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Die große Gleichzeitigkeit. Der Buchmarkt präsentiert sich auf seiner Messe bunt und optimistisch.

© AFP

Bilanz der Frankfurter Buchmesse: Welt auf Empfang

Promis, Pamphlete und Politik: Zum Abschluss der 67. Frankfurter Buchmesse, die am Sonntag mit der Friedenspreis-Verleihung an Navid Kermani endet.

Es war Rüdiger Safranski, der bei seinen Auftritten auf der 67. Frankfurter Buchmesse diese Art von Großereignis am besten zu fassen verstand. Das jedoch nur nebenbei, versteht sich, denn Safranski wurde primär natürlich zu seinem gerade erschienenen Buch über die Zeit befragt, einer Abhandlung darüber, „was sie aus uns macht und was wir aus ihr machen“.

Viel war in diesen Gesprächen von der globalen Gleichzeitigkeit die Rede, von der Verdichtung und „Aufwertung der Gegenwart“, davon, wie schwer es für den einzelnen ist, die Gleichzeitigkeit angemessen zu vergegenwärtigen. Was eben auch für den Besuch einer Buchmesse gilt. So viel Gleichzeitigkeit, so viel Trubel, so viele Gegenwartsangriffe, so viele Themen!

Mehr Inhalte hatte Buchmessendirektor Jürgen Boos zu Beginn der Messe versprochen – und die „politischste Messe seit Langem“. Schaut man sich die Dramaturgie dieser Tage an, ist ihm da nur schwer zu widersprechen. Zum Auftakt hatte Salman Rushdie seine Rede über die Meinungsfreiheit gehalten, über die „Universalität der Meinungsfreiheit“, darüber, dass die Beschneidung der Meinungsfreiheit nicht nur Zensur sei, sondern „ein Angriff auf die menschliche Natur“.

Und am Ende, am morgigen Sonntag, nachdem der Iran seine Teilnahme an der Messe wegen Rushdies Auftritt abgesagt hatte, bekommt der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Kermani deutete bei einer Pressekonferenz am Freitagmorgen an, wie politisch, vielleicht gar staatstragend seine Dankesrede ausfallen wird. Er geißelte die europäische Flüchtlingspolitik und attestierte Europa wegen seiner Zerstrittenheit in dieser Frage eine politisch-geistige Krise und eine Re-Nationalisierung.

Alle waren da, auch die Promifraktion um Charlotte Roche & Co.

Politik und Inhalte hin, die Beschwörung derselben her – all das verändert jedoch nicht gleich das Wesen einer Messe. Ihren Eventcharakter zum einen, zum anderen, dass die Buchbranche sich in ihrer Gesamtheit zur Schau stellt, hier Geschäfte macht, neue Geschäftsmodelle diskutiert. So lagen bei Rushdies Auftritt natürlich stapelweise Exemplare seines neuen Romans „Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte herum“; so waren so gut wie alle Autoren vor allem in Frankfurt, um über ihre neuen Bücher zu sprechen und diese zu bewerben, darunter auch die Promifraktion: Thomas Gottschalk, Charlotte Roche, Andrea Sawatzki oder Reinhold Messner.

Und so war die Digitalisierung zwar nicht mehr das alles beherrschende Thema. Aber es gab zuhauf Veranstaltungen, auf denen ging es um digitale Vertriebswege (E-Books verkaufen ohne den Handel!), die digitale Sichtbarkeit (E-Book-Cover!) oder „Zeitlückenmanagment“, wie etwa Sascha Lobo seine Sobooks-Kooperation mit der Lufthansa unter anderem versteht. Oder um die Zukunft des sogenannten Bundles, der Kombination aus Print-und Digitalbuch, nachdem das Finanzministerium beschlossen hat, dass ab kommendem Jahr die Produktanteile mit unterschiedlichen Mehrwertsteuersätzen ausgewiesen werden sollen.

