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Viele Fragen. Von Innensenator Frank Henkel und seinem Vorgänger Ehrhart Körting werden Antworten im Fall des V-Mannes erwartet.

© dpa

Skandal um Berliner V-Mann: Neonazi kam durch Sicherheits-Check

Im Fall des mutmaßlichen NSU-Helfers und V-Mannes Thomas S. wird Kritik an Berlins Ex-Innensenator Ehrhart Körting und seinem Nachfolger Frank Henkel laut. Auch das Verhalten der Bundesbehörden wirft Fragen auf. Die Akte hat Skandalpotential.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat den mutmaßlichen Helfer der Zwickauer Terrorzelle NSU, Thomas S., in den Jahren 2008 bis 2009 offenbar einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Dabei seien keine Gründe gegen eine Einstellung in einem sicherheitsrelevanten Beschäftigungsverhältnis festgestellt worden, berichtet die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“. S., der sich bei einer Firma beworben haben soll, die mit Bundes- und Landesverschlusssachen zu tun hatte, habe glaubhaft machen können, dass er sich von der rechtsextremistischen Szene gelöst habe. Dass er bis 2011 Informant des Berliner Landeskriminalamts in der rechten Szene war, sei dem Bundesamt für Verfassungsschutz nicht bekannt gewesen.

Der Berliner Grünen-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland hat wegen Thomas S. noch weiteren Aufklärungsbedarf. Seine Fragen richten sich an Innensenator Frank Henkel (CDU) und besonders an seinen Amtsvorgänger Ehrhart Körting (SPD). In dessen Amtszeit fiel der am Donnerstag bekannt gewordene Vorgang, wonach der Spitzel 2002 der Berliner Polizei einen Hinweis auf das Thüringer Trio gegeben hat. Insgesamt soll der Mann zwischen 2001 und 2005 dem LKA fünf Mal über Vorgänge berichtet haben, die nach heutiger Kenntnis dem Komplex NSU zuzuordnen sind. Der Rechtsextremist war 2000 angeworben worden, da er gut in der braunen Musikszene vernetzt war.

Nach Auffassung Wielands, der Obmann der Grünen im NSU-Bundestagsuntersuchungsausschuss ist, muss überdacht werden, ob Körting noch der richtige Mann in der vierköpfigen Bund-Länder-Kommission ist, die die Versäumnisse der Behörden bei der Neonazi-Mordserie aufarbeiten soll. „Da ist er in der Dorfrichter-Adam-Rolle und muss die Fehler in der Behörde während seiner eigenen Amtszeit untersuchen“, sagte Wieland. Auch der Innenexperte der Grünen im Abgeordnetenhaus, Benedikt Lux, hat Bedenken: Körting solle sein Amt ruhen lassen, bis alle Fakten geklärt sind.

Wieland will unter anderem von Körting wissen, ob dem LKA bekannt war, dass S. dem Terror-Trio 1997 Sprengstoff geliefert hat. Auch soll der frühere Innensenator darüber Auskunft geben, ob die Hinweise an die Behörden in Thüringen oder Sachsen weitergegeben wurden, und warum S. bei der Polizei und nicht beim Verfassungsschutz als V-Mann geführt wurde. Henkel wiederum solle dem Ausschuss Auskunft darüber geben, warum er im März auf eine Abfrage des Untersuchungsausschusses in den Bundesländern, ob es Verbindungen zur Terrorzelle gibt, falsche Angaben gemacht hat. Auch der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) hatte Henkel bereits vorgeworfen, die Aufklärung zu verschleiern.

Im März taucht eine brisante Akte auf.

Im Hause des Innensenators wollte man am Sonnabend das Thema nicht kommentieren, sondern verwies auf die Sondersitzung des Innenausschusses am Dienstag. Unklar bleibt deswegen auch, warum Henkel am Donnerstag im Abgeordnetenhaus sagte, erst an diesem Tag mit dem Vorgang „konfrontiert“ worden zu sein, er aber schon seit März informiert war. Auch warum Innenstaatssekretär Bernd Krömer in einem Interview nur eine Anfrage des Bundestags-Untersuchungsausschusses Juli erwähnte und nicht die von März, bleibt unbeantwortet.

Die Berliner Behörden nennen für dieses Jahr folgende Chronologie: Am 7. März legte die Generalbundesanwaltschaft den Ländern eine Liste mit Namen und teilweise Fotos von Personen vor, gegen die im NSU-Komplex ermittelt wird, und bat um Mithilfe. Ein V-Mann-Führer erkannte an diesem Tag Thomas S., noch am selben Tag wurde die Akte aus dem Panzerschrank gesucht. Am 8. März wurde Polizeivizepräsidentin Margarete Koppers informiert, am 9. März Innensenator Henkel. Die Brisanz der Akte sei sofort erkannt worden, hieß es bei der Polizei. Am 20. März flogen Koppers sowie die Leiter des Landeskriminalamts und des polizeilichen Staatsschutzes nach Karlsruhe und berichteten ausführlich. Ende März kamen Ermittler der Bundesanwaltschaft nach Berlin und sahen die Akten ein – sämtlich und vollständig. Im Mai übersandte Berlin die Ergebnisse der Aktenauswertung zudem schriftlich nach Karlsruhe. Dass die Öffentlichkeit nicht informiert wurde, sei selbstverständlich, hieß es – um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Der NSU-Fall sei schließlich das wichtigste Verfahren seit Jahren. Mit der Bundesanwaltschaft wurde verabredet, dass diese für die Weiterleitung der Informationen zuständig sei.

Das sieht die Opposition anders. Grünen-Innenexperte Benedikt Lux wirft Henkel vor, „von sich aus nichts gesagt zu haben“. Dies hätten keine Details und keine Geheimnisse sein müssen, sagt Lux, nur die Information, dass es eine Spur nach Berlin gibt. Demgegenüber sagte SPD-Innenexperte Thomas Kleineidam, dass er nach derzeitigen Kenntnisstand keinen Anlass für Vorwürfe gegenüber Henkel sieht.

Dass die Polizei nun betont, im März dieses Jahres, schnell reagiert zu haben ist das Eine. Das Andere ist, dass der Vermerk in der Akte zu Thomas S. Skandalpotential hat. Man müsse die Ermittlungen der Bundesbehörden abwarten, hieß es. Dementiert wurden allerdings im Präsidium Medienberichte, dass Berlin den Thüringer Verfassungsschutz über die Ergebnisse zu Thomas S. informiert habe. Dazu finden sich in der Akte auch keine Hinweise. Allerdings soll es durchaus einen Austausch mit Thüringer Sicherheitsbehörden gegeben haben – allerdings nur zu dem Komplex rechtsextremer Musik.

Von den Vorgängen um den V-Mann Thomas S. hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) seinen Angaben zufolge ebenfalls erst am Donnerstag im NSU-Untersuchungsausschuss erfahren. Der Anwalt von Hinterbliebenen, Mehmet Daimagüler, der zwei Familien vertritt, forderte unterdessen den Rücktritt Henkels. (mit dapd)

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