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Kultur: "Die Stille nach dem Schuss": Eine deutsche Rita

Als 1989 in Deutschland die Mauern fielen, bedeutete das für ein knappes Dutzend Menschen den Anfang vom Ende ihrer - begrenzten - Freiheit. Diese Menschen, viele von ihnen Frauen, waren ehemalige Kämpfer der RAF, die sich aus der Aussichtslosigkeit ihrer Lage nach dem Deutschen Herbst 1977 abgesetzt hatten.

Als 1989 in Deutschland die Mauern fielen, bedeutete das für ein knappes Dutzend Menschen den Anfang vom Ende ihrer - begrenzten - Freiheit. Diese Menschen, viele von ihnen Frauen, waren ehemalige Kämpfer der RAF, die sich aus der Aussichtslosigkeit ihrer Lage nach dem Deutschen Herbst 1977 abgesetzt hatten. Nicht nach Kuba oder Jemen, sondern in die DDR. Dort wurden die Aussteiger, von der Stasi "betreut", mit notdürftigen Legenden in der Provinz angesiedelt. Nachdem die Stasi-Akten westlichen Behörden in die Hände fielen, war auch das Ende dieser Flüchtlingsexistenzen besiegelt. Im Juni 1990 wurde Susanne Albrecht verhaftet, in den nächsten Wochen folgten Inge Viett, Werner Lotze, Sigrid Sternebeck und Silke Meier-Witt.

Dass ein prominenter, wenn auch nicht repräsentativer Teil der westdeutschen Linken der Parole "Geh doch nach drüben!" gefolgt waren: Manche, allen voran die Verschwörungstheoretiker, hatten das schon immer gewusst. Andere fanden die Geschichten tragisch, dann irritierend. Und sie machten neugierig. Bedeutete der Ortswechsel auch eine politische Umorientierung? Wie groß war die Sehnsucht der Gejagten nach Normalität? Wie kamen Menschen in einer Gesellschaft zurecht, die sich zwar den Sozialismus auf die Fahnen geschrieben hatte, diesen aber mit Soli-Sammlungen und Subotniks mehr kleinbürgerlich als klassenkämpferisch umsetzte? Und: Was für ein Interesse konnten die DDR-Regierenden an diesem Handel haben? Zu den Neugierigen gehörten auch Volker Schlöndorff und Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase. Schlöndorff wollte anfangs nicht so recht. Er habe "schon genug gespendet" nennt er das und meint damit seine Beteiligung an verschiedenen Projekten, die sich mit Terrorismus und Terroristenhatz beschäftigen. Doch dann hat wohl auch er das Kino-Potential des Stoffs erkannt.

"Die Stille nach dem Schuss" schafft sich eine fiktive Heldin, Rita Vogt: eine aufrechte, eher ernste als überschäumende Frau. Sympathisch. Vor allem durch die Liebe ist Rita zum bewaffneten Kampf gestoßen. Die Liebe zu Andi (Harald Schrott), dem Kopf der Gruppe, einem autoritäen Hitzkopf. Gemeinsam macht man eine Art Spaßguerilla. Doch die Liebe gelingt nicht. Aus dem Spaß wird spätestens nach Gefängnis und ersten Toten bitterer Ernst. Und in der Gruppe werden die Spannungen unüberbrückbar, nachdem sich auch politisch nichts bewegt.

Als Stimmungsbild mit den üblichen Accessoires - Bertolucci-Poster, Stones, Summerhill-Bücher - wird diese Ausgangslage ausgebreitet. Mit ähnlicher Hingabe ans atmosphärische Detail wird auch die östliche Plattenbau- und Datschenwelt durchdekoriert. Bei der Rückkehr von einem "Bildungsurlaub" im Nahen Osten gerät Rita in Schönefeld ins Visier der Stasi. Erwin heißt der Verhör führende Offizier; Martin Wuttke gibt ihn auch schön erwinmäßig. Erwin bietet Rita "Hilfe" an. Die wehrt ab, seine Telefonnummer nimmt sie jedoch mit. Als sie wenig später in arge Berdrängnis gerät, fällt ihr Erwin wieder ein.

Man trifft sich, unter röhrenden Hirschen bei Grillwurst auf der Edel-Datsche. Die Herren machen Angebote. Ein Teil der Gruppe, unter ihnen auch Rita, nimmt sie an an. Sie wird Textilarbeiterin. Engagiert sich im Betrieb. Doch die Menschen sind hier genauso unpolitisch wie im Westen. Die Doppelexistenz wird ausgerechnet dann zu einem existenziellen Problem, als Rita eine Freundin findet: Tatjana (Nadja Uhl), eine junge Kollegin, die wegen ihrer flippigen alkoholgetränkten Lebensstils von den Kolleginnen geächtet wird.

Als Schlöndorffs Film im Februar zur Berlinale herauskam, gab es Proteste von einer der "Betroffenen", Inge Viett, die ihre als Buch veröffentlichten Erinnerungen an diese Zeit durch den Film missbraucht sah. Das ist einerseits dumm, denn offensichtlich ist diese Geschichte, von der anfänglichen Gefangenbefreiung (Baader) bis zu dem tragisch-heroischen Ende (Hollywood) aus Versatzstücken realer wie fiktiver Welten zusammengesetzt. Andererseits ist der Unmut verständlich, ist doch das Innenleben der Gruppe so grob geschnitzt, ihre politische Geschichte so schwammig und undifferenziert dargestellt, dass etwa die Motivationen der Figuren unmöglich nachvollzogen werden können. Die schier unglaubliche Naivität, mit der die West-Sozialistin Rita dem DDR-System gegenübertritt, wäre selbst für ein DKP-Mitglied denunziatorisch.

Schlönforff ist ein freundlicher Bürger, ein "Spender" eben. Schlöndorff verliebt sich in seine Protagonistin, statt sie zu verstehen. Mit Bibiana Beglau hat er die für ihn perfekte Hauptdarstellerin gefunden. Oft erinnert Beglau an die junge Angela Winkler. Und auch der Film nimmt eine ähnliche paternalisierende Position zu seiner Hauptfigur ein wie damals "Die verlorene Ehre der Katharina Blum". Schlöndorff meint es gut. Nur dass solch freundliches Sympathisantentum heute nüchternen Fragen weichen müsste.

Fürs Fragen ist Kohlhaase zuständig. Der langjährige DEFA-Autor versteht sich auf das Zuspitzen ideologischer Konflikte zu griffigen Dialogen. Ihm haben wir herrlich dialektische Debatten über politische Moral zu danken. Vielleicht liegt es ja an diesen Kohlhaasschen Fähigkeiten, dass - neben Tatjana - die einzigen interessanten Figuren die Stasi-Offiziere sind: von Weltschmerz zerrissene Zyniker, gewandte Disputierer, ja, im Fall Erwins sogar von geheimnivoller Widersprüchlichkeit. In ihren besten Momenten haben die Stasi-Szenen in holzgetäfelten Schreibstuben und Partykellern kabarettistische Schärfe. Doch aufgehen im Ganzen will das nicht. Ein bisschen DEFA-Komödie, ein bisschen "Katharina Blum". Vielleicht sollten sich Schlöndorff und Kohlhaase für ihre nächsten Filme andere Partner suchen.

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