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Ingo Metzmacher.

© DSO/Mathias Bothor

Klassik: Auf Wiederhören

Ingo Metzmachers letztes Konzert als Chefdirigent in Berlin – und wie geht es weiter mit dem Deutschen Symphonie-Orchester?

Sag zum Abschied leise: weiter. So möchte man meinen, nachdem die Pastorale verklungen ist, diese unendlich gelassenen, die Stille nach dem Sturm genießenden letzten Töne von Beethovens Sechster. Ingo Metzmacher lässt sich alle Zeit der Welt dafür, so dass der symphonische Hirtengesang um ein Haar der Behäbigkeit anheimfällt – Risiken ist der Dirigent schon immer gern eingegangen.

Kein Auftrumpfen zum Ende, kein Trotz, kein Pomp. Stattdessen Heiterkeit, Freundlichkeit, ja Zärtlichkeit. Metzmacher geht, nach nur drei Jahren als Chefdirigent des Deutschen Symphonie- Orchesters, das viele in Berlin mit den Philharmonikern und der Staatskapelle gleichauf sehen – nur eben ohne ebenbürtige finanzielle Ausstattung. Metzmacher hat sich verkämpft, man braucht die unselige Geschichte von falschen Politikversprechungen, Begehrlichkeiten und herben Enttäuschungen nicht noch einmal zu erzählen, um zu begreifen, welch schmerzlichen Einschnitt der Weggang des 52-Jährigen im Musikleben der Stadt bedeutet.

Man nehme nur dieses eine Konzert: Metzmachers schwereloser, gleichsam geflüsterter, kammermusikalischer Beethoven eröffnet einen glückhaft utopischen Raum, in dem Lamm und Löwe friedlich beieinander liegen. Das Orchester ist in Topform, es übersetzt die federnde Eleganz seines Chefs in luzides, herzenswarmes, farbengesättigtes Timbre. Und bei aller Weichheit im Ansatz legen die Musiker doch französische Clarté an den Tag, auch bei Henri Dutilleux’ Cellokonzert „Tout un monde lointain“ mit seinen entrückten Slowmotion- Passagen, den dialogischen Gegenläufigkeiten und Endlosschleifen – und mit Alban Gerhardts passioniertem Cello.

Traumzeit in der Philharmonie: Begonnen hatte der Abend mit Debussys „Prélude à l’après-midi d’un faune“, mit einer zauberhaft lasziven, schläfrigen Flöte und Dunstschleiertänzen. Hingabe und Hochspannung, Innigkeit und Transparenz, die Anmut und die Architektur der Musik: Metzmachers Markenzeichen ist die Versöhnung dieser Gegensätze – eben das wird in Berlin fehlen, neben Rattle und Barenboim, Zagrosek und Janowski.

Er hat ja, von der Hamburgischen Staatsoper kommend, in den drei Jahren die Arbeit seines Vorgängers Kent Nagano kongenial fortgesetzt. Musikalisch, weil auch Nagano gern Beseeltheit und Analyse vereint, programmatisch, indem er nicht nur Konzerte, sondern auch die jeweilige Saison unter ein Motto stellte. „Von deutscher Seele“ lautete das erste 2007/2008; die als Affront empfundene Aufführung der gleichnamigen Kantate des Nazi-Sympathisanten Pfitzner am Tag der Deutschen Einheit löste eine Kontroverse über Musik und Politik aus. Mit „Aufbruch 1909“ warb das DSO einmal mehr für die im Konzertleben immer noch schwergängige Moderne, und „Versuchung“ in der aktuellen Saison thematisierte nicht nur die Erotik der Musik, sondern auch die propagandistische Kunst der Verführung.

Das Stammpublikum nicht verlieren, neue Hörer gewinnen: Den Spagat beherrscht das DSO unter Metzmacher mühelos, mit „Casual Concerts“, mit „Schönberg Underground“ im Tacheles oder Stummfilmmusik im Babylon. Die Bach-Messiaen-Doppelprogramme an Ostern 2008 hatten schnell Kultstatus, und eine auf den scharfen Kontrast setzende Werk-Kombination – wie Ende Mai mit Mozart und dem kanadischen Neutöner Claude Vivier – stößt längst nicht mehr auf Abwehr im Saal.

