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Dario Minden vom Fanbündnis „Unsere Kurve Frankfurt“ kritisiert die Menschenrechtslage im WM-Land Katar.

© Eintracht Frankfurt

Fanvertreter nach Konfrontation des Botschafters: „Unabhängig von Katar ist es gut, so eine Message zu verbreiten“

„Ich habe Sex mit anderen Männern. Das ist normal“ - mit deutlichen Worten hatte Dario Minden die Situation queerer Menschen im WM-Land kritisiert. Hier spricht er über seine Beweggründe und die Rolle der Nationalmannschaft.

Dario Minden ist Zweiter Vorsitzender des Fan-Bündnisses „Unsere Kurve“. Beim DFB-Kongress vor der WM in Katar hatte er die Menschenrechtslage im Gastgeberland kritisiert und sich auf Englisch direkt an den katarischen Botschafter gewandt: „Ich bin ein Mann und ich liebe Männer. Ich habe Sex mit anderen Männern. Das ist normal. Gewöhnen Sie sich daran oder verschwinden Sie aus dem Fußball.“

Dario Minden, Sie haben beim DFB Kongress deutliche Worte an den katarischen Botschafter gerichtet. Was ging Ihnen in dem Moment durch den Kopf?
Ich war mir meiner Sache sicher. Ich habe mir vorher Gedanken gemacht, was ich sagen will und warum das Turnier aus Fan-Sicht ein großer Skandal ist. Einer dieser vielen Gründe ist die Situation der LGBTQ-Community vor Ort. Mein Gedanke dahinter war: Ich kann die Message am stärksten platzieren, wenn ich es auf Englisch mache und es mit meinem Gesicht und meiner Persönlichkeit verknüpfe.

Warum haben Sie diesen Weg gewählt?
Die Situation der LGBTQ-Community ist so eindeutig schlecht, da muss man eindeutig schlechte Worte wählen. Unabhängig von Katar ist es gut, so eine Message zu verbreiten. Wenn ich damit am Ende einen jungen schwulen Fußballer innerhalb der abweisenden Atmosphäre im deutschen Männerfußball erreicht und bestärkt habe und ihm das Gefühl gegeben habe, gesehen zu werden, ist das viel Wert.

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Was erhoffen Sie sich außerdem davon?
Mit Blick auf Katar verändert man mit einer emotionalen Rede natürlich kein System. Aber vielleicht sieht der eine oder andere, dass ich ein ganz normaler umgänglicher Typ bin. Diese Hoffnung ist immer da. Und ich finde es wichtig, das Thema immer wieder aufzubringen. Damit der Staat Katar merkt: Wenn wir einen außenpolitischen Kurs mit Partnerschaften mit der Europäischen Union fahren wollen, müssen wir LGBTQ-Personen früher oder später mehr Rechte zugestehen.

Welche unmittelbaren Reaktionen erreichten Sie bei dem Kongress?
Der katarische Botschafter selbst gestand mir zu, dass mein Beitrag differenziert war. In einigen Punkten haben wir auch übereingestimmt, natürlich weniger beim LGBTQ-Thema. Auch sonst waren die Reaktionen recht positiv. Besonders gefreut hat mich die Reaktion von Lise Klaveness, der Präsidentin des Norwegischen Fußballverbandes, die total begeistert war. Sie ist ein großartiger Mensch. Schon beim Fifa-Kongress im März in Doha ist sie als einzige aufgestanden und hat ein beeindruckendes Statement zur WM abgeliefert.

Und welche Reaktionen erreichten Sie später, zum Beispiel in den sozialen Medien?
Das Netz hat natürlich Tiefen und Untiefen. Aber generell muss ich sagen, dass ich im Bekanntenkreis auf ein großartiges Umfeld zurückgreifen kann. Deshalb kann ich sogar darüber lachen, wie einige – eine Minderheit – ihre Verbitterung im Netz rauslassen. So traurig das auch ist. 

In Katar droht queeren Menschen schlimmstenfalls die Todesstrafe. Womit müssen queere Fans rechnen, die zur WM reisen wollen?
Genau genommen besteht die Todesstrafe eher „nur“ auf dem Papier. Aber in jedem Fall drohen harte Strafen. Es gibt einmal die generelle Lage für Menschen, die dort leben und es gibt die Lage während der WM. Die Katarer versprechen, dass es während des Turniers keine Diskriminierung gebe, und natürlich hat Katar kein Interesse daran, globale Kritik auf sich zu ziehen. Aber dafür gibt es keine Garantie. Deshalb kann ich mich nur den Aussagen von QFF (Anmerkung der Redaktion: Queere Football Fans) anschließen, die davon abraten, nach Katar zu reisen. Die Situation ist gefährlich.

