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Larry Clark: Kaputt in Kalifornien

Chronist einer verwahrlosten Jugend: C/O Berlin zeigt die großartigen Fotografien von Larry Clark, der seit den Sechzigern Junkies, Skater und Stricher porträtiert. Einst gehörte er selbst zur Drogenszene, jetzt stellt er seine Jugend mit Teenagern nach.

Wen das in der halben Stadt plakatierte große Foto eines weiblichen Schamdreiecks in die Larry-Clark-Retrospektive ins Berliner Postfuhramt lockt, der wird wahrscheinlich enttäuscht sein. Weibliche Geschlechtsorgane sind in der Ausstellung nicht so viele zu sehen. Sie scheinen Larry Clark fotografisch nicht so zu reizen wie die adoleszenten Jungs und ihre ganz- und halberigierten Genitalien. Um nicht drum herumzureden, müsste man Schwänze sagen. Ja, Larry Clark geht es ziemlich oft um Jungs und ihre Schwänze. Manche halten das für Pornografie – in Paris war eine Retrospektive zuletzt nur für Volljährige geöffnet –, andere sagen, Clark sei der bedeutendste lebende amerikanische Fotograf.

Er war jedenfalls mal ein erbarmungsloser Bildchronist seiner eigenen Lebenswelt, seiner eigenen verkommenen, drogensatten, „abgefuckten“ Jugend (so er selbst) während der frühen sechziger Jahre in Oklahoma, die er in dem berühmten, nach seiner Heimatstadt Tulsa betitelten Fotobuch zeigt. Fotos aus Tulsa sind nun auch in der Galerie C/O Berlin im Postfuhramt zu sehen: nackte Teenager in Schwarz-Weiß, im Schlamm, beim Baden und im Bett. Oft halten sie Attribute des Todes – Knarren und Spritzen – in der Hand, Todessymbole, die sich neben jungen Teenagerkörpern immer besonders gut machen. Die Bilder, die vor langer Zeit – das Buch erschien 1971 – sehr provozierten, schauen einen heute seltsam nostalgisch an. Verglichen mit all dem, was heute auf jedem Computer nur drei Klicks entfernt liegt, sind sie beinah harmlos. Trotzdem berührt und imponiert der hier fotografierte Wille zur Selbstzerstörung noch immer sehr.

Fotogalerie: Bilder von Larry Clark

Interessant sind und bleiben die Fotos natürlich auch, weil auf ihnen die andere Seite Amerikas zu sehen ist, die nicht so schöne in eben diesem Kaff Tulsa, weit weg von beiden Küsten. 1966 geht Larry Clark nach New York, zwei Monate später wird er eingezogen und findet sich bald in Vietnam wieder. Retrospektiv ist es kein Wunder, dass er die Fotos, die dann eine solche Schockwelle auslösen, erst nach seiner Rückkehr aus Vietnam veröffentlicht. Zurück aus dem Krieg sieht er plötzlich die Heimatfront in Oklahoma, den Krieg der eigenen Jugend gegen sich selbst, einen Krieg, der mit Drogen und Sex ausgefochten wird. Und liefert er damit nicht ein starkes Gegenbild zu der heilen Glamour-Welt, deren Wiederbelebung wir heute in Fernsehserien wie „Mad Men“ so sehr lieben?

Re-Inszenierungen einer "abgefuckten" Jugend

Larry Clarks Lebenswerk, das zeigt die Ausstellung sehr deutlich, besteht im Weiteren aus Wiederholungen und Re-Inszenierungen seiner „abgefuckten“ Jugend, sie ist und bleibt seine künstlerische Goldmine. Er fotografiert Strichjungen um den Times Square („Teenage Lust“, 1983) und dreht 1995 seinen großartigen, leidenschaftlich umstrittenen und sehr erfolgreichen Film „Kids“, dem wir die Entdeckung der Schauspielerinnen Rosario Dawson und der wunderbaren Chloe Sevigny verdanken. Clark fand sie in New York auf der Straße.

2003 begegnet Larry Clark in Los Angeles einer Gruppe von Latino-Skatern, hängt mit ihnen ab und fotografiert sie. Die nun großformatigen Farbfotografien zeigen junge Knaben mit Clark-Gable-Flaum, die Ramones- und The-Cure-T-Shirts tragen und auf manchen Bildern ihre Hosen herunterlassen. Jonathan Velazquez heißt die Muse, die Clark zusammen mit seinen Freunden an kalifornischen NichtOrten, irgendwo in Los Angeles ablichtet, in Unterwäsche und halbnackt. Und wieder, 40 Jahre nach seiner Zeit in Tulsa, stellt Clark die eigene Jugend mit neuen Protagonisten nach. Sonderbare Pointe, dass die Skaterjungs neue T-Shirts historischer Bands tragen, es sieht fast so aus, als hätten sie sich kostümiert, um ihre Jugend zu spielen.

„The youth is wasted on the young“ wusste George Bernard Shaw, es sieht aus, als fotografiere Clark immer um diese Einsicht herum. Aufhören kann er nicht, was uns freuen sollte, denn die Fotos, die dabei entstehen sind gut, steckt in ihnen doch immer die Sehnsucht nach seiner verlorenen Jugend. Immerhin hat er nun, 69 Jahre alt, das Skaten aufgegeben.

Die Drogen sind das andere große Thema des Larry Clark, Spritzen und Heroin sind auf Bildern aus allen Jahrzehnten zu sehen. Seinem 2008 nur 25-jährig an einer Überdosis verstorbenen Schauspieler Brad Renfro bastelt er ein blutbespritztes Epitaph aus Geburtstagsfotos, das man guten Gewissens für geschmacklos halten darf. Überhaupt, seine „Collagen“ genannten Werke wirken ein wenig willkürlich zusammengekleistert.

Die Autobiografischste von ihnen enthält jedoch einen aufschlussreichen Auszug aus einer Krankenakte des St.Luke’s Roosevelt Hospital. Ein Patient namens Larry Clark durfte auf einem Zettel eintragen, welche Drogen er konsumiert hat, wann, wie lange und wie viel. Handschriftlich ausgefüllt lesen wir da fast 30 Positionen: LSD, Amphetamin, Kokain, Mescalin, Heroin („300 mal, aber immer eher wenig“), Demerol, THC, Morphium, Valium und so weiter. Es riecht ein wenig nach Drogenangeberei, aber wie heißt es schon in „Tulsa“? „Once the needle goes in it never comes out.“ Sie steckt auch in sehr vielen Fotos von Larry Clark.

Noch etwas fällt auf: So viel Schamhaar war lange nicht zu sehen. Auf diesen Umstand stimmt das buschige Ausstellungsplakat an den Straßenbahnhaltestellen schon mal ein. Schamhaare, man erinnere sich, wurden vor noch gar nicht langer Zeit nicht rasiert. Einmal ist auf einem Bild bloß ein Hund zu sehen. Nur ein Tier und kein Teenager, keine Spritze, kein Blow Job, nicht einmal ein Schwanz. Es fehlt etwas auf dem Foto, könnte man denken, dann aber sieht sogar der Hund nackt aus. Er trägt ja keine Kleider.

C/O Berlin, Oranienburger Straße 35/36, bis 12. August, tgl. 11 bis 20 Uhr

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