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Streifenpoesie. Horst Bartnig, 80, wurde in Schlesien geboren.

© Thilo Rückeis

Berliner Maler Horst Bartnig wird 80: Geometrie der Farben

Begegnung mit einem Meister der konkreten Kunst: Gleich drei Ausstellungen würdigen den Maler Horst Bartnig zu seinem 80. Geburtstag.

Streifen, endlos und in wechselnden Farben wie Papierschlangen aus dem Aktenvernichter. Leuchtende Rechtecke, die ein Raster auf schwarzem Grund formen. Daneben ein Bild mit gemaserten Klötzchen aus Holz, geometrisch geschichtet und in immer neuen Spielarten arrangiert: Horst Bartnig muss ein aufgeräumter Mann sein. Vielleicht sogar ein strenger Mensch, weil Unordnung in seinem künstlerischen Lebenswerk nicht denkbar ist. Bei Bartnig scheint alles am Platz, er ist ein Musterschüler der konkreten Kunst.

Einer, der heute seinen 80. Geburtstag feiert. Gleich drei Ausstellungen ehren den gebürtigen Schlesier, der seit 1959 in Berlin lebt. Sein Atelier in Adlershof, sonst voller Bilder, von denen einige wie Vorhänge von der Decke hängen, ist völlig leergeräumt. Dennoch vermisst man eine institutionelle Schau für Bartnig, der unter anderem 1993 den Will-Grohmann-Preis erhielt und acht Jahre später den Hannah-Höch-Preis. Wer mehr über seine Kunst erfahren will, der muss entweder nach Greifswald fahren, wo ihm die Galerie Schwarz ab diesem Dienstag mit einer Ausstellung gratuliert. Zur Achim Freyer Stiftung in Berlin-Lichterfelde, die am Wochenende die Retrospektive „konkret“ eröffnet. Oder zu Gräfe Art-Concept in der Kollwitzstraße: Dort ist schon jetzt ein schöner Querschnitt von Bartnigs Schaffen zu sehen.

Stoffbeutel zum schwarzen Anzug

Hierhin kommt der Maler zum Treffen. Im schwarzen Anzug und mit einem dunklen Stoffbeutel an der Hand. Wie zum Kontrast hat er sich eine vielfarbige Krawatte umgebunden, deren Muster den geometrischen Motiven seiner Kunst ähnelt. Das Stück Stoff versteckt sich allerdings ein wenig unter seinem langen Bart. Bartnig lächelt dazu und meint, das sei bei ihm wie mit Dessous: Die trage man ja auch verborgen. Der Mann hat also Humor, streng ist allein seine Kunst.

Der Weg in den Algorithmus war lang und mit Experimenten gepflastert. In den fünfziger Jahren studiert Bartnig in Magdeburg an der Fachschule für angewandte Kunst. Für die Bühnenmalerei, die ihn später an das Deutsche Theater Berlin und das Berliner Ensemble bringt, wird er im Zeichnen nach der Natur unterrichtet. Was ihn bald daran stört, ist die persönliche Handschrift. Dieser Fokus auf den Künstler als kreatives Genie. Zu effektvoll scheint ihm ein wiedererkennbarer Stil. Der muss weg, ist Bartnig sich sicher. Er weiß bloß noch nicht wie. Deshalb zeichnet er, der Rechtshänder, zwischendurch immer wieder mit der linken Hand – als Übung gegen zu viel Virtuosität.

Hinzu kommt sein Interesse an der konkreten Kunst, die ihren Ursprung in den zwanziger Jahren hat. Sie verstand sich als Antithese zur damals dominierenden Abstraktion, die Motive der Realität verfremdete. Erst impressionistisch, dann expressionistisch, schließlich kubistisch. Konkret arbeitende Künstler schöpften dagegen aus der nicht sichtbaren Welt des Rationalen und Mathematischen. Auch Bartnig fasziniert die Materialisierung von Bildern, die er „zuvor im Kopf“ hat. Entwickelt aus Algorithmen, überführt in Rhythmus und Variation. „Ich benutze Zahlen wie Pinsel und Malerei“, erklärt der Künstler. Die Hand ist da nur ein weiteres Instrument, das die Motive aus dem Kopf möglichst sachlich und direkt auf die Leinwand bringt.

Wie viel Poesie sie dennoch verströmen, zeigen die Arbeiten um ihn herum in der Galerie. Gemälde mit Farbstreifen und hellen Flächen, die sich wie „Relationen“ zu Dreiecken arrangieren. Oder „60 unterbrechungen quadratisch in schwarz streifen in 5 farben“ von 2014 – ein Werk, das sich im Titel selbst erklärt und doch optisch viel mehr fasziniert, als es die strikte Bauanleitung nahelegt. Hier hängt auch eine Arbeit aus den späten Sechzigern. Ein unverkäufliches Objekt aus lauter immer größer werdenden Holzscheiben, abwechselnd schwarz und weiß eingefärbt und drehbar um den Mittelpunkt, an dem sie fixiert sind. Bartnig spielt kurz an den Elementen und kreiert so ein neues Bild. Es passt zu seiner Serie „1044 variationen“ von 1975, die ein einfaches Muster in vierfacher Ausführung so oft wie möglich kombiniert und damit über tausend Ansichten erzeugt.

Verliebt in die Mathematik

Wenn es um das Potenzial von Zahlen geht, wird Bartnig springlebendig. Dann durchquert er die Räume mit wenigen Schritten, zeigt auf eine geometrische Malerei und beginnt zu rechnen. „72 unterbrechungen in türkis striche in ocker", das quadratische Format hat er vor zwanzig Jahren geschaffen und weiß immer noch sofort, welche Formel ihm zugrunde lag. Man muss es sich vorstellen wie einen endlosen Streifen, den Bartnig an einer Stelle locht. Die Reste teilt er in Gedanken immer wieder in zwei Hälften und konstruiert so auf der Leinwand Oberflächen mit einer faszinierenden Gesetzmäßigkeit. Fast automatisch lässt sich aus diesen Streifenbildern Bartnigs Faszination für Rechner lesen. Für komplexe Berechnungen von Bildfolgen arbeitete er ab 1972 mit einem Physiker des Zentralinstituts für Kernforschung Rossendorf bei Dresden zusammen, ab 1979 hatte er Zugang zu den sowjetischen Großrechenanlagen in Berlin-Adlershof.

Seine Malerei war damals in privaten Ausstellungen und Galerien zu sehen, Bartnigs Beruf jedoch die Theatermalerei. Den Regisseur und Bühnenbildner Achim Freyer kennt er aus dieser Zeit. Freyer machte den jungen Künstler auch auf den konstruktivistischen Maler Hermann Glöckner aufmerksam, der eine Generation älter und in der DDR lange unterschätzt war. Im Katalog, der die drei aktuellen Ausstellungen begleitet, ist ein Bild von 1974 abgedruckt, das Bartnig mit Glöckner zeigt. Von Ersterem sieht man bloß Stirn und Augen, den Rest des Gesichts und einen Teil vom Anzug bedeckt ein langer Bart. Der Künstler bleibt seinen Prinzipien treu.

Gräfe Art-Concept, Kollwitzstr. 72, bis 14.1., Mi-Fr 15-19 Uhr, Sa 13-18 Uhr; Achim Freyer Stiftung, Kadettenweg 53, Eröffnung 20.11., 17 Uhr, bis 26.3., So 15-18 Uhr

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