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Ein Meister der "Krise des Erzählens". Der Schriftsteller Hermann Peter Piwitt, 82.

© Paul Kulms/ Wallstein Verlag

Herman Peter Piwitts Buch "Drei Freunde": Je kürzer, desto besser

"Wollten wir nicht ein Buch schreiben?" Mit Helden, Action und all dem Gedöns? Nein, lieber surreal und kauzig: Hermann Peter Piwitts Erzählungsband „Drei Freunde“.

Gibt es eigentlich noch Autoren, die die „Krise des Erzählens“ kennen, jene legendäre Schreibkrankheit, die einst Schriftsteller von Hofmannsthal bis Ingeborg Bachmann heimsuchte? Man kann es sich kaum vorstellen, so zuverlässig fluten unsere Gegenwartsschreiber die Buchhandlungen mit immer neuen, wie von leichter Hand geschriebenen Romanen, die vor Welthaltigkeit (Grjasnowa!), Aktualität (Lüscher!) und Erzählfreude (Knecht!) nur so strotzen.

Weshalb es aufregend ist, wenn man plötzlich doch wieder einem Erzähler begegnet, der dazu steht, dass seine Tätigkeit alles andere als selbstverständlich ist. Der sich schon auf Seite zwölf selbst ins Wort fallen muss. „Schluss damit!“, bricht es aus dieser Erzählstimme dann heraus. „Wollten wir nicht ein Buch schreiben? Ein Buch mit einem Helden? Action? Und all dem Gedöns? Und einer Heldin?“

Wollte er das wirklich? Wohl eher nicht. Immerhin handelt es sich um ein Buch des zeitlebens als „Geheimtipp“ gehandelten Hermann Peter Piwitt, dessen Erzähler sich in Piwitts neuem Prosaband „Drei Freunde“ an anderer Stelle eingestehen muss: „Was wollte ich erzählen? So, als hätte ich das je können: erzählen. Die fetten, dicken, die schwitzenden Romane zu mästen, die sprachlosen. Mich ekelt vor ihnen. Je kürzer, desto besser.“ Wobei, so ganz stimmt das nicht, schließlich hat der heute 82-Jährige im Lauf seiner Schriftstellerkarriere, die in den sechziger Jahren begann und dann weitgehend im Abseits des Betriebs verlief, neben Essays und Erzählungen durchaus auch Romane vorgelegt, so 1979 „Die Gärten im März“ oder 1986 den d’Annunzio-Roman „Der Granatapfel“. Doch Hermann Peter Piwitts stärkste Texte waren in der Tat die kürzeren, wie zuletzt die Geschichten und Erzählfragmente in dem autobiografischen Rückblick „Lebenszeichen mit 14 Nothelfern“.

"Äh, wie weiter?" Piwitts kauzige Erzähler, sind, wie der Autor, vom Alter gezeichnet

Oder eben nun einige der insgesamt sieben Prosastücke in dem doch großzügig gesetzten 140-Seiten-Bändchen „Drei Freunde“, darunter vier Erstveröffentlichungen. Sie sind in Piwitts typischem, immer leicht surreal anmutendem Stil geschrieben, durchsetzt von Abschweifungen, Assoziationen und Aphorismen, die von der Hoffnungslosigkeit des Lebensendes künden („Der Tod wird ein Leichtes sein gemessen an dem, was das Leben für uns bereithielt“). Piwitts kauzige Erzähler sind, wie der Autor, vom Alter gezeichnet und müssen ständig darum kämpfen, den Faden nicht zu verlieren („Äh, wie weiter? Bitte?“), dem Erinnerungsverlust nicht zu unterliegen, zumal ihnen ohnehin nur noch „ein Drittel der Wörter“ einfällt.

Wie in der Erzählung „Reise ins Böhmische“. In dieser bewegt sich der Ich-Erzähler mit seinem „kahlen und von vernarbten Operationswunden bedeckten Kopf“ durch eine endgültig rätselhaft gewordene, restlos durchökonomisierte Gegenwart. Ohne zu wissen, wie er dorthin gekommen ist, beobachtet er auf Marktplätzen wie ein Ethnograf „kleine, fast zwergenhafte Wesen“, die ihren Rollator vorwärtsschieben und sich dabei „an älteren Schönheitsidealen“ zu orientieren scheinen, „nämlich wie man möglichst schnell krumm zu gehen lernt“. Die Jungen dagegen glotzen nur „unablässig auf kleine, handtellergroße, verglaste Scheiben in der Hand“ und quittieren „die Meldungen daraus mit einem kurzen dünnen Lächeln“.

Immerhin, es gibt auch eine Heldin. Aber ihren Namen hat der Erzähler vergessen

Wie nebenbei kehren in diesen Texten viele – autobiografische – Motive aus früheren Werken wieder: etwa Erinnerungen an Hermann Peter Piwitts Villa-Massimo-Stipendium 1971/72 („Künstlernovelle“) oder an die Studienjahre im Frankfurt der sechziger Jahre („Drei Freunde“), mit Kommilitonen wie Wolfgang Maier, Mitarbeiter im Literarischen Kolloquium in Berlin und einer von Piwitts „14 Nothelfern“, der nach einer durchtrunkenen Nacht an einem Bissen Wurst erstickte. Oder an die Kindheit in der NS-Zeit mit einem Vater, bei dem Fürsorglichkeit und Antisemitismus Hand in Hand gingen und der nach dem Vorlesen einer harmlosen Tierparabel seinen jüngsten Sohn fragt: „Ob ich gemerkt hätte, dass der Fuchs, nun, sagen wir mal, typisch jüdisch sei.“ („Die Reise ins Böhmische“).

Texte ohne „Action“ oder „Gedöns“ also, aber zumindest mit einer „Heldin“, nämlich einer gleich in mehreren Texten wie aus dem Nichts auftauchenden, faszinierenden Frau mit einem Akkordeon. Ihren Namen hat der Erzähler freilich längst vergessen.

Hermann Peter Piwitt: Drei Freunde. Erzählungen. Wallstein Verlag, Göttingen, 2017. 141 Seiten, 18 €

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