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Trümmerzeit. 1945 versammeln sich Menschen im vom Krieg zerstörten Anhalter Bahnhof, von Margaret Bourke-White dokumentiert.

© Time & Life/Getty Images

Fotoausstellung: Arbeit, Leid und Schönheit

Margaret Bourke-Whites Fotografien werden im Martin-Gropius-Bau präsentiert. Die Reportagefotografin gelten als Ikonen ihrer Zeit. Sie selbst stellte einige Rekorde auf.

„Sie war die erste Frau, die Stahlwerke fotografierte; die erste Frau unter den Fotografen-Teams für die Magazine ,Fortune' und ,Life'; die erste Ausländerin, die 1930 in der Sowjetunion fotografieren durfte; die erste Fotografin, die für die US-Luftwaffe arbeitete“, zählt Olivia María Rubio alle Rekorde – und Stereotypen – über Margaret Bourke-White auf: und „der einzige ausländische Fotograf - Mann oder Frau - in Moskau, als am 19. Juli 1941 die ersten deutschen Bomben auf die Stadt fielen“.

Rubio hat die Fotografien ausgewählt, die jetzt in der aus der Madrider „Fábrica“ übernommenen Ausstellung „Margaret Bourke-White. Moments in History“ im Martin-Gropius-Bau zu sehen sind. Was die Fotografin, 1904 geboren und 1971 verstorben, nun gewiss nicht wollte, war, auf die Rolle als „erste Frau, die das und das machte“ festgelegt zu werden. Bourke-White war Fotoreporterin, und sie ist das idealtypische Beispiel der emanzipierten Frau der zwanziger Jahre. Sie begann im Alter von 23 Jahren Industrie im damals boomenden Cleveland aufzunehmen, sie wird mit 25 von dem visionären Verleger Henry Luce für dessen Neugründung „Fortune“ angeworben, geht im Jahr darauf in die Sowjetunion und kann ihre Foto-Ausbeute im Magazin der „New York Times“ veröffentlichen.

Bald ist sie eine der gefragtesten Reporter(innen), bereist Deutschland in der Weltwirtschaftskrise, den Mittelwesten der USA in der Zeit der großen Dürre, die Tschechoslowakei kurz vor der Zerschlagung durch Hitler, dazu mehrfach die Sowjetunion. Dann ist Krieg, und sie erlebt ihn hautnah, als ihr Schiff auf dem Weg nach Nordafrika versenkt wird und sie eben eine Reportage aus dem Rettungsboot macht.

Sie darf bei einem amerikanischen Bombenangriff mitfliegen, und sie begleitet General Patton bei der Befreiung des KZ Buchenwald. Die dort gemachten Fotos gehören zum festen Bestand der kollektiven Erinnerung. Später interessiert sie sich für den indischen Freiheitskampf, bereist den Subkontinent mehrfach und publiziert, wie stets, zahlreiche Bücher. 1957 zwingt die Krankheit sie, ihre Tätigkeit aufzugeben. Sie schreibt ihre Autobiografie mit Ende 50; die beschert ihr einen letzten, großen Erfolg. In der Bundesrepublik wurde sie 1964 veröffentlicht, Titel „Licht und Schatten“.

Die Jahre zwischen, grob gesagt, 1920 und 1950 sind die große Zeit der Reportagefotografie. In Schwarz-Weiß, versteht sich. Danach übernimmt das Fernsehen die Staffel. „Reportage“ heißt indessen oftmals nicht allein Fotografie, sondern vielmehr die Verbindung mit dem geschriebenen Wort, die Wechselwirkung der beiden Medien. Jahrelang war Bourke-White mit dem Schriftsteller Erskine Caldwell zusammen, der die Texte zu ihren Fotobüchern verfasste. Dass es in den Nachrichtenmagazinen wie „Fortune“ und „Life“ – das Titelbild der allerersten Ausgabe vom November 1936 stammt von Bourke-White – Texte gab, die die Bilder erläutern und diejenigen Informationen liefern, die der gefrorene Augenblick der Fotografie nicht enthalten kann, versteht sich von selbst.

