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Die Spätfolgen. Alfredo Cerán brachte neun Jahre lang Unkrautvernichtungsmittel auf Sojafeldern aus. Die Aufnahme seiner entstellten Hand entstand 2015 in Argentinien.

© Pablo E. Piovano

Glyphosat und seine Folgen: Willy-Brandt-Haus zeigt Fotos von Pflanzengift-Opfern

Die Bilder des Fotografen Pablo Ernesto Piovano dokumentieren durch Glyphosat verursachtes Leid. Eine Ausstellung im Willy-Brandt-Haus.

Eine junge Frau tanzt vertraut mit einem kleinen Mädchen. Auf den ersten Blick ist es eine fröhliche, beschwingte Serie aus Momentaufnahmen in Schwarz-Weiß. Erst auf den zweiten Blick sieht man, dass Anita Sosa, das kleine Mädchen, Beinschienen trägt und nicht selbstständig laufen kann. Für die Krankheit ihrer Tochter macht Anitas Mutter Pestizidbesprühungen verantwortlich, denen sie während ihrer Schwangerschaft ausgesetzt war. 1996 genehmigte die argentinische Regierung den Anbau gentechnisch veränderter Sojabohnen und den Einsatz des Pflanzengifts Glyphosat. Anitas Familie, die in der argentinischen Provinz Chaco lebt, ist nur eine von vielen betroffenen Familien, die unter den Folgen des Pestizideinsatzes leiden.

Das Willy-Brandt-Haus zeigt die Ausstellung „Landwirtschaft der Gifte. Ihr Preis für den Menschen“ mit 50 Schwarz-Weiß-Aufnahmen des argentinischen Fotografen Pablo Ernesto Piovano. Sie hat nochmals Brisanz bekommen durch den Alleingang des Landwirtschaftsministers Christian Schmidt (CSU) in Brüssel, der Ende November einer Verlängerung der Zulassung von Glyphosat in der Europäischen Union um weitere fünf Jahre zustimmte. Piovano, Jahrgang 1981, arbeitet als Fotojournalist bei der Tageszeitung „Página/12“ in Buenos Aires. In den Provinzen Chaco, Misiones, Entre Ríos, Córdoba und Santa Fe im ländlichen Norden und Nordosten Argentiniens fand er Menschen, die bereit waren, sich fotografieren zu lassen. Seine Bilder zeigen ihr großes Leid und ihre tiefe Verzweiflung.

Die Krebsforschung stuft Glyphosat als gefährlich ein

13,4 Millionen Menschen sind in Argentinien unmittelbar von dem Pestizideinsatz betroffen. In diesen Regionen kommen Fehlgeburten, Missbildungen, Atemwegs- und Hauterkrankungen, körperliche und geistige Behinderungen und Nervenkrankheiten überdurchschnittlich häufig vor. Die Krebsrate hat sich verdreifacht. Zahlreiche Studien befassen sich mit den Gefahren von Glyphosat, kommen jedoch je nach Herangehensweise zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) stuft Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ ein.

Spätestens seit das Chemie- und Pharmaunternehmen Bayer plant, den US-Konzern Monsanto zu kaufen, der seit den 1970er Jahren unter dem Namen „Roundup“ ein Herbizid mit dem Hauptbestandteil Glyphosat vertreibt, wird auch in Deutschland über die Gefahren des weltweit meistverkauften Pflanzengifts diskutiert. Die Europäische Bürgerinitiative „Stop Glyphosat“ sammelte 2017 mehr als 1,3 Millionen Unterschriften gegen die Verlängerung der Zulassung des Unkrautvernichters. Vergeblich. Landwirtschaftsminister Christian Schmidt schuf mit seinem Votum in Brüssel andere Tatsachen.

Der Pestizid-Pilot klagt Monsanto an

Nicht nur auf Piovanos Fotos, sondern auch in seinem ebenfalls gezeigten Kurzfilm ist Fabián Tomasi zu sehen, der immer davon träumte, Pilot zu werden. Als er die Möglichkeit bekam, im Auftrag des Agrarunternehmens Molina ein Flugzeug zu fliegen, das Pestizide über die Felder seines Heimatdorfes Basavilbaso in der Provinz Entre Ríos sprüht, zögerte er nicht lange und nahm den Job an. Wegen der großen Hitze trug er selten Schutzkleidung – niemand achtete darauf.

Der Kurzfilm stellt Fotos eines einst gesunden jungen Mannes Aufnahmen von heute gegenüber: Tomasi ist bis auf die Knochen abgemagert, kann nicht mehr allein essen und kaum noch atmen. Er leidet an einer toxischen Nervenkrankheit und Muskelschwund. Mit letzter Kraft kämpft er gegen die Nutzung von Agrochemikalien, gibt Interviews, klagt Monsanto und Bayer öffentlich an. Tomasi wird bald sterben, doch Piovanos Arbeit bleibt – ein erschütterndes und zugleich anklagendes Dokument der Auswirkungen von Agrarchemikalien auf die Gesundheit der Menschen.

Willy-Brandt-Haus, Wilhelmstraße 140, Kreuzberg, bis 21. Januar; Di–So 12–18 Uhr.

Stefanie Borowsky

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