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Die Smeller genannte Geruchsorgel von innen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Geruchskünstler Wolfgang Georgsdorf: Hauch mal, Hauchmaul!

Der Künstler Wolfgang Georgsdorf hat das Osmodrama erfunden, das Festival für Geruchskunst. Ein Besuch beim Missionar der Düfte, der sich einsetzt für die unterrepräsentierte Sinneswahrnehmung des Riechens.

Erst setzt ein Summen ein. Die geheimnisvoll schimmernde Krake hinter der Lochwand erwacht. Ein Gebläse läuft an, der Luftzug ist spürbar. Dann ertönt ein leises Plopp, wie beim Öffnen eines Ventils. Ein Geruch trifft in der Nase ein. Marzipan? Plopp, wieder einer. Könnte Kaugummi sein. Plopp. Heu? Das Licht ist abgedunkelt. Nichts lenkt vom Rätselraten ab. Das ist jetzt würzig, so was wie Stall. Ah, Kaffee. Es wird erdiger, womöglich Kartoffelkeller? Nein, Pilze. Obwohl, da ist noch was anderes, mehr wie Waldboden, da wachsen ja auch welche. Es wird fauliger, schärfer. Puh, Fisch. Und jetzt was Geröstetes. Toast? Feuer? Nein, technischer. Da kokeln doch Kabel! Aber nicht die des Smellers, der Geruchsorgel hinter der Wand.

Längst ist aus dem eigenen Atmen ein hektisches Luftschnappen geworden. Ohne Ausatmen kein Einatmen und für beides bleibt kaum Zeit, solange das Gehirn hilflos nach Wörtern für die Identität des gerade Gerochenen kramt. „Autocomplete“, die Synosmie genannte Geruchssinfonie, die der Smeller zur Festivaleröffnung verströmt, ist buchstäblich ein Osmodrama. Eines, dass mindestens so wortreich wie geruchsintensiv verläuft, denn der federführende Künstler Wolfgang Georgsdorf ist viel mehr als der Pionier einer bis dato zu wenig beachteten Kunst. So biologisch, kulturgeschichtlich, philosophisch durchdacht, wie er über die im Menschenleben sträflich unterrepräsentierte Sinneswahrnehmung doziert, klingt er wie ein glühender Missionar des Riechens.

"Der Smeller ist ein Weltmalkasten"

Jeder seiner jeweils acht Minuten langen Akte in „Autocomplete“ bringt die 350 Geruchsrezeptoren, die in der Nase wohnen, mächtig in Wallung. Hier rächt sich, dass Riechen nun mal nichts ist, womit man sich im vom Sehen, Hören, Fühlen dominierten Alltag bewusst aufhält. Und auch das „Zuriechen“ bei einer „Synosmie“ funktioniert – wie das Zuhören bei einer Sinfonie – nur, wenn man sich dem Zusammenspiel der Duftnoten und Geruchsakkorde überlässt, statt sie unentwegt analytisch zu zerlegen.

Wolfgang Georgsdorf nickt. „Das ist kein Quiz“, sagt er auch den beiden Besuchern, die ein paar Tage nach der Eröffnung des „Osmodramas“ in die Kirche St. Johannes-Evangelist in Mitte schneien. „Der Smeller ist ein Weltmalkasten. Er malt die Bilder hinter unseren Augen. Er ist eine Zeitmaschine, die uns in einer Sekunde in Großmutters Wäscheschrank oder die letzten Ferien an der See beamt.“

Wolfgang Georgsdorf vor dem Duftkanal.
Wolfgang Georgsdorf vor dem Duftkanal.

© Doris Spiekermann-Klaas

Er selbst kommt gerade aus dem Waldlabor. „Neue Gerüche holen.“ Die lagert er im Spreewald im Keller eines 200 Jahre alten Forsthauses. Die Stadtwohnung, die er mit seiner Frau, der Schauspielerin Eva Mattes, teilt, will er damit lieber nicht kontaminieren. Der 1959 in Linz geborene Bildhauer, Maler, Musiker und Medienkünstler beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Traum vom Erzählen mit Gerüchen. Und wer sich die Künstlerbiografie dieses Tausendsassas anschaut, der sich neben der Gebärdensprache in sieben Zungen verständigen kann und das Festival mit einer 40-köpfigen Truppe begeisterter junger Helfer betreibt, ahnt, dass die Nase kaum einen besseren Botschafter finden kann.

