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Kampf muss sein. Moritz von Treuenfels als Rio Reiser.

© HL Böhme

Ein Musical über Rio Reiser: Halt dich an deiner Liebe fest

Aus dem Leben eines Zerrissenen: Das Potsdamer Hans Otto Theater zeigt das Musical „Rio Reiser – König von Deutschland“.

Es kann von Vorteil sein, sich unbequemen Dingen aus der Distanz zu nähern. Und Potsdam, sollte man meinen, ist ziemlich weit entfernt von Hausbesetzungen, Straßenkrawallen, K-Gruppen, Kommunarden, Jungarbeitern oder Kriminellen, für die Rio Reisers Musik ursprünglich gedacht war. So weit jedenfalls, dass sich das Hans Otto Theater des Schaffens dieses zeitlebens umstrittenen Idols unbedrängt von alten, ideologischen Spannungslinien annehmen kann.

„Rio Reiser – König von Deutschland“, eine bereits 2004 von Heiner Kondschak geschriebene musikalische Revue, ist denn auch ein munter melancholischer Rückblick auf Reisers Entwicklung vom Politrocker der 70er Jahre zum Hitparaden-Star der 80er und dem verkannten PDS-Unterstützer der 90er, der sich zunehmend frustriert zurückzog. Wobei die größte Überraschung der Potsdamer Inszenierung ist, wie viel die Brüche dieses Lebensbogens über Reisers Tod 1996 hinaus mit der Gegenwart zu tun haben. Nicht nur, dass sie meist unbemerkt bleibende Verweise auf Reisers Gemütsverfassung in seinen Songs aufspürt und ausleuchtet, sie ist im besten Sinne – ein Volkstheater.

Volkslieder wollte Rio Reiser immer machen. Ob ihm das als Sänger von Ton Steine Scherben besser gelang als in seiner anschließenden Solokarriere? Auf den Trümmern der linken Ideen lässt sich leicht sagen: Pop ist das bessere Modell, mit Widersprüchen umzugehen.

Aber ganz so einfach ist es eben nicht. Da sitzt einer zum Auftakt an der Schreibmaschine, eine Ausgabe des „Stern“ neben sich, auf dessen Titelblatt die Beatles zu sehen sind, und träumt davon, dass Musik zur „Waffe“ werden müsse. Er kann bald darauf ein bisschen Gitarre spielen, darf in einer Band mitmachen, und da er Lieder schreiben will, die der Jugend mehr von der Ungerechtigkeit des Systems erzählen, wird er von linken Aktivisten gefragt, ob er nicht einen Song für ihre Demo, ihren Streik, ihren Barrikadenkampf schreiben würde. Da guckt er.

Melodien des Widerstands

Heraus kommt, wie man weiß, „Macht kaputt, was euch kaputt macht“, ein Song, der die Generallinie des Widerstands in Melodie verwandelt. Man wird die Parole fortan nunmehr singen können. In schnellen Schritten geht es von hier aus durch die Biografie Reisers, szenischen Polaroids ähnlich, die zwischen WG-Küche, Konzertbühne und eingesprochenem Off- Kommentar hin und her springen.

Sehr schön ausbalanciert sind Reisers persönliche Ungeduld und sein Aufbruchsverlangen („Wir sind geboren, um frei zu sein ... wir werden es schaffen“) mit der allgemeinen politischen Unruhe. Da ist der Tod Benno Ohnesorgs, der Tod Georg von Rauchs, und am Küchentisch sitzt die Ehefrau von Otto Schily, dem Anwalt der Linksterroristen. Ton Steine Scherben bewegen sich mitten in einem radikalen Milieu, dem sie als Künstler doch nicht richtig angehören können. Schön zu beobachten ist das an der Abkapselung des Musikerkollektivs von den überspannten Wortführern, die immer so viel von ihnen wollen, und immer umsonst, aus Solidarität.

Als Reisers Truppe „Keine Macht für Niemand“ zu spielen beginnt, bricht der Graben vollends auf. Denn den linken Kadern ist diese Formulierung 1972 viel zu weit gefasst, untergräbt sie doch auch ihren eigenen Machtanspruch. Von da an wird Reiser sich von Zeilen verabschieden, die eine Entsprechung zum Molotowcocktail waren, und stattdessen sagen: „Halt dich an deiner Liebe fest“.

Opposition zur Rockstarpose

Dem voraus geht eine Choreografie, bei der Moritz von Treuenfels in der Hauptrolle und Friedemann Petter in der Rolle von Reisers erstem Geliebten sich einander offenbaren. Wortlos tun sie das. Zwei Männerkörper, die sich über ihre Handflächen miteinander verbinden. Das ist ein bleibendes Bild für die Homosexualität, die Reiser noch mehr zum vereinsamten Außenseiter werden lässt und ihn auch in Opposition zur Rockstarpose bringt. Es gibt, so will es uns sagen, eine noch viel wichtigere Form des über sich Hinauswachsens als die Popularität. Diese zu entdecken, macht sich Reiser auf, nachdem Ton Steine Scherben sich hochverschuldet trennen.

So steht der zweite Teil des Abends im Licht der Selbstfindung eines innerlich Zerrissenen. Die Welt verändern und doch von allen geliebt werden wollen sind unvereinbare Antriebe. Moritz von Treuenfels bringt sie gleichermaßen stark zum Ausdruck, wie er überhaupt die Figur Rio Reisers bis in die letzte Faser seiner großartigen Gesangsstimme hinein verkörpert.

Mit einer leicht widerwilligen Präsenz macht der Schauspieler plausibel, wie aus dem unbedarften Berliner Jungen Ralph Möbius der Harlekin des politischen Protests wird, sich über den Stress amüsierend, den die Klassenkämpfer sich machen, bis hin zur trunksüchtigen Verzweiflung über die eigene ökonomische Erfolglosigkeit. Bei dem Hit „König von Deutschland“, die als Echo auf die Neue Deutsche Welle durchs Theaterhaus fegt, sitzt er auf dem zerschlissenen WG-Möbel als seinem Thron, drapiert mit Krone und Purpur, ein Popanz aus eigenen Stücken, und zum ersten Mal versteht man, was gemeint ist, wenn er sich ausmalt „Wie es wäre, wenn ich nicht der wäre, der ich bin“.

Er war nun mal kein anderer, kein Wahrheitenverdreher („Alles Lüge“), kein Styler. Sondern einer, der, gerade als es aufwärts ging, alles über den Haufen warf. Sein Engagement für die SED-Nachfolgepartei PDS war ihm wichtiger als die Pop-Vita. Gleichzeitig sind aus seiner Spätphase vor allem seine Balladen in Erinnerung, „Zauberland“ und „Junimond“ mit der in Potsdam als Schlusswort gesetzten Zeile: „Es ist vorbei / Bye bye...“

Die Hoffnung, dass sich an den Verhältnissen etwas grundsätzlich ändere, hat Reiser nie aufgegeben. Wenn er auch zunehmend enttäuscht war. Auf dieser Linie bewegt sich in Potsdam das Drama der unerfüllten Utopie. „Ich will nicht an Pilzen sterben“, sagt Reiser einmal, „sondern für was.“ Auf geht’s.

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