Insofern bleibt die Ausstellung im Gropius-Bau unbefriedigend. Sie zeigt rund 150 qualitativ hervorragende Originalabzüge der Aufnahmen, alle gerahmt und gereiht, und leider nur in wenigen Beispielen die Zeitschriften, für die sie „geschossen“ worden waren. Dass es Bourke-Whites Fotografien aushalten, aus dem erzählenden Zusammenhang der Reportage herausgelöst und als Ikonen präsentiert zu werden, unterstreicht ihren Rang. Aber es wird der Rolle der Fotografie in den Jahrzehnten nicht gerecht, in denen tätig sein zu können das Lebensglück der Fotografin ausmacht.

Margaret Bourke-White begann als Industriefotografin. Trendiger konnte sie in den zwanziger Jahren gar nicht sein; ungeachtet der Ende des Jahrzehnts hereinbrechenden Weltwirtschaftskrise, galten Industrie und Technik als Königsweg in eine bessere Zukunft. In diesem Glauben decken sich die USA des „New Deal“ und die Sowjetunion des ersten Fünfjahrplans. Darum ähneln sich die Aufnahmen, die Bourke-White in Cleveland, und jene, die sie beim Bau des Riesenstaudamms Dnjeprostroj machte. Zumal der Staudamm von einem amerikanischen Chefkonstrukteur entworfen wurde, so wie das Traktorenwerk in Stalingrad von Albert Kahn, dem bevorzugten Architekten von General Motors.

Ähneln, aber nicht gleichen: Denn natürlich sah Bourke-White die Unterschiede, sah die stummen, fragenden, manchmal still leidenden Blicke der Arbeiter und Arbeiterinnen in den sowjetischen Fabriken, vor allem aber die der Schulkinder im Jahr 1932. Es herrschte Mangel, auch an den Vorzeigestandorten wie Magnitogorsk, der in die Steppe hineingezwungenen Zeltstadt rings um eines der größten Stahlwerke der Welt. Mit amerikanischen Hochöfen. Margaret Bourke-Whites Bilder enthalten sich jeden Kommentars. Das erklärt, warum die Fotografin in Stalins Sowjetunion ebenso wohl gelitten war wie beim Verleger des Wirtschaftsblattes „Fortune“. Die Fotos besitzen jene matter-of-factness, die in Deutschland als „Neue Sachlichkeit“ bekannt ist oder als „neues Sehen“. Der Unterschied liegt nicht zwischen den Wirtschaftssystemen, die sich im Übrigen in den dreißiger Jahren so nahe kamen wie nie zuvor oder danach, mit der Bevorzugung staatlicher Infrastrukturprojekte und öffentlicher Wohlfahrt. Der Unterschied liegt im Standpunkt.

Das Gegenstück zu Bourke-Whites kritikfreien, unterschwellig optimistischen Bildern ist die „Arbeiterfotografie“, die sich in Europa, ausgehend von Deutschland, Ende der zwanziger Jahre verbreitete. Ihr war, ebenfalls in Madrid, vor zwei Jahren eine herausragende Ausstellung gewidmet. Diese weniger professionelle, vielleicht aber authentischere Fotografie nahm einen Standpunkt ein. Man muss ihn nicht teilen, aber immerhin, sie legte den Finger in die Wunden, die Bourke-White routiniert übersah. Mit dem Ergebnis, dass sie – gemeinsam mit Charles Sheeler, Alexander Rodtschenko und Alfred Renger-Patzsch – die besten, ja schönsten Aufnahmen von Industrie und Technik jener Zeit schuf, als Fließbänder und Schornsteine noch Signale des Fortschritts waren.

Martin-Gropius-Bau, bis 14. April. Begleitbuch 29 €. www.gropiusbau.de

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