Den ersten Smeller hat er 1996 gebaut. Inzwischen ist das mit der Hilfe zahlreicher wissenschaftlich-technischer Gewerke weiterentwickelte Gerät patentiert. Geruchsorgler Georgsdorf steuert es mit einem Sequenzer-Programm, wie es DJs benutzen, und spielt mit einer Klaviatur auch live darauf. Seine aus Smellodien, also Geruchssequenzen, bestehenden Synosmien sind nicht nur als singuläre Aufführung zu erleben, sondern auch in Kombination mit Filmen von Edgar Reitz (4./11.9.) oder des Documenta-Künstlers Omar Fast (15.9.). Ebenso im Zusammenspiel mit einem Konzert des Berlin Improvisers Orchestra (8.9.), in dem Georgsdorf sonst geigt, und im Verein mit Literatur (14./16.9.).

Der 1,6 Tonnen schwere Smeller verfügt über 64 „Quellkammern“ genannte Geruchskanäle, die samt einem Frischluftkanal als Rohrenden aus der Wand treten. Dieses „Hauchmaul“ ist das, was der in einem weißen Stoffzelt sitzende Zuriecher sieht. Das Zelt ist nötig, um die „Raumkontrolle“ in der Kirche zu gewährleisten. Der Sakralraum spiele trotzdem eine entscheidende Rolle, weiß Georgsdorf. „80 Prozent der Raumwahrnehmung läuft über Gehör.“

Auf das punktgenaue Absaugen kommt es an

Das A und O bei der „zeitbasierten Geruchskunst“ ist nicht das Reinpusten der Düfte in bestimmten Intervallen, sondern sie exakt berechnet bei jeder einzelnen Publikumsreihe ankommen zu lassen und vor allem – punktgenau – wieder abzusaugen. Eine Präzision, die Künstler wie Mike Bouchet, der neulich bei der Manifesta in Zürich ein erbärmlich stinkendes Werk aus 80 Tonnen Kot zeigte, nicht an den Tag legen. Nur gut, dass Georgsdorf, der sich stets für die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kunst begeisterte und während des Osmodramas auch Mediziner und Chemiker zu Wort kommen lässt, der Neffe eines Strömungstechnikers ist.

Dass Geruchskunst schwer zu finanzieren ist, wundert angesichts der Flüchtigkeit der Materie nicht. Eine Berliner Galerie etwa habe ihm beschieden: Wie sollen wir damit Geld verdienen? Schwierig. Zumal allein die in Zusammenarbeit mit dem Berliner Parfümeur Geza Schön entstandene Entwicklung der Geruchspalette einiges an Geld verschlingt. Schließlich hat sich außer einem Duft- und Aromenhersteller auch die Schering-Stiftung des auch vom Radialsystem V und dem Internationalen Literaturfestival unterstützen Visionärs erbarmt und das Osmodrama gefördert.

Bei so viel Hingabe ist nicht schwer zu erraten, dass die Frage, wozu es in der von Bildern und Tönen überfluteten Kultur nun auch noch Geruch braucht, keine ist, die sich Wolfgang Georgsdorf stellt. Ganz alte Kiste, winkt er ab. Da könne man genauso gut fragen, wozu die Kunst. „Das Geruchsgedächtnis unseres Gehirns ist älter als das Bildergedächtnis.“ Warum also einen Sinn des Menschen unbespielt lassen, der ihn erst zum Menschen macht. „Ich sage dem Geruch eine Konjunktur voraus.“ Immerhin: Das poetische Vokabular dafür ist nun entworfen.

St. Johannes-Evangelist, Auguststr. 90, Mitte, bis 18.9., Do/Fr 12–20 Uhr, Sa/So 14–22 Uhr, Infos: www.osmodrama.com

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