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The Happiest Girl in the World: Das Leben ist kein Werbespot

Wunderbar wortkarg: Radu Judes Roadmovie "The Happiest Girl in the World" ist das Gegenteil eines Werbefilms.

Was heißt es, ein Rumäne zu sein? Wahrscheinlich bedeutet es, überall im Exil zu sein, schon in der eigenen Heimat. Mit einer romanischen Sprache mitten unter Slawen im Norden, Osten und Süden? Große Rumänen wie Emile Cioran waren schon von ihrem Herkommen irritiert, von diesem merkwürdigen „Dazwischen“. Vielleicht, dachte man lange, gibt es deshalb kein rumänisches Kino. Doch seit etwa zehn Jahren stimmt das nicht mehr. 2007 gewann Cristian Mungius „Vier Monate, drei Wochen, zwei Tage“ dann auch noch die Palme in Cannes und den Europäischen Filmpreis, das rumänische Kino wird immer stärker. Und nun gibt es „The Happiest Girl in the World“, den ersten Spielfilm von Radu Jude.

Oder sind die Handschriften der Regisseure inzwischen so herkunftsneutral, so international wie das Leben selbst? Bis eben hat Jude Werbespots gemacht. Ein Organgensaftspot ist überall gleich. Ein Film wie dieser entsteht, wenn ein Werbefilmer unter Beibehaltung des Themas beschließt, das Gegenteil eines Werbefilms zu machen. Also ein gänzlich unspektakuläres Stück Kino, möglichst ohne Pointe. Aber wie spektakulär unspektakulär, wie pointiert unpointiert!

Der Alltag und die Sehnsucht, ihm zu entkommen: Die 18-jährige Delia hat den Hauptpreis bei einem Saft-Gewinnspiel gewonnen, ein Auto. Sie fährt mit den Eltern nach Bukarest, um den Wagen abzuholen, nicht ohne – das ist die Bedingung – vorher einen kleinen Gewinner-Spot für die preisstiftende Firma zu drehen. Der Regisseur scheint die ereignislose Fahrt in dem uralten Dacia von Delias Eltern sehr zu genießen. Gesprochen wird, was überall so oder ähnlich gesprochen wird während eines Familienausflugs. Aber Radu gelingt es vom ersten Augenblick an, den Zuschauer mit auf die Dacia-Rückbank zu setzen, auf der Delia für eine Gewinnerin seltsam traumlos daliegt, mit einer unübersehbaren Reserviertheit gegenüber ihren Eltern sowie dem Schicksal, das sie das große Los ziehen ließ.

Delia ist eine, die immer übersehen wird. Keiner ihrer Mitschüler glaubt ihr den Hauptgewinn. Dass das Leben sie einmal nicht übersehen hat, muss wohl ein Irrtum sein. Kein Wunder, dass Mutter und Vater schon andere Pläne haben mit dem neuen Wagen der Tochter. Delia hat ohnehin keine Fahrerlaubnis.

Andreea Bosneag spielt dieses Mädchen mit einem wunderbar beredten Insichgekehrtsein zwischen Trotz, Resignation und Revolte. Doch an diesem Tag wird sie sich wehren wie noch nie – und Radu gelingt es, auch diesen Aufstand eines jungen Mädchens so ins Alltägliche aufzulösen, das man ihn beinahe übersehen könnte. Seine Regie verrät nie zu viel auf einmal, woran auch diese Filmkritik sich halten möchte. Nur soviel: Den Hauptteil von „The Happiest Girl in the World“ bildet das, was man die Dekonstruktion eines Werbefilmdrehs nennen könnte. Das ist zwar nicht unbedingt neu, ebenso wenig wie die Einsicht, dass Hauptgewinne nicht in jedem Fall glücklich machen.

Aber ist das Neue nicht eine fixe Idee unseres Zeitalters? Es kommt darauf an, das längst Gewusste so zu zeigen, als begegne es einem zum ersten Mal. Großartig, wie Radu darauf verzichtet, die komischen Augenblicke des Werbefilmdrehs auszuspielen, großartig sein Nicht-Ende anstelle eines lauten Schlusses, das den Ausgang der Geschichte von der Leinwand in unser Bewusstsein verlagert.

OmU, im fsk

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