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Lavinia Wilson und Jürgen Vogel als Elizabeth und Georg Kiehl.

© dpa/Constantin

Charlotte Roches "Schoßgebete" im Kino: Kein Sex mit Avocado-Kernen

Charlotte Roche gilt als Expertin für Körperflüssigkeiten aller Art. Aber vor der Verfilmung ihres zweiten Romans "Schoßgebete" mit Lavinia Wilson und Jürgen Vogel muss niemand Angst haben.

Alles im Leben ist eine Frage der Distanz. Buchstaben kann man gut ausweichen, Bildern schon weniger, Gerüchen gar nicht. Insofern ist es gut, dass der Leser „Feuchtgebiete“, den ersten Roman der Avocado-Züchterin Charlotte Roche, Expertin für Exkrementologie, Mukophagie und Körperflüssigkeiten aller Art, nicht riechen musste. Vor einem Jahr kam die Geschichte einer 18-Jährigen, die wegen eines Kollateralschadens bei der Unterleibsrasur im Krankenhaus liegt, ins Kino.

Da musste man immerhin schon sehen statt lesen; Zuschauer kamen nicht zuletzt, um zu überprüfen, ob der Film "Feuchtgebiete" genauso eklig ist wie das Buch. Und es mag vor allem Erleichterung gewesen sein, was Kritiker zu einem Gar-nicht-so-schlecht-Urteil mit Es-hätte-schlimmer-kommen-können-Vorbehalt bewog, die Originalität der Bildlösungen ausdrücklich vermerkt. David Wnendt war der Regisseur, er übergibt den Charlotte-Roche-Staffelstab nun an Sönke Wortmann.

Kein Sex mit Avocado-Kernen

Formulieren wir es so: Niemand muss Angst haben vor diesem Film. Außer dass die Heldin – immer appetitlich: Lavinia Wilson – öfter und länger auf Toilette sitzt als Hauptdarstellerinnen in gewöhnlichen Filmen, gibt es nichts Auffälliges. Sie hat auch keinen Sex mit Avocado-Kernen, sie benutzt jetzt vorwiegend Männer. Und eigentlich auch nur einen: ihren eigenen. Das ist Jürgen Vogel, mit Walter-Ulbricht-Bart. Noch nie stand Vogel in einem Film so sehr neben sich wie hier, wahrscheinlich sollte er die stumme sexuelle Potenz verkörpern; Vogel kann das, bestimmt. Aber doch nicht mit dem Bart!

Die Heldin ist in „Schoßgebete“ schon etwas älter, 33. Gewöhnlich behauptet man ja, jemand sei „erwachsen geworden“, aber genau das wäre hier falsch. So wie der Pornografieverdacht gegen die Autorin. Wer ist Charlotte Roche? Je länger man den „Schoßgebeten“ zusieht, desto mehr hegt man den Verdacht: Charlotte Roche ist Pippi Langstrumpf im geschlechtsreifen Alter. Man darf das nicht als Denunziation verstehen, im Gegenteil. Kinder sind gewöhnlich viel reicher als Erwachsene, ihre Welt ist voller, origineller sind sie sowieso. Erwachsene sind partiell abgestorben, während sich gegen die Pippi Langstrumpfs dieser Erde höchstens sagen lässt: Sie sind meistens etwas anstrengend. Schon weil sie alles so grundsätzlich und wie zum ersten Mal sehen. Keine gute Voraussetzung für ein Ehepaar.

Die Musik zur Bordellszene würde auch zum Ersten Weltkrieg passen

Dass ihr Mann mit einer Socke fremdgeht, erscheint Elizabeth Kiehl vollkommen inakzeptabel. Es war nicht einmal ihre Socke. Elizabeth unternimmt alles, um ihre Ehe zu retten, weshalb die beiden gemeinsam Bordelle besuchen, auch wenn das Elizabeth Überwindung kostet. Wortmann filmt die Bordellszene wie eine naturwissenschaftliche Aufklärungsdoku mit einem Soundtrack, der auch zum Ersten Weltkrieg passen würde. Elizabeth hatte einen anderen Mann heiraten wollen als den mit dem Walter-Ulbricht-Bart.

2011 erschien „Schoßgebete“ mit einer Startauflage von 500 000 Stück. Nie wurden an einem Tag mehr Exemplare eines Buches ausgeliefert. Ein mutmaßliches Millionenpublikum weiß also, dass es für die Handlung der „Schoßgebete“ nur eine Entschuldigung gibt: die Wirklichkeit.

Eine junge Frau verliert fast ihre ganze Familie bei einem Autounfall, Geschwister und Mutter waren unterwegs zu ihrer Hochzeit. Sie mussten den Wagen nehmen, weil das selbst geschneiderte Brautkleid seinen Abmessungen nach nur auf einem Autodach transportiert werden konnte. Keine Frage, dass sie den Bräutigam, den Anlass dieser Katastrophe (Robert Gwisdek), dann nicht heiraten konnte. Zu viele ungute Assoziationen. Aber sie hat noch einmal mit ihm geschlafen in der Nacht danach, eine Form von Trauerarbeit. Anhänger des älteren Kulturbegriffs mögen das für unangemessen halten, aber eingedenk des Todes gibt es nun mal keine stärkere Vergewisserung, am Leben zu sein.

Das Kind jener Nacht heißt Liza. Liza ist neun, aber schon jetzt viel erwachsener als ihre Mutter. Wenn es einen Grund gibt, diesen Film zu sehen, dann wegen Pauletta Pollmann. Was für eine unendliche Nachsicht liegt im Blick dieser Neunjährigen, welche Duldsamkeit!

Ab Donnerstag, 18. September, in 14 Berliner Kinos

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