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Trümmerfilme: Auferstanden aus Archiven

Gerettetes Erbe: Ein kleines Berliner DVD-Label restauriert "Trümmerfilme" aus der Nachkriegszeit. Ein Knef-Film von 1951 verschwand - jetzt ist er wieder aufgetaucht.

Der Vorspann prahlt: „Hergestellt im blockierten Berlin“. Das Emblem über dem Schriftzug zeigt den Berliner Bären, der seine Ketten sprengt. Der Film, der dann folgt, hat etwas Klaustrophobisches. „Martina“, 1949 im von den Sowjets abgeriegelten West-Berlin gedreht, handelt von einem Mädchen, das in seiner Biografie eingesperrt ist wie in einem Käfig. Im Bombenkrieg hat sie ihre Eltern und in den Trümmermonaten danach ihren moralischen Halt verloren. Sie lässt sich auf Straßenbekanntschaften ein, wird in Bordellen aufgegriffen, flieht aus Polizeigewahrsam und Fürsorgeheimen. „Wir müssen damit aufhören, die Zeit für alles verantwortlich zu machen“, sagt der Staatsanwalt, als sie vor Gericht steht. Dann wettert er noch ganz im NS-Jargon: „Mädchen dieses Schlages verhindern die moralische Gesundung unseres Volkes, wenn sie nicht hart angepackt werden.“

„Martina“, ein höchst interessantes Dokument der Nachkriegszeit, war lange verschwunden. Dass der Film nun wieder zu sehen ist, ist der kleinen Berliner Firma Magic Picture zu verdanken. Im Jahr 2007 gegründet, hat das Unternehmen bereits anderthalb Dutzend Filmklassiker restauriert und auf DVD veröffentlicht. Der Schwerpunkt liegt beim sogenannten „Trümmerfilm“, dem Neubeginn des deutschen Kinos nach 1945. „Mich interessiert Unterhaltung, die zur Zeitgeschichte wird“, sagt Geschäftsführer Thomas Booch und schwärmt: „Es war ein Anfang aus dem Nichts. Keine Kulissen, nicht mal genug Filmmaterial war da, alles musste improvisiert werden.“ „Martina“ spielt – bis auf wenige Szenen – ausschließlich in Innenräumen. Oft erhellen flackernde Kerzen die dunklen Bilder. Weil die Stromversorgung in der blockierten Halbstadt tagsüber nicht ausreichte, musste nachts gedreht werden.

Das Thema des Films wühlte damals insbesondere den männlichen Teil der deutschen Bevölkerung auf: das „Fräulein-Problem“. Fräuleins, das waren die Frauen, die sich trotz Fraternisierungsverbot mit den Soldaten der Siegermächte einließen. Selbst der Bischof von Passau empörte sich auf der Kanzel über „deutsche Mädchen“, die sich „fremden Soldaten in dirnenhafter Weise förmlich aufdrängen“. Dass Martina ein „Ami-Flittchen“ ist, wird – wohl mit Rücksicht auf die alliierte Zensur – nur angedeutet. Einmal steigt sie zu einem Freier in einen Cadillac. Traumatisiert hat sie eine Vergewaltigung bei Kriegsende. Der Täter jedoch war, das stellt sich bei einer kruden psychoanalytischen Rückführung heraus, ein deutscher Soldat.

Auch Hauptdarstellerin Cornell Borchers – sie spielt Martinas Schwester und Therapeutin – kann als Fräuleinwunder gelten. Blond, blauäugig und hochgewachsen, entsprach sie dem Schönheitsideal eines „deutschen Mädels“ und heiratete 1949 einen britischen Offizier. Durch „Martina“ wurde der amerikanische Regisseur George Seaton auf sie aufmerksam und gab ihr die Hauptrolle im Berliner-Blockade-Melodram „The Big Lift“ an der Seite von Montgomery Clift. Mit ihrem Entdecker Arthur Maria Rabenalt drehte sie nach „Martina“ noch den – vor kurzem ebenfalls bei Magic Picture erschienenen – Krimi „0 Uhr 15, Zimmer 9“. Später ging sie mit einem Fünfjahresvertrag mit dem Fox-Filmstudio nach Hollywood. 1959 stand Borchers zum letzten Mal vor der Kamera, heute lebt sie zurückgezogen am Starnberger See.

