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Verliebt. Isabella Rossellini als Mary und William Hurt als Adam.Foto: Movienet / dpa

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Kultur: Atemlos altern

Im Kino: „Late Bloomers“ mit Isabella Rossellini.

Es fängt ganz langsam an. Mit dem Zurücklegen des Kopfes beim Lesen der Speisekarte in einem dem Teint zuträglich beleuchteten Restaurant. Mit der Anschaffung eines Vergrößerungsspiegels zum Schminken. Mit der heimlichen Erleichterung über das Vorhandensein eines Fahrstuhls, wenn man höher muss als in den zweiten Stock. Und so weiter. „Wir haben eine Grenze überschritten, ohne es zu merken“, stellt Mary eines Tages fest. „Wir sind alt geworden.“ Adam, ihr Mann, reagiert wie wahrscheinlich die meisten seiner Geschlechtsgenossen in einer ähnlichen Situation: Er steckt den Kopf in den Sand und den Leib in ein Kapuzen-Sweatshirt.

„Late Bloomers“ ist ein Film über eine jahrzehntelange, durchaus glückliche Ehe und das gemeinsame Älterwerden, der mit beidem ohne jede Sentimentalität umgeht. Trotzdem ist man zutiefst gerührt und amüsiert, was der unangestrengten Inszenierung der französischen Regisseurin Julie Gavras, Tochter des berühmten Costa-Gavras, zu verdanken ist. Und ihren mühelos agierenden Hauptdarstellern William Hurt und Isabella Rossellini. Er als Architekt, der soeben für sein Lebenswerk ausgezeichnet worden ist – „dein Grabstein“, wie Mary spitz bemerkt – und sie als sich zwischen Enkeln, Mutter und Ehrenamt aufreibende Sozialarbeiterin.

Alle drei müssen sich mit den Unbilden des Älterwerdens eingehend befasst haben – die Darsteller aus Notwendigkeit, die Regisseurin aus Neigung –, so treffsicher gelingt ihnen die Bestandsaufnahme der Situationen, die einen Prozess sichtbar werden lassen. Da versucht Mary, tapfer, aber gequält, mit den im bellenden Stakkato gegebenen Kommandos eines Aquafitness-Trainers Schritt zu halten und ist wiederum peinlich berührt, als ihr im Bus ein Sitzplatz angeboten wird. Da wirft Adam Mary vor, dass sie ihn älter zu machen versuche, fällt aber vor Anstrengung fast in Ohnmacht, wenn er sich mit seinen jungen Kollegen die Nächte um die Ohren schlägt. Im Hintergrund agieren noch drei Generationen: Die viel beschäftigten und besserwisserischen Kinder von Adam und Mary, ihre Enkel und schließlich, erfrischend abgeklärt, Marys Mutter Nora, die mit beißendem Sarkasmus die Umtriebe sämtlicher Familienmitglieder kommentiert. „Ich weiß nicht, was ich mehr hasse“, stellt sie, konfrontiert mit ihren krakeelenden Urenkeln, angewidert fest, „zukünftige Trottel oder zukünftige Zicken.“

Ein wenig atemlos ist die Inszenierung durch häufig eingestreute Montagesequenzen und den kommentierenden Soundtrack geraten, als ob sich die Regisseurin in ihrem zweiten Spielfilm aus Lust an den eigenen Einfällen nicht für ein stringenteres Konzept hätte entscheiden wollen. Aber das macht nichts. „Late Bloomers“ ist ein Film, der seine Zuschauer heiterer aus dem Kino entlässt, als sie hineingegangen sind. Und zwar nicht nur die älteren. Daniela Sannwald

Cinemaxx, Eva-Lichtspiele, Filmkunst 66, Colosseum; OmU im fsk

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