Der WM-Chef Al-Thawadi hat erst kürzlich behauptet, dass alle willkommen seien und im nächsten Atemzug betont, dass man aber die sogenannte Kultur des Landes respektieren müsse…
Ja, das ist widersprüchlich. Natürlich ist Katar im Vergleich zu anderen Ländern in der Region fortschrittlich. Nichtsdestotrotz tut Katar sich mit LGBTQ-Themen schwer. Im Arbeitsrecht wurden zumindest auf dem Papier gute Reformen initiiert, auch wenn diese leider allzu oft an der Umsetzung scheitern. Bei LGBTQ-Themen ist gar nichts passiert.

Es ist perfide, wenn Menschen einfach in Frieden leben und lieben wollen, aber mit dem Tod bedroht werden und das dann mit der Kultur begründet wird. Das ist ein Scheinargument, und damit schießt Katar ein Eigentor. Sie verkaufen ihre Kultur doch unter Wert, wenn sie diese darauf reduzieren, schwule, lesbische, trans und intergeschlechtliche Menschen zu diskriminieren. 


Der australische Fußballer Josh Cavallo hat vor einiger Zeit öffentlich gemacht, schwul zu sein, und gesagt, dass er Angst habe, zur WM zu reisen. Geht es Ihnen genauso?
Ich bewundere Josh Cavallo für seinen Mut und seine Klarheit. Es ist absolut richtig, sich so zu positionieren. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob man als Profifußballer tatsächlich in eine gefährliche Situation kommen würde. Aber ich persönlich habe überhaupt keine Lust, in ein Land zu fahren, in dem meine Identität diskriminiert und geleugnet wird. Schon aus Prinzip ist man dort nicht willkommen – egal ob als Fußballprofi oder Tourist.

Manuel Neuer hat kürzlich ein Foto seiner Armbinde veröffentlicht, die er bei der WM tragen wird. Sie ist Teil einer Kampagne mit acht weiteren Ländern, die ebenfalls am Turnier teilnehmen werden. Darauf abgebildet ist ein Herz in verschiedenen Farben auf dem „1 Love“ steht. Was halten Sie davon?
Das wirkt schon schwach. Es ist noch nicht einmal die Pride-Flagge, es sind andere Farben darauf abgebildet. Wenn es das einzige ist, was an Haltung vom DFB kommt, wäre das peinlich bis katastrophal. Ich erwarte vom DFB und denke auch, dass da mehr kommen wird.

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Beugt sich der DFB damit den Vorgaben der Fifa, indem die Armbinde nicht die Pride-Flagge abbildet?
Ja, die zehn Fußballverbände, die das entschieden haben, beugen sich damit sicherlich der Fifa. Dabei könnten sie sogar die richtigen Regenbogenfarben tragen. Was soll denn schon passieren? Die Fifa wird keinen Dreistufenplan umsetzen und damit drohen, das Spiel abzupfeifen, bloß weil ein oder sogar beide Teams die Armbinde tragen. Diese Vorstellung ist völlig absurd. Ich würde mir wünschen, dass die Verbände mehr Rückgrat zeigen.

Wenn Sie sagen, dass die Fifa ohnehin keine schwerwiegenden Maßnahmen ergreifen würde, klingt das so als benutze der DFB die Fifa-Vorgaben als Vorwand…
Der Eindruck entsteht natürlich. Vermutlich würde eine finanzielle Strafe drohen, aber selbst das ist fraglich. Die Fifa wird kaum wollen, dass ein Politikum daraus gemacht wird. Es ist also nicht nachvollziehbar, warum man sich da weg duckt.

Was könnte der DFB stattdessen tun, um queere Personen glaubhaft zu unterstützen?
Das fängt beim Geld an. Die Diskussion des Boykotts wird verengt geführt. Es gibt aber auch Zwischenstufen. Zum Beispiel könnte der DFB sich fragen, ob er – wenn er schon hinfährt – auch noch Geld dran verdienen muss. Unter den gegebenen Umständen wäre es sinnvoller, das Geld nicht anzunehmen, sondern lieber zu spenden, zum Beispiel an Fonds für entrechtete Gastarbeiter und deren Angehörige sowie an Projekte für die LGBTQ-Szene.

Und außerdem?
Das eine ist die Kapitänsbinde. Aber es steht jedem natürlich frei, visuell und verbal in den kommenden Wochen und Monaten noch stärkere Zeichen zu setzen.