Eine Diskussion über Extremismus - hinter verschlossenen Türen

Wer also wollte, kam selbst dieses Jahr an der Politik vorbei, konnte „in gewohnter Weise einen entspannten Abend haben“, wie es Droemer/Knaur-Verlagsleiter Hans-Peter Übleis beim Empfang seines Verlages im Frankfurter Hof unnachahmlich formulierte. Zumal auf den Partys und Empfängen Rushdies Rede, die Absage vieler iranischer Verlage oder der Friedenspreis für Kermani nun nicht wirklich heftig diskutiert wurden.

Man konnte aber auch, von wegen Gleichzeitigkeit, von wegen Parallelwelten, diese Messe natürlich zu einer eminent politischen machen. Wer suchte, fand. Zum Beispiel die große, von der Messe neu eingerichtete „Weltempfang“-Diskussionsplattform in der Halle 3.1. Hier stellten zum Beispiel am Freitagnachmittag die Schriftstellerinnen und Schriftsteller Janne Teller, Jagoda Marinić, Miguel Syjuco und Oskar Guardiola-Rivera die Ergebnisse vor, zu denen sie mit vielen anderen Kollegen bei den hinter verschlossenen Türen geführten „Frankfurt-Undercover“-Diskussionen zum Thema Extremismus gekommen sind. Von der conditio humana, den universellen Werten bis hin zu der Forderung, dass Schriftsteller immer der Wahrheit dienen sollen, war hier viel die Rede, eine Mischung aus Pamphlet und Schöne-Phrasen-Dreschwerk.

Die iranische Autorin Fariba Vafi sprach von der "Schere im eigenen Kopf"

Konkreter wurde es immerhin gleich danach, als Navid Kermani mit seinen Kollegen Fariba Vafi und Amir Hassan Cheheltan über die iranische Gegenwartsliteratur sprach, vor allem aber über die Situation der von der Zensur enorm beeinträchtigten Schriftsteller im Land. Vafi, die im Iran lebt, benannte ihre „Schere im eigenen Kopf“, die ständig im Einsatz sei, formulierte aber auch eine gewisse Hoffnung, dass nach der 2013 beendeten Ahmadinedschad-Ära unter seinem Nachfolger Hassan Rohani eine gewisse Besserung eintrete. Cheheltan dagegen, dessen neuer Roman „Der Kalligraph von Isfahan“ bisher nur auf Deutsch veröffentlicht wurde, nicht auf Farsi, im Iran, hat dagegen überhaupt keine Hoffnung und beklagte, dass die Regierung in Teheran das Tempo der Öffnung ständig verlangsame.

Auch ein Polit-Ereignis: der Auftritt des Verfassungsrechtlers Udo di Fabio beim Empfang des Verlages C.H. Beck im Hessischen Hof. Di Fabio stellte seinen Essay „Schwankender Westen“ vor. So beeindruckend das zunächst alles war, di Fabios Eloquenz, seine Analyse des in die Krise geratenen Gesellschaftsmodells des Westens, desto schäumender, weniger fassbar wurde es gegen Ende, da der in Bonn und Duisburg lehrende Rechtsprofessor anmahnte, dass sich dieses Modell wieder neu erfinden müsse, wir es konzeptionell neu gestalten müssen, wofür es aber an Selbstvertrauen fehle.

Um ein Statement zur Flüchtlingspolitik gebeten, antwortete di Fabio streng juristisch: Es gebe ein Asylrecht, dessen Änderung, den vor 20 Jahren beschlossenen Asylkompromiss, und es gebe das Dublin-Abkommen. All das müsse man nur anwenden. Und wie hatte es Navid Kermani ein paar Stunden zuvor auf der Messe gesagt, als er ein „faires Flüchtlingsrecht“ einforderte: „Das Dublin-Abkommen war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Dadurch zwingen wir die Menschen in die Schlauchboote, damit sie für sich überhaupt das Asylrecht in Anspruch nehmen können.“ Doch, diese Messe war in hohem Maß politisch.

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