Metzmacher, der Gebärdensolist. Seine Beschwingtheit. Sein unermüdliches Tänzeln. Sein Fingerspitzendirigat. Die weich geballte Faust. Die Art, wie er in die Knie geht, weil er es noch sinnlicher, eindringlicher, plastischer will – kein Wunder, dass er in nächster Zeit vor allem Opern dirigiert. Noch sagt man sich nicht Adieu, man probt ja jetzt für die Salzburger Festspiele, für die Wolfgang-Rihm-Uraufführung am 27. Juli. Ovationen des Publikums, Blumen aus dem Orchester. Christiane Peitz

Und wie geht's nun weiter? Die Musiker des DSO haben sich bereits im vergangenen Dezember einen Metzmacher- Nachfolger ausgeguckt: Tugan Sokhiev. Beim Berliner Publikum ist der 1977 in Nordossetien geborene Dirigent noch nicht sehr bekannt, in Fachkreisen aber wird er als einer der heißesten Newcomerstars gehandelt, debütierte allein in dieser Saison bei den Wiener und den Berliner Philharmonikern. In Frankreich, wo er seit zwei Jahren Chef des Orchestre du Capitole de Toulouse ist, hat Sokhiev sogar schon eine echte Fangemeinde. „Jede Saison treten in der Pariser Salle Pleyel die großen Orchester aus Berlin, Amsterdam oder Chicago auf – doch auf wessen Konzerte stürzen sich die Leute als erstes, sobald der Vorverkauf eröffnet wird? Auf die von Tugan Sokhiev“, berichtete die Tageszeitung „Le Figaro“ vor einigen Tagen. „Die Alchimie zwischen Sokhiev und seinen Musikern ist ein Wunder, wie es in der Geschichte jedes Orchesters nur sehr selten vorkommt.“

Darum wollen auch die Pariser die Gastauftritte der Truppe aus der Provinz in der französischen Hauptstadt unbedingt erleben. Was wiederum den Bürgermeister von Toulouse so stolz macht, dass er dem Dirigenten 20 zusätzliche Musikerstellen finanziert, um ihn noch möglichst lange in seiner Stadt zu halten. „Denn alle wissen“, resümiert „Le Figaro“, „dass bedeutende Orchester im Ausland ihrem Helden bereits schöne Augen machen.“ Zum Beispiel das DSO: Zum ersten Mal lernten die Berliner Tugan Sokhiev 2003 im Rahmen der Reihe „Debüt im Deutschlandradio“ kennen, nach dem letzten gemeinsamen Konzert im vergangenen Dezember kürten sie ihn dann zum Wunschkandidaten.

Offiziell will sich Orchesterdirektor Alexander Steinbeis allerdings nicht zum Stand der Verhandlungen äußern. Weil das DSO zur Rundfunkorchester und -chöre GmbH gehört, muss jede Personalie nämlich erst vom Kuratorium abgesegnet werden. Dieses Gremium, in dem die Geldgeber Berlin, Bund, Deutschlandradio und RBB zusammensitzen, plagt sich allerdings derzeit mit einem gewaltigen Problem herum, das Deutschlandradio-Chef Willi Steul der ROC eingebrockt hat. Kaum hatte Steul die Nachfolge von Ernst Elitz angetreten, wollte er die Ungunst der Stunde nutzen, um das führungslose DSO aus finanziellen Erwägungen mit dem ROC-internen Konkurrenten, Marek Janowskis Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, zu fusionieren. Der Vorschlag wurde zwar durch massiven öffentlichen Protest schnell vom Tisch gefegt. Die FDP-Fraktion im Haushaltsausschuss des Bundestages aber deutete das Hin und Her als Führungsschwäche und setzte durch, dass zwei Millionen Euro vom Bundesanteil für die ROC im kommenden Jahr gesperrt wurden – so lange, bis ein tragfähiges Zukunftskonzept vorliegt. Neutrale Gutachter rechneten daraufhin noch einmal durch, ob es finanziell günstiger ist, die ROC als Klassik- Holding weiterzuführen oder die vier Ensembles – neben den Sinfonieorchestern der Rundfunkchor sowie der Rias-Kammerchor – in die Obhut unterschiedlicher Institutionen zu übergeben. Die (geheimen) Ergebnisse, die mittlerweile vorliegen, werden Anfang Juli hoffentlich die Haushälter überzeugen, damit sie die Mittel frei geben – und damit auch den Weg des DSO in eine hoffentlich harmonischere Zukunft. Frederik Hanssen

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