sie wird als Phase missverstanden, was biphobe Stereotype befördern kann.

Warum Bisexuelle auch von Homos diskriminiert werden

Um auf diese Unsichtbarkeit und eine spezifisch antibisexuelle Diskriminierung aufmerksam zu machen, wird seit 1999 am 23. September der Bi Visibility Day, auch Celebrate Bisexuality Day genannt, begangen.

In Paris gibt es sogar einen Bi Pride

Bisexuelle Aktivistinnen und Aktivisten aus Europa, Nordamerika und Australien organisieren in diesem Jahr Veranstaltungen wie Vorträge und Diskussionen, Filmvorführungen, Stammtische, Workshops und Kundgebungen. In Paris findet sogar ein eigener bisexueller Pride statt. Rund um den Aktionstag veranstalten die US-amerikanischen Gruppen BiNet USA und GLAAD die sogenannte "Bisexual Awareness Week" mit ähnlichen Inhalten.

Die Schauspielerin Evan Rachel Wood machte gerade mit einer Tweetserie auf diese Woche aufmerksam, im Rahmen derer sie von biphoben Erfahrungen berichtete. "Bisexuelle sind die größte Gruppe innerhalb der LGBT-Community und werden dennoch schwer anerkannt", stellte sie fest. "Oftmals spüren sie, dass kein Platz für sie da ist, was zu bedeutenden Gesundheitsproblemen führen kann."

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Gemeinsam ist allen bifeindlichen Stereotypen, dass sie sowohl unter Heterosexuellen als auch unter Homosexuellen verbreitet sind. Zudem wird nicht nur von der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft ein Coming-Out verlangt, auch innerhalb der LGBT-Communities fühlen sich Bisexuelle oftmals zu einem solchen Schritt gedrängt.

Ein anderer Vorwurf: Zu feige, um sich "richtig" zu outen

Besonders verbreitet ist hier der Vorwurf, Bisexuelle seien eigentlich Lesben oder Schwule, die heterosexuelle Privilegien genießen wollen und nur zu feige seien, um sich "richtig" zu outen. Sie werden von Schwulen und Lesben häufig nicht akzeptiert oder ernstgenommen, über ihre Sexualität wird sich lustig gemacht - oder sie wird delegitimiert, wenn behauptet wird, dass durch Bisexualität schwul-lesbische Politik verraten wird.

"Ich kann euch versichern, dass heterosexuelle Privilegien, die ich manchmal habe, durch Biphobie getilgt werden", schreibt Evan Rachel Wood dazu auf Twitter. Eine bisexuelle Frau gilt entweder als Hetera, die nach Aufmerksamkeit sucht, oder als Lesbe, die ihre richtige Sexualität versteckt. Auch der Vorwurf, mit der Bezeichnung als bisexuell würde man die normative Zweigeschlechtlichkeit verstärken, kommt meist von anderen Nicht-Heterosexuellen. Dabei wird jedoch völlig verkannt, dass die Konzepte heterosexuell, lesbisch und schwul ebenfalls von genau zwei Geschlechtern ausgehen.

Evan Rachel Wood macht mit Tweets aufmerksam

Die Diskriminierungen durch Schwule und Lesben werden von Bisexuellen als besonders verletzend beschrieben, da diese sich meist der LGBT-Community zugehörig fühlen und sich Unterstützung und Sicherheit durch andere Betroffene von Homophobie erwarten.

Auch dazu twitterte die Schauspielerin Wood: Sie habe ähnliche Erfahrungen wie Schwule, Lesben und Transgender gemacht, unter Panik, Scham und Depression gelitten. Nach ihrem bisexuellen Coming-Out fühlte sie sich, als würden Menschen wieder über sie urteilen, nur aus anderen Gründen. "Es fühlt sich immer noch so an, als müssten wir uns selbst und unsere Würdigkeit ständig innerhalb der Community beweisen."

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Dies gilt bereits seit dem Entstehungspunkt der Lesben- und Schwulenbewegung. Obwohl Bisexuelle und Transgender etwa beim New Yorker Stonewall-Aufstand 1969 zahlreich vertreten waren, sind diese dort bis heute kaum sichtbar und von Diskriminierung betroffen. Dies beginnt bei fehlender Repräsentation und kann bis zum Ausschluss aus schwul-lesbischen Räumen oder von schwul-lesbischen Veranstaltungen und Sportteams gehen.

Biphobie kann fatale Folgen haben

Biphobie und Unsichtbarkeit von Bisexualität können fatale Folgen für Betroffene haben. Zunächst kann internalisierte Biphobie dazu führen, sich zu einer Entscheidung zu einer monosexuellen - also hetero- oder homosexuellen - Identität zu drängen und eigene Gefühle zu verleugnen. Gerade gegenüber dem Gesundheitswesen kann die Unsichtbarkeit ein Coming-Out erschweren.

Mehrere Studien ergaben, dass Bisexuelle die höchsten Raten an Angststörungen und Depressionen und gleich hohe oder noch höhere Suizidalitätsraten als Homosexuelle haben. Sie erhalten eine geringere Unterstützung der Familie und negativere Rückmeldungen aus dem Freundeskreis als Lesben und Schwule. Bisexuelle Männer haben zudem öfter ihre sexuelle Identität als Grund für selbstverletzendes Verhalten angegeben als homosexuelle Männer.

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In allen Untersuchungen wurden die Ergebnisse dabei mit Biphobie und Unsichtbarkeit von Bisexualität verknüpft. Zudem sind bisexuelle und lesbische Frauen einem noch größeren Risiko als heterosexuelle Frauen ausgesetzt, belästigt zu werden oder sexualisierte Gewalt zu erfahren. Gerade bei jungen Menschen kann Exklusion und Diskriminierung zu einem niedrigen Selbstwertgefühl führen. An diese Menschen hat Evan Rachel Wood den letzten Tweet ihres Statements gerichtet: "Wir existieren. Lass dich von niemanden wertlos machen. Niemand außer dir kennt deine Reise."

- Der Autor studiert im Master Soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er twittert unter dem Namen @Freddy2805.

Mehr LGBTI-Themen erscheinen auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels. Themenanregungen und Kritik gern im Kommentarbereich etwas weiter unten auf dieser Seite oder per E-Mail an: queer@tagesspiegel.de. Unter dem Hashtag #Queerspiegel können Sie twittern, zum Feed geht es hier.

Frederik Schindler

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