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Krieg und Frieden

© Morris Puccio/ZDF

Fernsehen: Russisch für Anhänger

Alles eine Familie: Mit der Monumentalverfilmung von "Krieg und Frieden" zeigt sich Europas Fernsehen der Tolstoi-Vorlage würdig

Napoleon, der Begründer der europäischen Einheit? Da steht er vor der Schlacht von Borodino und verkündet: "Wir zeigen den Russen, was wahre Zivilisation bedeutet. Sie werden mir noch dankbar sein." Und als dann Moskau brennt und der Kaiser verdrossen im Kreml hockt, blickt er aus dem Fenster und mault: "Diese russischen Kirchen erinnern mich an Moscheen. Ich habe dieses Land satt. Wir kehren wieder heim."

Klingt sehr nach einer EU-Beitrittsdebatte über die Türkei oder Russland. Und klingt gleichzeitig sehr anders als in den beiden früheren monumentalen "Krieg und Frieden"-Verfilmungen, der Hollywood-Verfilmung von King Vidor mit Audrey Hepburn von 1956 und der russischen Mammutproduktion von 1968. Da war, wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, nach gerade überwundener McCarthy-Ära und auch später nach der Kubakrise, noch viel von heimkehrenden Soldaten die Rede, die ihr Land verändert vorfanden. Und davon, dass man der gegnerischen Front moralisch überlegen sei, und dass dem Verbrecher Napoleon jeder Sinn für das Wahre und Gute fehle.

Es macht halt jeder den Film seiner Zeit, auch und gerade, wenn es um Klassiker wie Tolstois Monumentalepos geht. Kein Wunder, dass die opulente vierteilige "Krieg und Frieden"-Verfilmung, die ab heute als erster Höhepunkt des Filmjahrs im ZDF läuft, trotz aller exquisiten historischen Kostüme eindeutig ein Film von heute ist. Was keine Schande ist: Da denkt Regisseur Robert Dornhelm in den Kriegsszenen nach eigenen Angaben weniger an die Napoleonischen Kriege als an den Irak von heute. Und ZDF-Redaktionsleiterin Birte Dronsek sieht in dem mit 26 Millionen Euro Produktionskosten zweitteuersten europäischen Fernsehprojekt (nach "Napoleon" 2003) einen Beitrag zur Identität nicht nur des ZDF, sondern der gesamteuropäischen Medien. Fernsehen als Selbstvergewisserung: Tolstoi ist eben europäische Weltliteratur, und so gesehen sind wir alle Russen.

Es ist ein Stoff, der nach Superlativen schreit. Schon Leo Tolstoi selbst hatte sein 1600-seitiges Opus magnum nicht eben bescheiden mit der "Ilias" verglichen. Was Ausstattung und Aufwand angeht, hat noch keine "Krieg und Frieden"Verfilmung an Kosten gespart. Legendär die russische, siebenstündige Version von Sergej Bondartschuk, die für die Schlachten von Austerlitz und Borodino 40 000 Soldaten der Roten Armee abkommandierte, dazu 52 Tonnen Rauchentwickler, 23 Tonnen Schwarzpulver, 5000 Pferde und 165 000 Kostüme. Verglichen damit haben sich Robert Dornhelm und sein Ausstatterteam klug beschränkt und auf moderne Digitaltechnik gesetzt: Er brauche keine 40 000 Soldaten, ihm reichten 1000, und die vervielfältige er dann, hat der Regisseur im Interview erzählt. Es sei ja kein Kinofilm für die große Leinwand, sondern ein Fernsehfilm.

