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Kultur: Crossover mit Currywurst

Fördergeld weg? Na und! Das English Theatre Berlin und sein brillanter Ten Minute Play Contest.

Was für ein Schlachtfest. Wurst und Fritten werden bergeweise herangekarrt, auf Papptellern und Silbertabletts. Die drei Männer in ihren Athletenanzügen auf der Bühne legen sich mit vollem Körpereinsatz ins Zeug, richten Ketchup-Blutbäder und Mayo-Sauereien an, schaufeln sich das Fastfood mal in Zeitlupe, mal in Hochgeschwindigkeit rein. Ein bizarrer Fresssport. Und das alles für die Kunst.

Am English Theatre Berlin steigt zum vierten Mal der Ten-Minute Play Contest – der Nachwuchs-Autorenwettbewerb, bei dem englischsprachige Stücke von höchstens zehn Minuten Länge zu einem übergreifenden Thema eingereicht werden können. Diesmal heißt es: „Berlin Was Yesterday. Expatriate Traffic from the Kaiser to Kotti“. Und spielt mit der Anziehungskraft der Hauptstadt auf Migranten, Zeitarbeiter und Künstler aller Couleur quer durch die Epochen.

Neu in diesem Jahr: Die fünf Siegertexte werden nicht in gewohnt manierlicher Weise szenisch aufbereitet, sondern in eigener Art verhackstückt. Das English Theatre hat den Ten-Minute Play Contest in die Hände der Performance-Truppe „Shakespeare im Park Berlin“ gelegt. Und damit eine tolle Wahl getroffen.

Das deutsch-amerikanische Künstlerkollektiv hat letzten Sommer das furiose Freiluft-Projekt „Utopia TM“ im Görlitzer Park aufgezogen. Avantgarde umsonst und draußen. Jetzt richten die Regisseure in den Räumen an der Fidicinstraße eine Performance-Installation ein, die Theater mit bildender Kunst und Currywurst kreuzt.

Die Gewinnerautoren selbst werkeln in der zur Kulturküche umfunktionierten Toilette des Hauses und bereiten Berliner Junkfood auf (gesponsert von einer berühmten Kreuzberger Frittenbude!). Tristesse Royal vor fetttriefenden Tellern ist eine Art Leitmotiv der fünf ausgewählten Minidramen. Im großen Saal machen sich die Performer Peter Priegann, Sebastian Rein und Errol Shaker über die Platten her, während auf einer Videoleinwand die Texte der prämierten Stücke vorüberflimmern. Sie werden nach einem ausgeklügelten Karaoke-Algorithmus der Regisseure Maxwell Flaum, Brandon Woolf und Alberto Di Gennaro verlesen, die als griechisches Göttertrio auf einer Parkbank thronen. Dazwischen röhren über den Raum verteilte Staubsauger, im Foyer zieht ein Putzroboter seine Kreise – ebenfalls ein Motiv aus einem der Siegertexte. Frisch und originell ist das. Und ziemlich komisch.

Das English Theatre macht sich fit für die Zukunft. Dabei war der kleinen Bühne zuletzt die Basisförderung ab 2014 entzogen worden. Die Begründung: kein innovatives Programm. Außerdem gebe es englischsprachige Theaterabende im Zuge der fortschreitenden Internationalisierung Berlins inzwischen allerorten.

Statt sich, wie andere Häuser mit gleichem Schicksal, auf die Position des Entrechteten und Beleidigten zurückzuziehen, hat der künstlerische Leiter Günter Grosser die Ärmel hochgekrempelt. Zunächst gelang es ihm, für 2014 die überlebenswichtige Fördersumme von 120 000 Euro aus der Lottostiftung zu akquirieren. Darüber hinaus will er das English Theatre verjüngen und neue Akzente setzen.

Die Rolle der Expats in Berlin wird künftig ein Schwerpunkt sein, allein 150 000 englische Muttersprachler leben nach Schätzungen an der Spree. Meist als privilegierte „G-7-Ausländer“, die ganz anders angesehen sind als etwa türkische Migranten. Auch damit will sich das English Theatre befassen.

Oktay heißt der türkischstämmige Slacker, den Autor Antoine Hummel in seinem Stück „Lass die Nutten tanzen“ in eine Berliner Absturzkneipe schickt. Wo er mit dem dauertelefonierenden Lester famose Dada-Dialoge führt. Die well-made plays wird man bei diesem Ten-Minute Contest vergebens suchen. Stattdessen gibt’s geballte Experimentierlust. Wie die absurd-schöne Konversation zweier Porno-Queens an der Wurstbude in „Fluffers“ von Harvey Rabbit. Wie das beklemmende Körperoptimierungsprogramm für Ex-DDDler mit kommunistischem Krebsgeschwür in „Physical Exercises“ von Marie Hoffmann. Oder die polyphone Satzfetzen-Collage „Symphony of Everyday Life“ von Claire Delaby und Alberto Di Gennaro, die mit schönen Einzeilern wie „Social is a trademark“ aufwartet.

Das Stück „Culture“ von Emal Ghamsharick schließlich umfasst gerade mal eine Seite. Es gipfelt darin, dass einer „Kultur“ sagt – und alle lachen sich tot. Das hat in seiner schwarzhumorigen Prägnanz schon Beckett-Qualitäten. Das English Theatre jedenfalls ist auf der Höhe seiner Kunst und der Zeit zu erleben. Alive and kicking. Patrick Wildermann

Wieder am 11., 12., 14. und 6. 3., 20 Uhr

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