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Neuer Club: Rot und golden lieb’ ich sehr

Retroschick mit Stil: Das neue Astra in Friedrichshain könnte der In-Club des Sommers werden. Investorenpläne für eine Wohnsiedlung scheiterten vorerst, stattdessen spielt am Sonnabend die Electroclash-Ikone Peaches.

Wo vor kurzem noch ein isländischer Investor ein Fairtrade-Zentrum mit autofreier Wohnsiedlung bauen wollte, hält jetzt das Kultur- und Partyleben Einzug. Star-DJ Paul van Dyk ist gerade mit seiner Partyreihe „Vandit Night“ vom Kesselhaus der Kulturbrauerei ins neue Astra umgezogen. Und die Electroclash-Ikone Peaches tritt hier am heutigen Sonnabend um 21 Uhr auf.

Rückblende. An einem Mittwochabend Ende April auf dem Gelände des Reichsbahnausbesserungswerks (RAW) in Berlin-Friedrichshain. Während sich draußen das erste Wärmegewitter dieses Jahres über das frisch gesäte Gras ergießt, ist es drinnen trocken, heiß und rappelvoll: das Astra Kulturhaus in der Revaler Straße 99 feiert Einweihung.

Hinter einem trostlosen Antlitz aus baufälligen Gebäuden und Bauzäunen verbirgt sich eine Konzerthalle mit Stil: 1500 Menschen sind zum Konzert von The Whitest Boy Alive gekommen, um die Sehnsuchtsmelodien des deutsch-norwegischen Popquartetts, die im Radio rauf und runter laufen, einmal live zu hören. Studenten in hautengen Hosen und Schlabbershirt tanzen auf edlem Parkettboden neben Mittdreißigern in rosa Hemd, Krawatte und Seitenscheitel. Die Wände sind golden und bordeauxrot. Die Decke und Holzvertäfelung stammen noch aus DDR-Zeiten, als hier das RAW-Kulturhaus residierte, genau wie die Bühne, auf der Frontmann Erlend Øye gekonnt die Rampensau mimt. Im hinteren Teil des Clubs strahlt eine Bar mit 50er-Jahre-Lampen und blau-schwarz gemusterter Tapete Wohnzimmeratmosphäre aus. „Wir werden hier legendäre Goldloungepartys schmeißen“, scherzt der fürs Programm zuständige David Gruber in Anspielung auf die goldenen Wände.

Eins ist schon jetzt sicher: Das Astra Kulturhaus kommt am richtigen Ort zur richtigen Zeit in richtiger Form. Zwischen der Warschauer Brücke und dem Kneipenviertel an der Simon-Dach-Straße ist es zentral gelegen. Außerdem ist die Zeit hier mehr als reif für ein weiteres Konzerthaus. Inhaber Torsten Brandt weiß das, ihm gehört schließlich das Lido, ein beliebter Liveclub auf der anderen Seite der Spree. Die Konzert- und Festivalbranche boomt. Noch nie war das Festival „Rock am Ring“ trotz fehlenden Headliners so früh ausverkauft wie dieses Jahr, Madonna brach mit den Ticketverkäufen zu ihrer Tour 2008 ihren eigenen Rekord, in Spanien waren 90 000 U2-Tickets nach nur 54 Minuten vergriffen.

Das unterstützt die Branchenthese, dass die Menschen gerade in Krisenzeiten unterhalten wollen werden. Ausverkaufte Konzerte sind immerhin eins der intimsten Erlebnisse, die man in der anonymen Großstadt Berlin mit seinen Mitmenschen teilen kann. Man rückt gerne zusammen, wenn die Welt draußen zu bröckeln scheint, und auch deswegen hat die Astra-Eröffnung fast schon Symbolcharakter.

Was aus den Plänen des isländischen Investors Kapital North geworden ist, weiß niemand so genau – auch David Gruber nicht. „Unser Zwischennutzvertrag läuft zehn Jahre – danach sieht man weiter“, sagt Gruber. Auf dem Areal haben sich mit den Jahren diverse Vereine, der Cassiopeia-Club, eine Skatehalle sowie ein Kletterturm angesiedelt, die Wände baufälliger Gebäude sind beliebte Übungsstellen für Graffiti-Sprüher. Seit man von den Investorenplänen weiß, ist das 70 000 Quadratmeter große Areal Austragungsfläche eines Interessenkampfes. Doch mit den jüngsten Entwicklungen scheint der vorerst vom Tisch: So darf auch der Betreiber des 1994 gegründeten Techno- Kunst-Treffs Suicide Circus auf dem Gelände seine Geschichte fortsetzen. Auch er feierte vor kurzem Wiedereröffnung. Mindestens fünf Jahre darf er bleiben. Kulturleben anstelle einer neuen Wohnsiedlung. Die Krise macht’s möglich.

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