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Filmkomödie über Gustav Mahler: Hurra, die Sechste ist fertig!

Percy und Felix Adlons Filmkomödie „Mahler auf der Couch“ will keine seriöse Biographie des Komponisten sein, sondern zeigt, wie es zugegangen sein könnte im Wien der Secession. Und das ist höchst vergnüglich.

Was gibt’s da zu glotzen? Das Dienstpersonal im Urlaubsdomizil des Herrn Doktor Sigmund Freud im holländischen Städtchen Leiden wird weggescheucht, als es sich für den Besucher des Psychoanalytikers über Gebühr zu interessieren anschickt.

Ja, was gibt’s da zu glotzen? Es war schließlich keiner dabei, als Gustav Mahler am 26. August 1910, ein Jahr vor seinem frühen Tod, von Altschluderbach nach Holland reiste, um den nicht minder berühmten Nervenarzt zu konsultieren, wegen der Krise mit seiner 19 Jahre jüngeren, heißgeliebten Ehefrau Alma. Zum Glück ist das Vater-Sohn-Regieduo Percy und Felix Adlon so dreist, auch noch eine gemeinsame Nacht der beiden hinzuzuerfinden und es sich auszumalen. Wie es gewesen sein könnte, als Freud (54) für Mahler (50) eine Klappliege als Couch-Ersatz bringen lässt. Und wie es zugegangen sein mag im Wien der Secession, mit diesem Wahnsinnsweib an der Seite des Hofoperndirektors, mit all ihren Verehrern, von Gustav Klimt über Alexander von Zemlinsky bis zum Architekten Walter Gropius, mit falsch adressierten Liebesbriefen, Eifersuchtswahn, Künstlerhybris und Frauenleiden.

Taugt diese Kombination aus Kunst und Klatsch? Sie taugt in Mahlers Musik, dieser mal derben, mal überspannten Melange aus Verzückung und Volkston, Pathos und Gosse. Und sie taugt im Film des 75-jährigen, in Los Angeles lebenden Percy Adlon, dem Schöpfer der Kultkomödie „Out of Rosenheim“ (1987), der erstmals gemeinsam mit seinem drehbucherfahrenen Sohn Felix Regie führt. Die irrlichternde Kamera von Benedikt Neuenfels lässt keinen Zweifel daran, dass „Mahler auf der Couch“ als Phantasmagorie verstanden sein will, eher als Courts-Mahler-Schmonzette denn als seriöse Mahler-Biografie. Eine Nummernrevue, mit Überbelichtungen, ausfransenden Bildern, deplatzierten Blicken, üppig arrangierten Seeleninterieurs.

Alma ist bekanntlich beides: die Frau mit den vielen Affären, aber auch die hochbegabte Künstlertochter, die sich schon mit 22 Mahlers Komponierverbot fügt, bis sie die Unterwerfung nach dem Tod ihrer Tochter nicht mehr erträgt. Obwohl der Film, der zum 150. Geburtstag des Komponisten am heutigen Mittwoch in die Kinos kommt, dem Dilemma einer Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts also respektvoll Rechnung trägt, ist er alles andere als historisch korrekte Rekonstruktion. Sondern Kolportage, Boulevard, Kitsch, Theatralik. Die Geburt der Wahrheit aus dem Geist des Gerüchts: Heute steht so etwas in der Yellow Press – und verrät ebenso viel über die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts.

Gustav, der aus dem Komponierhäusl stürzt, „Die Sechste ist geschafft“ jubelt und seine Alma auf der Almwiesen herzt. Alma und Zemlinsky, die es unter dem Flügel treiben. Gropius, der im Speisesaal des altehrwürdigen Tobelbads von Glas, Stahl und Beton schwärmt, bis Mahler ihn mit der Bemerkung brüskiert, zum Erholen habe der Architekt offenbar „nix gegen Muffiges“. Die schroffe Alpen-Kulisse beim Gipfelsturm des im Ehestreit wutstapfenden Paars. Die Welt als Pose und Projektion, tragisch, komisch, saukomisch sogar.

Besonders lustig wird es, wenn die beiden Herren sich palavernd in den menschenleeren Gassen von Leiden verlieren, der Welt auf immer abhanden gekommen. Und wenn in dieser Komödie der Irrungen ausgerechnet Freud dem Komponisten des Nachts schöne Träume wünscht.

Die Schauspieler machen vorzügliche Mienen zum unverschämten Spiel, Johannes Silberschneider als egomanischer Mahler, Karl Markovics als selbstherrlicher Freud und die Vollblut-Schauspielerin Barbara Romaner als unwiderstehliche Alma. Hinzu kommen die „Zeitzeuginnen“, die die Gustav-und-Alma-Show direkt in die Kamera hinein kommentieren. Lena Stolze als Mahlers Schwester Justine würzt das Ehedrama mit schnippischen Gouvernanten-Bemerkungen ; Eva Mattes macht als Almas Mutter keinen Hehl aus dem Sexismus ihrer Zeit, geriert sich aber noch lieber als Komplizin des skandalhungrigen Publikums.

Vielleicht ist’s durchaus ernst gemeint und nur unfreiwillig vergnüglich. Aber allein in den Dialogen der Adlons blitzt permanent die Lust an der Lakonie und der Perfidie auf. Wenn der liebeskranke Mahler im Toblacher Sommerhaus nackt zusammenbricht und Alma-Pietà sein Haupt auf ihren Schoß bettet, vereint der Film für einen Moment sogar das Unvereinbare: das Abgründige mit dem Abgeschmackten, die Tragödie mit der Farce. Auch das passt zu Mahlers Musik.

Zum Glück bleibt sie Rudiment in diesem Film, Anspielung, Motor. Ein satter Soundtrack hätte ja nahe gelegen, ist die Spätromantik doch ungemein filmmusikalisch. Die Adlons sind klüger. Schon zum Vorspann zitiert das Schwedische Radio-Sinfonie-Orchester unter Esa-Pekka Salonen das ebenfalls 1910 entstandene Adagio von Mahlers unvollendeter 10. Sinfonie. „Der Teufel fasst mich an“, die fiebrigen Takte werden zum Leitmotiv. Außerdem flackern Sehnsuchtstakte aus dem dritten Satz der Vierten und aus dem Adagietto der Fünften auf – weniger als Fragmente einer Sprache der Liebe denn als Bizarrerien des Eros.

Den Schlusspunkt setzt sowieso der Wiener Schmäh. Freud und Mahler bieten im Zug Richtung Heimat einander das Du an: Ich der Gustl, du der Siggi. So war es bestimmt nicht – und ist doch so wahr. „Mahler auf der Couch“ ist auch eine vorzügliche Therapie gegen die Authentizitätsgläubigkeit des überkorrekten deutschen Historienfilms, vom „Untergang“ bis zu den Doku-Fictions im Fernsehen.

Ab heute im Capitol, Cinemaxx Potsdamer Platz, Kulturbrauerei, Neues Kant

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