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Bayreuth: Da liegt der Hund begraben

Theater und Regie, bis auf die Knochen – eine tierische Begegnung in der Villa Wahnfried in Bayreuth.

In Venedig, wo man gerne stirbt, fand Peggy Guggenheim im Garten ihres Palazzo ihre letzte Ruhestätte – neben den Gräbern der Hunde, die die Kunstmäzenin so sehr liebte. Lord Byron setzte seinem vierbeinigen Freund Boatswain auf dem Familienbesitz Newstead Abbey in Nottinghamshire einen monumentalen Grabstein, das Epitaph treibt einem Tränen in die Augen: „An dieser Stelle / ruhen die Gebeine von Einem/ Welcher Schönheit besaß ohne Eitelkeit/Stärke ohne Übermut/ Mut ohne Wildheit/ Und alle Tugenden des Menschen ohne seine Laster.“ Da hat sich der Dichter von einem anderen berühmten Hundeliebhaber inspirieren lassen. „Hunde haben alle guten Eigenschaften des Menschen, ohne gleichzeitig ihre Fehler zu besitzen“, schwärmte Friedrich der Große von seinen Windspielen.

Byrons Boatswain war ein Neufundländer, eine Rasse, der auch Richard Wagner innigst zugetan war. Der Hund des Komponisten liegt unweit von Herrchens Grabstätte im Park der Villa Wahnfried. „Hier ruht und wacht Wagners Russ“, steht auf dem schlichten Stein. Nun ist es Sitte, dass zur Festspielzeit in Bayreuth frische Kränze bei der Grabplatte von König Richard und Königin Cosima aufgestellt werden. Auch Russ wird bedacht. Unbekannte Wagnerianer haben dem Neufundländer – ein ungemein freundliches Tier muss er gewesen sein, alles andere als ein Zerberus – dieser Tage einen lieben Gruß in die ewigen Jagdgründe geschickt. Ein Kauknochen ziert Hundis Grabstein, mit roter Schleife und einer eingeschweißten Grußkarte: „Lieber Russ, bewache bitte weiterhin gut unseren Meister Richard.“ Dass der größte Mistkerl im „Ring des Nibelungen“ Hunding heißt, stört die Harmonie von Mensch und Tier nur am Rande.

Da steht man nun, Bayreuth-geschädigt und Bayreuth-befeuert, zückt die Kamera und erstarrt. Gibt es in der Welt der Kultur einen morbideren Ort? In der Villa Wahnfried ist die Zeit gefroren. Vergilbte Fotos, eingerissene Papiere, nie wurde hier gelüftet in den letzten hundert Jahren. Ein Mausoleum, kein Museum. Letzter Eintrag der Moderne: der „Ring“ von Chéreau und Boulez anno 1976, kein Wort zu Hitler und seinen engen Beziehungen zu Bayreuth. Eine Stadt wie ein Giftschrank: Auf dem Grünen Hügel, so sagte Christoph Schlingensief, der 2004 hier den „Parsifal“ inszeniert hat, da habe er sich wohl seinen Krebs geholt. Jetzt will er in Westafrika sein eigenes Opernfestspielhaus eröffnen, und das Modell, das Schlingensief im März auf der Bühne des Wiener Burgtheaters aufgestellt hat, bei seiner „Mea Culpa“- Operntravestie, ähnelte verdächtig dem Wagner’schen Gral. Sie ist ansteckend, die Bayreuther Hundegrippe.

Und ist jener Kauknochen auf Russens Grab nicht ein schlagendes Bild unserer Kulturdebatten? Werden nicht immerzu dieselben abgenagten Knochen dem geneigten Publikum zum Fraße vorgeworfen? Bayreuth, das muss man den Wagners lassen, war und ist auch die Geburtsstätte dessen, was man Regietheater schimpft. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts hat die Amerikanerin Isadora Duncan für den „Tannhäuser“ ein Venusberg-Tänzchen choreografiert, dass die morschen Knochen der Festspielbesucher nur so erzitterten. Steinharte Wagnerianer wollen es niemals wahrhaben, doch die Historie widerspricht ihnen mit Donnerhall. Es war Richard Wagner, niemand anderes, der Himmel und Hölle in Bewegung setzte und die bayerischen Staatsfinanzen ruinierte, um seine radikale Vorstellung vom Gesamtkunstwerk Wirklichkeit werden zu lassen.

Ähnliches gilt für Max Reinhardt und Salzburg: Auch er schuf sich, als er gemeinsam mit Hugo von Hofmannsthal die Festspiele aus der Taufe hob, ein lebendiges Monument; und seine Villa Wahnfried ist Leopoldskron.

Die Kehlmänner der Theater- und Opernwelt aber lieben die Grabplatten. Sie stiften zähe Diskussionen an, die nach Hundespaß aus der Zoohandlung schmecken. „Bewache bitte weiterhin gut unseren Meister Richard.“ Das ist die tödliche Einstellung. Und unsere Meister Shakespeare, Ibsen, Tschechow bitte auch: Dies dramatische Dreigestirn leuchtete im Theater des großen Peter Zadek, der in der vergangenen Woche gestorben ist. Regietheater? In seinem letzten Interview, das die „Zeit“ am Donnerstag veröffentlicht hat, spricht Zadek so bewegend von seinen Schauspielern, von seinem „My Way-Club“. Es fällt auf: Regietheater-Hasser vergessen die Schauspieler. Als wären sie, die auf der Bühne stehen, die Theater zum Ereignis machen, die einer Regie erst Leben spenden, nichts weiter als dressierte Hunde.

Rüdiger Schaper

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