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Berlin: Sürücü-Schwester kämpft weiter um das Sorgerecht

Familie will Widerspruch einlegen und Sohn der ermordeten Hatun zu sich nehmen. Am Mittwoch jährt sich der Tag des Mordes

Von Sabine Beikler

Mit mehreren Schüssen in Kopf und Oberkörper wurde sie von ihrem eigenen Bruder „im Namen der Ehre“ ermordet. Zum zweiten Mal jährt sich an diesem Mittwoch der Tag des Verbrechens an Hatun Sürücü. Ihr kleiner Sohn Can lebt seitdem bei Pflegeeltern in Berlin. Hatuns Schwester Arzu hatte im April vergangenen Jahres das Sorgerecht für ihren Neffen beantragt, das vom Vormundschaftsgericht im Dezember abgelehnt worden war. „Arzu wird gegen die Gerichtsentscheidung Widerspruch einlegen“, sagte am Sonntag Zakaeira Wahbi, Familienhelfer der Sürücüs, dem Tagesspiegel.

Die Bilder des Mordes und vom Tatort in der Tempelhofer Oberlandstraße erregten Aufsehen in ganz Deutschland: Die Deutsch-Türkin Hatun Sürücü musste sterben, weil sie westlich lebte. Die 23-Jährige war in Berlin aufgewachsen, doch als 15-Jährige mit einem Cousin in der Türkei verheiratet worden. Nach der Geburt ihres Sohnes 1999 weigerte sie sich, wieder in die Türkei zurückzukehren. Die 23-Jährige legte ihren Schleier ab, schnitt die Haare kurz, nahm sich eine eigene Wohnung und begann eine Lehre als Elektromechanikerin.

Das war „zu viel“ für ihre erzkonservative Familie aus der kurdischen Provinz Erzurum, in der mehrmals täglich nach sunnitischem Ritus gebetet wurde. Vor ihrem Tod hatte Hatun zaghaft versucht, sich ihrer Familie wieder anzunähern. Manchmal empfing sie sogar ihren jüngsten Bruder und späteren Mörder zu Hause, wo dieser mit Can spielte.

Dass ein Familienrat diesen Mord beschlossen haben könnte, konnte vom Gericht nicht nachgewiesen werden. Der 20-jährige Ayhan Sürücü wurde im April 2006 zu einer Jugendhaft von neun Jahren und drei Monaten verurteilt, die beiden älteren mitangeklagten Brüder Mutlu und Alpaslan aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Diese „lebenslustige junge Frau“, sagte Richter Michael Degreif am Berliner Landgericht, musste sterben – „weil sie ihr Leben lebte, so wie sie es für richtig hielt“. Noch im Gerichtssaal jubelten direkt nach dem Urteilsspruch Freunde und Verwandte der Sürücü-Familie den drei Brüdern im Panzerglaskasten zu. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen dieses Urteil Revision eingelegt, die zurzeit vom Generalbundesanwalt geprüft wird.

Arzu Sürücü, Hatuns Schwester, spricht perfekt Deutsch, doch möchte sie am liebsten gar nicht mehr mit Fremden sprechen. Sie habe sich in der Vergangenheit oft missverstanden gefühlt, sagt sie ohne nähere Ausführungen.

In Gedenken an ihre Schwester Hatun organisiert die Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus am kommenden Mittwoch um 10 Uhr eine Mahnwache an der Oberlandstraße/Ecke Oberlandgarten. Dort wurde am 7. Februar 2005 Hatun Sürücü erschossen. Ob sie an der Gedenkfeier teilnehmen wird? „Ich gehe nicht hin. Ich mache das auf meine Weise“, sagt Arzu Sürücü. Sie wolle „familiär und religiös“ um ihre Schwester trauern.

Am Mittwoch, 7. Februar, um 17 Uhr zeigt die Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus den Dokumentarfilm „Crime: Berlin“ über den Sürücü-Mord. Anschließend lädt die Fraktion zur Diskussionsrunde über den Begriff „Ehre“ unter anderem mit der Grünen-Parteichefin Claudia Roth ein.

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