Also liegt es auch bei den Spielern?
Ja auch. Haltung zu beweisen, ist manchmal nicht planbar. Oft sind es Reaktionen auf bestimmte Situationen. Ich denke da an Leon Goretzkas Torjubel bei der EM, als er vor den ungarischen Hooligans ein Herz mit den Händen formte. Das war stark.

Beim Spiel gegen Ungarn zeigte Leon Goretzka nach seinem Treffer ein Herz in Richtung gegnerische Fans und postete später einen Regenbogen-Emoji mit der Message: „Verbreitet Liebe!“
Beim Spiel gegen Ungarn zeigte Leon Goretzka nach seinem Treffer ein Herz in Richtung gegnerische Fans und postete später einen Regenbogen-Emoji mit der Message: „Verbreitet Liebe!“

© imago images/Sven Simon

Ich kann verstehen, wenn die Spieler sich ab einem bestimmten Punkt im sportlichen Tunnel für das Turnier befinden und sich nicht in der alleinigen Verantwortung sehen. Aber das könnten sie viel besser tun, wenn sie bereits im Vorlauf erklären würden, dass sie die Prämien anderen zugutekommen lassen wollen. Auch in Interviews sollten sie sich als mündige Bürger zeigen, nicht so wie Franz Beckenbauer…

…der als WM-Botschafter im Jahr 2013 Katar besuchte und behauptete, dort keinen einzigen Sklaven gesehen zu haben.
Genau. Die Nationalmannschaft sollte das Gegenteil tun und Probleme ansprechen. Da sind politische Köpfe wie Leon Goretzka gefragt, eine Haltung für die gesamte Mannschaft zu finden und diese auch zu repräsentieren. Damit die Probleme nach der WM nicht in Vergessenheit geraten. Mit der Prominenz einer Nationalmannschaft kann man Sachen bewegen.

Auch in deutschen Fußballstadien kommt es immer wieder zu queerfeindlichen Ausfällen. Wie nehmen Sie die Stimmung dort wahr?
Es ist ein weiter Weg. Wie so oft im Zusammenhang mit der WM geht es nicht nur darum, anklagend nach Katar zu blicken, sondern ebenso vor der eigenen Haustür zu kehren. Es ist kein Zufall, dass es rein statistisch viele schwule Profifußballer gibt, aber keiner geoutet ist. Es ist ein stetiger Kampf.

Jeder kann dazu einen kleinen Beitrag leisten – egal ob er Teil der Community ist oder nicht. Wer regelmäßig und mit offenen Augen und Ohren zum Fußball geht, bekommt queerfeindliche Kommentare mit. Man sollte sich positionieren und Leute darauf hinweisen, dass sie sich andere Schimpfwörter als „schwul“ ausdenken. Ein kurzer Kommentar ist schon viel wert, ich würde gar nicht empfehlen, immer ein Fass aufzumachen. Wenn man das hinkriegt, ist man ein kleiner Teil einer Entwicklung nach vorne.

Sie sind Zweiter Vorsitzender der Initiative „Unsere Kurve“. Wie stehen Sie zu einem Boykott der WM?
Es gibt gute Gründe für einen Boykott und nachvollziehbare Gründe, es nicht zu tun. Ganz schlimm ist, dass ein Boykott nie ernsthaft in Erwägung gezogen wurde. Man hätte vor vielen Jahren deutlich machen müssen, dass man nur zur WM fliegt, wenn bestimmte Standards erfüllt werden.

Stattdessen wurde das Signal an Katar an gesendet: Egal, welche Reformen ihr initiiert oder nicht, wir kommen sowieso. Das war ein Fehler. Problematisch ist außerdem, dass ein Boykott als Ja-oder-nein-Frage behandelt wird, hinter der man sich verstecken kann. Dadurch wird eben auch die Frage, warum es okay ist, an diesem Turnier Geld zu verdienen, völlig ignoriert.

Sie forderten in Ihrer Ansprache, dass Fußball für alle da sein müsse. Wie kann das zukünftig gelingen?
Die größten Hebel befinden sich in den Machzentren, und dort braucht es Vergabekriterien. Eine Bewerbung darf überhaupt erst in Erwägung gezogen werden, wenn bestimmte Mindeststandards erfüllt sind. Wenn das bedeutet, dass das Turnier von Vornherein nicht in einem Land wie Saudi-Arabien stattfinden kann, dann ist das so. Und dann gibt es auch eben keine Gelder der saudischen Königsfamilie. Irgendwann muss man sich entscheiden zwischen Geld und Menschenrechten.

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