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© Constantin Film

Teddy-Award: Berlinale ehrt Rio Reiser

Für die Hauptrolle in „Johnny West“ bekam er 1977 den Deutschen Filmpreis in Gold. Die heutige Gala zum schwul-lesbischen Teddy-Award ist eine Hommage an Rio Reiser – den Schauspieler.

Es ist sein erster großer Auftritt. „Ladies and Gentlemen: Johnny West!“, ruft der Ansager. Eigentlich heißt der schmale Junge mit der Gitarre Hans-Michael Westerfeld. Fast einen ganzen Film lang hat er hinter den Konzertkulissen der Afro- Funkband „The Manhattans“ als Roadie geschuftet, sich mit dem Manager angelegt und vom Bandleader Jimmy Zaubertricks auf der Elektrischen gelernt. Er lernt Ausreißerin Monika kennen, Tochter aus gutem Hause und auf Freiheitssuche wie Johnny. Sie versuchen es miteinander, sie wartet in billigen Hotels, er ist auf Tour, das Münztelefon ihre einzige Verbindung – und irgendwann zieht Johnny los, zusammen mit seinem Kumpel, der ihm in Frankfurt eine Band besorgt. Und spielt schließlich ein furios hingerotztes „You can’t hurry love“ auf der Bühne des amerikanischen Offizierskasinos. Das Ende. Ein guter Anfang.

Für die Hauptrolle in „Johnny West“ bekam Rio Reiser – der gemeinhin vor allem als Sänger der Agitrockband Ton Steine Scherben bekannt ist – 1977 den Deutschen Filmpreis in Gold. Es war sein erster Spielfilm. Roald Koller, der Regisseur, hatte eigentlich Herbert Grönemeyer als Johnny besetzen wollen. Weil Koller aber Angst hatte, seine damalige Geliebte, die Monika-Darstellerin Kristina von Eyck, könnte Grönemeyers Charme verfallen, bekam der zarte, schwule Reiser die Rolle. So weit die Legende.

Rio Reiser ist 1996 gestorben, in diesem Jahr wäre sein 60. Geburtstag gewesen. Im Rahmen des schwul-lesbischen Teddy-Awards der 60. Berlinale wird Reiser nun auch als Schauspieler geehrt. Die heutige Preisverleihungs-Gala werde ganz im Zeichen Rios stehen, sagt Ex-Ton-Steine-Scherben-Manager und Teddy-Produzent Elser Maxwell. „Es war mir ein tiefes Bedürfnis, etwas für ihn zu machen.“ Am Abend sollen Ton Steine Scherben – erstmals seit dem Tod des Sängers – wieder in Originalbesetzung auf der Bühne stehen, sogar Gitarrist R. P. S. Lanrue ist dabei. Zur Eröffnung werde der Song „Mein Name ist Mensch“ gespielt, der auch das Gala-Motto liefert. Es werde ein großes Spektakel mit Artisten und Sambatruppe, kündigt Maxwell an. Am Mikrofon werde „Ich&Ich“-Frontmann Adel Tawil stehen.

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Besiegter Revolutionär. Rio Reiser und Miroslav Nemec im Tatort "Im Herzen Eiszeit" von 1995. -

© ARD

Rios Filme werden nicht gezeigt. Fans und Neugierige müssen hier aufs Zeughauskino ausweichen, das in ihrer Reihe „Punk, Pop, Rock“ am kommenden Freitag „Total Vereist“ zeigt. Diese in ihrer Absurdität an frühe Schlingensief-Filme erinnernde Groteske – natürlich mit Musik von Ton Steine Scherben – war 1980 Rios dritter Film, und der zweite, den er mit Regisseur Hans Noever drehte. Der erste war „Nacht mit Chandler“ im Jahr zuvor, ein charmantes, größtenteils improvisiertes Road-Movie von München über Aachen durch Belgien an die französische Atlantikküste, in dem Rio und sein Kumpel als zwei Kleinganoven ein junges, mit einem Geldkoffer ausgerüstetes Mädchen auf die Suche nach dem Mörder ihres Bruders locken. Irgendwann trifft sie auf einen Uhrenvertreter namens Raymond Chandler (französisch aussprechen!), der zwar kein Killer ist, dafür aber der perfekte Partner für eine schnelle Romanze. Das ist es eigentlich schon. Am Ende sitzt Rio am Piano, wie in eigentlich jedem seiner Filme irgendwann, und spielt und singt und sein Kumpel sitzt da und hört zu.

„Rio war ein Wunder an Genauigkeit, Intelligenz und musikalischer Präsenz“, erinnert sich Regisseur Noever, der heute 81-jährig in München lebt. Er sei immer sehr professionell, sehr konzentriert gewesen, ein Perfektionist, der seine Rollen stets penibel vorbereitet hat. Daran erinnert sich auch Elser Maxwell, der mit Reiser in „Total Vereist“ gespielt hat: „Rio war in den Filmen gut, die nah an ihn rankamen.“ Eigentlich sei Reiser kein Schauspieler, sagt Noever, sondern ein Erzähler. „Er war eine starke Persönlichkeit, die die Geschichte einer Figur aus sich selbst heraus erzählte.“ Dünn, blass, lässig, mit großem Mund nuschelnd – der Film-Rio ist nicht ohne Grund immer der Einsame, der Reisende, der Musiker, der Rebell.

Auch in dem Münchener „Tatort“, den Noever 1995 mit Reiser drehte, spielt Reiser den Außenseiter. Ein ehemaliger Hausbesetzer mit verblichenem Anarcho-„A“ auf der Lederjacke, der zehn Jahre lang im Knast war, weil er einem Freund keinen Mord anhängen wollte. Der Freund ist inzwischen so bürgerlich etabliert wie der Rest der alten Clique, die Revolution ist vorbei, in der alten Stammkneipe läuft „Der Traum ist aus“, ein Scherben-Song. Reiser schleppt sich mit glasigem Blick durch den Film, apathisch, ein Gespenst, ein Schmerzensmann. Auch hier war er ganz nah dran an sich selbst. „Rio war körperlich schon sehr schwach“, sagt Noever. Anderthalb Jahre später lebte er nicht mehr.

Teddy-Award, Station, Luckenwalder Str. 4-6, Kreuzberg. Einlass 19 Uhr, Preisverleihung 21 Uhr, Party 23 Uhr. Karten 28-42 Euro, Partytickets 15 Euro. Am Freitag, 26.2., um 19 Uhr zeigt das Zeughauskino „Total vereist“ (Unter den Linden 2, Mitte), bis 8. März zeigt das Schwule Museum, Mehringdamm 61, die Ausstellung „Rio Reiser: Allein unter Heteros“

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