Entstanden sind gleichwohl großartige Bilder, in prachtvollen Kostümen und noch prachtvolleren Kulissen. Gedreht wurde an Originalorten in St. Petersburg, etwa im goldenen Ballsaal des Puschkin-Palasts, wo die große Ballszene zwischen Natascha und Fürst Andrej Bolkonski spielt, oder in der ehemaligen Zarenresidenz von Peterhof sowie der Peter-und- Paul-Kirche. Die spektakulären Schlachtenszenen wurden mit Tausenden von Statisten in Litauen nachgestellt. Und die Russen - das sind in diesem Film, den Produktionsbeteiligungen von sieben Ländern geschuldet, Schauspieler aus ganz Europa.

Ein typischer Europudding also. Man stelle sich das babylonische Sprachgewirr allein in der Filmfamilie Rostow vor: ein italienischer Vater (Andrea Giordana), eine deutsche Mutter (Hannelore Elsner), ein russischer Sohn (Dmitri Isaev), eine französische Tochter (Clémence Poésy) und eine bulgarische Haustochter (Ana Caterina Morariu). Dazu polnische Filmmusik (Oscarpreisträger Jan A. P. Kaczmarek), ein in den USA lebender Regisseur mit rumänisch-österreichischen Wurzeln (Robert Dornhelm) und italienische Ausstatter (Francesco Bronzi) und Kostüme (Enrica Biscossi).

Geschadet hat es dem am Ende synchronisierten Film nicht: Wenn die größten Sorgen etwa von Alexander Beyer, der die Hauptrolle von Tolstois Identifikationsfigur Pierre übernommen hat, darin bestehen, ob die historischen Kostüme auch bequem genug seien und ob sein Englisch zur Verständigung mit den Filmpartnern ausreiche, kann es so schlimm nicht stehen. Und da seine bezaubernde Filmfreundin Natascha (Clémence Poésy, bislang hauptsächlich als Fleur Delacour aus der "Harry Potter"Verfilmung bekannt) als Wildfang ohnehin lieber hoch zu Ross über die Wiesen prescht oder sich diversen Männern an den Hals wirft, bedarf es nicht vieler Worte. Die Funken fliegen auch so.

Der Cast ist mit Spielfreude bei der Sache. Sei es Malcolm McDowell, der als greiser Fürst Bolkonski hingebungsvoll das Ekel gibt, oder Toni Bertorelli, der als Fürst Kuragin schön schmierig intrigiert, sei es Hannelore Elsners mütterliche Zurückhaltung als Gräfin Rostowa oder Brenda Blethyn, die als Marja Dmitrijewna die Fäden klug in der Hand behält. Wie die Intrige überhaupt deutlich mehr Gewicht bekommt als in Tolstois epischer, längst nicht so schwarz-weiß angelegter Vorlage. So wird die Liebesaffäre, die Natascha mit Anatol (Ken Duken) verbindet, als Racheakt Anatols und seiner Schwester Hélène (Violante Placido) an Nataschas Verlobten Andrej Bolkonski (Alessio Boni) umgedeutet.

Das ist weniger Tolstoi als "Gefährliche Liebschaften", gewürzt mit einem guten Schuss Jane Austen, aber für ein Fernsehformat in Fortsetzungsfolgen liefert das Drehbuch eine schlüssige Zusammenfassung, die nicht nur eine Banalisierung ist. Große Gefühle, große Bilder, keine Angst vor gelegentlichem Kitsch, dabei immer Ehrfurcht vor der Vorlage und eine fast private Nähe zu den Figuren. Auch wenn diese TV-Version von "Krieg und Frieden" in ihrer Fixierung auf Liebeshändel und Intrigen gelegentlich an eine Soap erinnert, hält sie sich, auch im Vergleich mit den Vorgängern, durchaus respektabel. Der Film ersetzt zwar nicht, wie das ZDF reichlich vermessen wirbt, die Lektüre des Buchs ("Nach diesem Film wird jeder glauben, dass Sie das Buch gelesen haben"). Er macht im Gegenteil erst Lust aufs Nachlesen.

"Krieg und Frieden", ZDF, heute sowie 9., 13., 16. Januar, 20 Uhr 15

Christina Tilmann

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