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Kultur: Dolly und die Wunderkammer

Schottische Pioniere: Edinburghs neues Universalmuseum hat Modellcharakter – auch für Berlin

Sir Alexander Fleming betrachtete die Schale mit Bakterienkulturen, in die ein Schimmelpilz eingedrungen war. Normalerweise hätte er die Probe wegwerfen müssen. Doch der Arzt schaute genauer hin und entdeckte Erstaunliches. Der Bakterienrasen um den Pilz Penicillium war verschwunden. Fleming schloss daraus, dass der Eindringling eine bakterientötende Wirkung haben müsse.

So wurde durch einen Zufall das Penicillin gefunden, das lebensrettende Antibiotikum. 1945 bekam Fleming dafür den Nobelpreis, zusammen mit Howard Walter Florey und Ernst Boris Chain. Letzterer war Berliner. Aber dann gab es auch noch John Logie Bird, der den Farbfernseher erfand. Oder James Watt. Oder den Ökonomen Adam Smith („Wohlstand der Nationen“). Nicht zu vergessen, Dolly, das geklonte Schaf. Alle waren sie Schotten.

Was für eine große Nation von Erfindern, Ingenieuren, Dichtern und Denkern dieses Schottland ist! Man denkt da an ganz andere Dinge. Ob die Männer Unterhosen unter ihren Kilts tragen, oder warum die Schotten so einen schwer verständlichen Akzent haben. Selbst in der Hauptstadt Edinburgh wird der Besucher in den auf- und absteigenden Straßen der Old Town mit Klischees begrüßt. An allen Ecken gibt es Souvenirshops mit Karoröcken und Karoschals. Dazu juckt Dudelsackgedudel in allzu greller Lautstärke aus den Lautsprechern, die direkt auf die Touristenströme gerichtet werden.

Einen frischen und nachhaltigen Eindruck vom „Scottish Enlightenment“, jener strahlenden Epoche im 18. Jahrhundert, die eine Variante der Festlands-Aufklärung war und einen Pioniergeist entfachte, der bis in unsere heutige Zeit reicht, vermitteln die National Museums of Scotland. Nicht nur, weil dort all die Trophäen und Erfindungen ausgestellt sind, der Farbfernseher, das Dampfmaschinenmodell, das ausgestopfte Schaf. Herzstück der Architektur ist die Grand Gallery, eine lichtdurchflutete Halle mit einer dreistöckigen gusseisernen Konstruktionen aus umlaufenden Balkonen und einem Glasdach als Krönung.

1866 wurde das Museum eröffnet. Die Architektursprache von damals funktioniert noch immer. Wer die Grand Gallery betritt, wird wahrlich erleuchtet vom Spiel des Lichts und dem zarten Eindruck der nach oben strebenden Säulen. Es ist ein Meisterwerk des viktorianischen Stils, erbaut von Francis Fowke, der auch die Royal Albert Hall und Teile des Victoria and Albert-Museums in London entworfen hat. Nach dreijährigem Umbau, der 47 Millionen Pfund gekostet hat, entfaltet sich die Raumwirkung besser denn je. Edinburgh besitzt nun ein Museum des 21. Jahrhunderts.

Jede Zeit hat ihre Moden, jedes Publikum will angelockt, überrascht, fasziniert werden. Und sich Gedanken darüber zu machen, wie Museen ihre Objekte am besten präsentieren, das ist so alt wie die Museumsgeschichte selbst. Das schottische Nationalmuseum sei eben ein wenig „müde“ gewesen, wie Direktor Gordon Rintoul bei der Wiedereröffnung Ende Juli zugab. Und deshalb wurde auch das Ausstellungskonzept komplett überarbeitet. 8000 Objekte sind jetzt zu sehen, viele von ihnen zum ersten Mal. Einst als Industriemuseum gegründet, beherbergt das Gebäude heute die unterschiedlichsten Sammlungen unter einem Dach, von den Naturwissenschaften bis zur Kulturgeschichte und Ethnologie. Es ist ein echtes Universalmuseum.

