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Berlin: Sing, Angie, sing!

Am Sonntag feiert die Neuköllner Oper Premiere mit „Angela. Eine Nationaloper“– im U-Bahnhof Reichstag

Von Claudia Keller

Eine Angela-Merkel-Oper? Muss das sein, hatte man noch gedacht, als man die Betonstufen hinunterstieg. Ist die arme Angela nicht schon genug verspottet worden? Was Seriöses kann ja wohl kaum herauskommen, hier unten zwischen Pfützen, Gummistiefeln und Dixi-Klohäuschen. Dann geht es noch weiter runter, rechts und links vorbei an breiten Ausschachtungen. Hier würde jetzt die U-Bahn reinrauschen, wenn Berlin mehr Geld hätte. So aber singt hier einer mit blonder Fönwelle „Das ist Angie, die Schlange, wem wird da nicht bange!“. Eine vollschlanke Frau antwortet: „Drei Dinge sind klar: Ich will in den Bundestag, ich will die Einheit, ich will die Marktwirtschaft“, worauf wiederum eine Gruppe von Männern und Frauen ein „Jesses, Jesses!“ anstimmt.

Aber das kommt später. Erst mal steht man vor einer weißen Wand aus dicker Plastikplane. Jede Menge Leute huschen heraus und herein, manche in schwarzen Anzügen, andere in Cocktailkleidern. Eine Frau in schwarzer Abendrobe mit ausgreifendem Rock und dunkelroten Haaren rudert auf ihren Stöckelschuhen allerdings eher als dass sie huschen würde. Das ist Angela.

Auf der anderen Seite der Plane erstreckt sich so weit das Auge reicht ein geblümter Teppichboden: roter Untergrund, große grün-graue Blüten aus geometrischen Halbrunden. Ein Pril-Blumen-Reich. Darauf stehen große Schaukästen, denen das Glas fehlt und ein paar Stühle mit braunem Bezug. Das ist die Bühne. Sah so die DDR aus?

Links von der Bühne zieht sich die Zuschauertribüne mit 400 blauen Plastiksitzen hoch. Rechts begrenzt eine Betonmauer die Bühne. Auf der Mauer sitzt das Orchester und stimmt die Instrumente. Die Mauer ist oben so breit, dass dadurch eine zweite Bühnenebene entsteht.

Seit zwei Wochen proben die Künstler von der Neuköllner Oper täglich hier im U-Bahnhof Reichstag zwischen Kanzleramt und Paul-Löbe-Haus. „Ich bin froh, wenn ich abends rauskomme. Ist ein komisches Gefühl hier“, sagt der Mittdreißiger in schwarzer Lederhose. Das ist Nils Steinkrauss, der Dramaturg. Er schaut nach oben zu der schweren Betondecke, die nicht gerade hoch hängt und auf die Pril-Blumen drückt. Und dann noch der Regen. Fast hätte Angela nasse Füße bekommen, der Teppich, alles wäre hin gewesen. Aber es hat dann doch nur hier und da reingeregnet. Hätte man nicht einfach im stadtbekannten Opernhaus in Neukölln bleiben können? „Auf keinen Fall“, sagt Nils Steinkrauss, „wir wollten nicht, dass die Leute denken, dass das eine Slapstick-Nummer wird.“ Es musste ein Ort gefunden werden weit weg von den „Krötzkes“, der wohl bekanntesten Inszenierung der Neuköllner Oper. Und gleichzeitig nah an der Macht, nah an jenem unbekannten Wesen, das man in dichter Konzentration hier im Regierungsviertel vermutete.

Und dann geht das Drama von der Macht und dem Mädchen auch schon los. Die erste Szene verspricht genau den Slapstick, den man vermeiden wollte: Angela, das heißt Kathrin Unger, frohlockt „ich komme, ich komme, ich komme“ um dann mit abgesenkter Stimme anzufügen „aus der Sauna und gehe jetzt in den Westen“. Von oben raunt der Chor, der die geifernde Journalisten-Meute darstellen soll, „Wahnsinn! Wahnsinn! Wahnsinn!“. Und wenn sie dann alle aufmarschieren, die Bösen von der CDU/CSU, die Angela das Leben so schwer machen, fühlt man sich ein bisschen wie im Kabarett: der ewig beleidigte Roland Koch, Wolfgang Schäuble im Rollstuhl, Michael Glos mit Stehkragen. Unglaublich, wie gut die Politiker getroffen sind: Stoibers Steifheit, Westerwelles Showtalent.

In den folgenden eineinhalb Stunden schickt uns die Neuköllner Oper durch alle Hochs und Tiefs der Angela Merkel aus den vergangenen drei Jahren: die Kämpfe mit Schäuble und Koch, die Siegerrunden auf den Regionalkonferenzen bis hin zum Showdown mit Stoiber in Wolfratshausen. Ein Wechselbad mit Zwölftonmusik, Kinderliedern und Schlagern, Jazzrhythmen und Chorälen. Und es funktioniert. Immer mehr zieht einen die Musik in das Schicksal dieser Frau hinein, die sich auf das Spiel mit der Macht einlässt und dennoch fürchtet, die Identität zu verlieren. Die mutig ist und hoch hinaus will und verzweifelt und dann doch nie aufgibt.

Die Kollegin vom Fernsehen rutscht ganz aufgeregt auf ihrem Stuhl hin und her. „Total spannend“ findet sie das alles. Sie ist Parlamentskorrespondentin und kennt Angela Merkel. Sie ist überrascht, wie viele Anspielungen in dem Bühnenstück stecken. Und wie gut getroffen die Angela ist.

Hunderte von Interviews, Dokumentationen, Auftritte der Politikerin habe er sich angeschaut, sagt Frank Schwemmer, der die Musik komponiert hat. Er lacht. Zuerst dachte er, Angela könnte ein Mezzo-Sopran sein oder gar eine Altstimme. Aber die Stimme der Politikerin überschlage sich leicht, also doch ein klarer Fall für eine Sopranistin. Für Robert Lehmeier, den Regisseur, ist Merkel „absolut undurchschaubar“.

Es ist Probenpause. Die Sänger haben sich Mäntel und Pullis über die Abendrobe gezogen, doch ein bisschen klamm hier zwischen dem Beton. In das Klavier hat man Reissäckchen gegen die Feuchtigkeit gelegt. Ein Musiker will wissen, ob die Töne verschwimmen vor lauter Hall im U-Bahnhof. Aber der Teppich wirkt und schluckt eine ganze Menge.

Noch zwei Tage bis zur Premiere. Es läuft wie geschmiert. Nur einmal muss unterbrochen werden, denn Stoiber kriegt die Klappe nicht auf. Durch diese soll er zu Angela hinabsteigen und singen: „Von den blauen Bergen kommen wir“. Sie wollten mal eine wirklich „zeitgenössische“ Oper auf die Bühne bringen, erklärt Nils Steinkrauss hinterher auf dem Weg zum Ausgang. Warum immer nur die selben alten Macbeths nehmen? Stimmt eigentlich. Machthunger, Neid und Einsamkeit haben ohnehin die Jahrhunderte überlebt. Zur Premiere am Sonntag wird Angela Merkel nicht kommen. „Aber, wer weiß“, sagt Steinkrauss, vielleicht besucht sie uns zu einer späteren Aufführung.

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