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Deutsche Ordnung, brasilianisches Chaos: Clemens Schick in "Praia do futuro"

© Alexandre Ermel

Filmkritik: "Praia do futuro": Gewollter Culture Clash

Der brasilianische Regisseur Karim Aïnouz lebt in Berlin. In seinem Wettbewerbsfilm „Praia do futuro“ lässt er denn auch das Chaos des einen Landes auf die Ordnungsliebe des anderen prallen. Heraus kommt ein binationales, schwules Coming-of-Age-Melodram.

„Was passiert, wenn ich im Meer verschwinde?“, fragt Donato seinen kleinen Bruder. „Ich hol dich“, verspricht dieser: Der große Bruder ist Rettungsschwimmer, der kleine kann das Meer nicht leiden, aber der Pakt zwischen ihnen ist geschlossen. In wunderbaren, weiten Totalen beschreibt der brasilianische Regisseur Karim Aïnouz die Atmosphäre am „Praia do futuro“, am Strand der Zukunft im Nordosten Brasiliens: Unter dem strahlend blauen Himmel brandet der Atlantische Ozean auf den Sand, dahinter erstrecken sich Dünen. Wenn die Rettungsschwimmer in ihren rot-schwarzen Trikots trainieren, setzen sie hübsche Farbakzente in die riesigen Flächen.

Donato kann eines Tages einen deutschen Touristen nicht retten; dessen Freund Konrad ist knapp mit dem Leben davongekommen. Aus Wut, Trauer und Hilflosigkeit fängt er mit Donato eine heftige Liebesaffäre an, bevor er nach Berlin zurückreist. Wenig später kommt Donato nach, bleibt in Berlin, ohne dass er es selbst so richtig merkt. Und natürlich löst der kleine Bruder eines Tages sein Versprechen ein.

Karim Aïnouz, der einmal Kunst studiert hat, malt mit der Kamera perfekte Stadtansichten, Dachlandschaften, Seestücke. Außerdem interessieren ihn Männerakte: die mit Muskeln, originellen Tattoos, Haaren an den richtigen Stellen versehenen Körper seiner Darsteller Wagner Moura, Clemens Schick und Jesuita Barbosa. Oft streifen sich die Herren die Hemden vom Torso, so oft, dass es ein bisschen eintönig wird. Man weiß nicht, ob Aïnouz eine binationale Liebesgeschichte, ein schwules Melodrama oder gar eine Coming-of-Age-Story erzählen will. Der Plot ertrinkt in Schönheit.

"Praia do futuro" will sich nicht an Orte binden, sondern an Gefühle

Karim Aïnouz hat schon in allen möglichen Ländern gelebt, aber unterschiedlicher als die brasilianische und die deutsche können Kulturen nicht sein, meint er. Ihm gefallen beide, und deshalb lebt der 48-jährige Filmemacher jetzt seit ein paar Jahren mit seinem Freund in der Nähe des Hermannplatzes. Ob er wegen der Liebe nach Berlin gekommen ist, will man natürlich wissen, nachdem man „Praia do futuro“ gesehen hat. „Nein“, sagt Aïnouz entschieden, „in dem Film gibt es zwar ein paar autobiografische Elemente, aber mein Freund ist auch aus Brasilien, und wir sind zusammen hergekommen.“ Die beiden mögen ihren Kiez mit den vielen Lebensmittelgeschäften und Restaurants, wo man alles bekommt, was das Herz begehrt, auch Couscous, den zu essen dem Filmemacher Heimat bedeutet. An Orte sei der schöne deutsche Begriff, für den es im Portugiesischen kein Äquivalent gibt, nicht gebunden für ihn; er setze sich aus Schichten zusammen, die mit Landschaften, Sprache, Arbeit und eben auch Essen zu tun haben.

„Praia do futuro“ ist Aïnouz’ erster teils im Ausland gedrehter Spielfilm, und am Set machten sich die Mentalitätsunterschiede besonders bemerkbar. In Deutschland sei alles bis ins Detail geplant, für Improvisation eigentlich kaum Platz, „aber“, lächelt der Regisseur, „wir haben eine gute Mischung aus deutscher Ordnung und brasilianischem Chaos zustande gekriegt.“

Eigentlich wollte Karim Aïnouz Architekt werden; er studierte in Brasilia, ging nach Frankreich und dann nach New York, nahm einen kurzen Umweg über die Bildende Kunst und die Fotografie, und landete in den frühen 90ern bei einer Gruppe von unabhängigen Filmemachern um Todd Haynes. Die setzten sich damals mit Minderheitendiskriminierung und -rechten, mit Gender-Politik insgesamt auseinander, verstanden sich als politische Filmemacher. Dort ist auch Aïnouz' erster dokumentarischer Kurzfilm „Seams“ im Jahr 1993 entstanden. Er ist für ihn ein politisches Statement, ebenso wie sein glamouröses, international gefeiertes Spielfilm-Porträt des brasilianischen Transvestiten „Madame Sata“ (2002), der in den 40ern im Showbusiness Karriere machte.

„Ich reise, weil ich muss, ich komme wieder, weil ich dich liebe“ ist die wörtliche Übersetzung eines anderen Spielfilmtitels von Karim Aïnouz, es ist ein Roadmovie, und während er drehte, hat er das Graffitti auf einer Hauswand gefunden. „Eine echte Trouvaille“, freut er sich, „sie ist mein Lebensmotto geworden.“
12.2., 9 Uhr (HdBF), 18 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 22.30 Uhr (International); 16.2., 12.30 Uhr (Berlinale-Palast)

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