„Wir müssen neu anfangen, alle!“, ruft Gustav Fröhlich im 1947 entstandenen Drama „Wege im Zwielicht“. Der „Metropolis“-Star spielt einen hinkenden Heimkehrer, der in einem Heidekaff das Überleben organisiert und seine Kriegs- und Nachkriegsleistungen trocken bilanziert: „Von jedem etwas. Bisschen knallen, bisschen umbringen, bisschen organisieren.“ Mit ein paar herumstreunenden Jugendlichen baut der Bürgermeister höchst symbolträchtig eine Brücke wieder auf. Das Aufbaupathos des von Fröhlich inszenierten Films wirkt heute befremdlich, doch der Neorealismus seiner Bilder beeindruckt. Eine Verfolgungsjagd führt durch den zerbombten Bahnhof von Hannover, in der Lüneburger Heide verrotten abgeschossene Kriegsflugzeuge.

„Zeitfilme“, die sich beherzt auf die Wirklichkeit einließen, waren nach der Währungsreform bald nicht mehr gefragt. Die Deutschen sehnten sich im Kino nach Ablenkung, bald begann die Welle der Heimatfilme. Produktionsfirmen wie die von Heinz Rühmann gegründete Comedia (die „Martina“ realisierte) oder die Junge Film-Union („Wege im Zwielicht“) mussten Konkurs anmelden, ihre Nachlässe gingen in den Besitz des Münchner Verleihers Schorcht Film über. Magic Picture hat nun damit begonnen, die Schorcht-Bestände behutsam zu digitalisieren.

Weil das Berliner DVD-Label für die Bildabtastung nicht auf Kopien, sondern auf das originale Nitro-Filmmaterial zurückgreift, kommt es immer wieder zu Entdeckungen. So konnten bei der Restaurierung der Politsatire „Der große Mandarin“, dem letzten Film von Paul Wegener, 20 Minuten mit verloren geglaubten Szenen aus der Premierenfassung von 1948 eingefügt werden. Und auch Helmut Käutners Adelskomödie „Königskinder“ ist wieder drei Minuten länger. In einer Sommerszene mit Jenny Jugo und Peter van Eyck scheint es nun zu schneien. Die Flecken rühren vom Bakterienfraß.

„Die neueste Technik für die ältesten Filme“ sei das Credo seiner Firma, sagt Thomas Booch. Die Vier-Zimmer-Wohnung in Berlin-Mitte, in der das Unternehmen residiert, ist vollgestellt mit analogen und digitalen Sichtungs- und Schneidetischen. Vor kurzem sind 3000 teilweise schon verrottete Filmbüchsen aus einem Archiv in Remagen angeliefert worden. Die Kino-Wochenschauen des „Blick in die Welt“-Teams sollen für eine Dokumentation aufgearbeitet werden.

Nitro-Filmmaterial ist selbstentzündend und wurde deshalb 1953 in Westdeutschland verboten. Viele Firmen vernichteten ihre Bestände. So ging auch die Musikkomödie „Es geschehen noch Wunder“ verloren, die Willi Forst 1951 mit Hildegard Knef inszeniert hatte. An den Kassenerfolg des Vorgängerfilms „Die Sünderin“ konnte das „musikalische Märchen“ nicht anknüpfen, der Totalflop verschwand nach wenigen Tagen aus den Kinos. Nun ist er wieder aufgetaucht, im Amsterdamer Filmmuseum, wo ihn ein Mitarbeiter von Booch entdeckte. Im nächsten Jahr könnte der Knef-Film seine Wiederauferstehung auf DVD feiern – vorher müssen aber noch die Rechte geklärt werden. Es wäre tatsächlich ein Wunder.

Im November erscheinen DVDs mit den Filmen „Menschen in Gottes Hand“ (1947) und „Das Fräulein und der Vagabund“ (’48). Mehr unter www.magic-picture.de

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