Doch wie soll es aussehen — in einer globalisierten Welt, in der Informationen mit einem Fingerwisch über den Bildschirm des iPhones zu erreichen sind? In einer Zeit, in der die Schätze der Weltkulturen als ein großes Ganzes zu verstehen sind, Hierarchien zwischen „primitiver“ und westlicher Kunst verschwinden und Kunst und Naturwissenschaft näher zueinanderkommen? „Vorbilder“, sagt Henrietta Lidchi, verantwortlich für die Sammlungen der Weltkulturen, „hatten wir nicht.“ Das schottische Nationalmuseum hat also durchaus Pioniercharakter. Impulse geben könnte das auch für das geplante Berliner Humboldt-Forum.

Denn wie einmal die außereuropäischen Sammlungen, das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst in der Mitte Berlins präsentiert werden sollen, darüber beratschlagen Wissenschaftler und Museumsleute noch in vielen Symposien. Aber es gibt Ideen und Lösungen. Das weltweit agierende Designbüro Ralph Appelbaum Associates hat nicht nur das Konzept für Edinburgh entwickelt, es interessiert sich offenbar auch für Berlin. Im vergangenen Jahr hatte die Stiftung Berliner Schloss/Humboldt-Forum einen Wettbewerb zur Ausstellungsgestaltung des Forums ausgelobt. Die Londoner Gestalter kamen unter die ersten vier Plätze. Ihr Entwurf war mit einem Zitat Alexander von Humboldts überschrieben: „Wir treten aus dem Kreise der Objekte in den Kreis der Empfindungen“.

Das passt auch auf das schottische Konzept. Begrüßt wird der Besucher mit dem sogenannten „Window on the World“, einem überdimensionalen Setzkasten, der an einer Wand der Grand Gallery bis unters Dach reicht. Da hängt ein schnittiges Motorrad neben glänzenden persischen Waffen aus dem 17. Jahrhundert und ausladenden Kieferknochen eines Pottwals, verziert mit der weltweit größten Schnitzerei. Die Vielfalt überwältigt. Zurückgegriffen wird hier auf die Anfänge der Museumsgeschichte, auf Wunderkammern und Kuriositätenkabinette der Fürsten, als es noch keine Spezialisierung in einzelne Fachbereiche gab. Eine alte Idee für die Zukunft.

Im Erdgeschoss warten bunte Wände und interaktive Spiele auf Familien. Man darf an tibetischen Gebetsmühlen drehen und unter Kochtopfdeckeln verschiedene Gewürze schnuppern. Je höher man sich im Gebäude schraubt, desto weniger verspielt ist die Präsentation. Trotzdem: Jede Keramik, jede Zeremonienmaske, jedes Musikinstrument ist mehr als einfach nur ein Objekt, mehr als nur Kunsthandwerk, das seiner Fremdheit wegen bestaunt wird. Anhand der Exponate lassen sich Geschichten erzählen. Wie werden Geburt und Tod in Asien, Afrika, Ozeanien und in der arabischen Welt begangen? Wie haben die Völker auf landschaftliche Gegebenheiten reagiert? Wie sehen Feste aus?

Altes steht neben Zeitgenössischem, ein hölzerner Inuit-Schlitten neben einem motorisierten Schneemobil. Unterteilungen in einzelne Kontinente und Kulturkreise gibt es nicht mehr. Das muss man sich als Museum erst einmal trauen. Wenn man von den Erklärmodellen des Universums zum Tyrannosaurus Rex blickt, der gefährlich seine Zähne fletscht, und noch einmal um die Ecke biegt, in die Galerien der Weltkulturen, zum Regenmantel, der aus einem Wal-Darm genäht wurde, und dann emporsteigt zu den römischen Skulpturen – dann lernt man das Staunen über unsere Welt, die hier aufs Neue entsteht.

Info: www.nms.ac.uk

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