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Der Künstler Markus Lüpertz sitzt in der Ausstellung "Nichts Neues - Die Abstraktion hat noch nicht begonnen" vor Alabaster-Tafeln .

© dpa

Markus Lüpertz im Bodemuseum: Gunst der Götter

Der Maler und Bildhauer Markus Lüpertz misst sich im Bode-Museum mit der Kunstgeschichte.

Ist das jetzt Trotz oder Erkenntnis? „Die Abstraktion hat noch nicht begonnen“, behauptet Markus Lüpertz mit Blick auf seine jüngste Ausstellung im Bode-Museum. Für den bald 75-jährigen Maler mag das gelten, doch scheint er Pioniere wie Kandinsky oder Malewitsch über das eigene Werk vergessen zu haben. Lüpertz sattelt allerdings noch drauf und stellt dem Titel der Schau eine weitere Provokation voran: „Nichts Neues“. Weshalb dann überhaupt ins Museum gehen? Wenn der Mann mit dem immensen, stets dem Figürlichen verpflichteten Werk einem gar nichts zeigen will, das man so noch nicht kennt?

Er tut es doch. Lüpertz, der alte Provokateur, spielt mit den Worten und ihrer Mehrdeutigkeit. „Nichts Neues“. Das richtet sich gegen die fatale Erwartung der immer nächsten Sensation: immer größer bis hin zum eingelegten Tigerhai, immer schöner oder immer abstrakter, wie von der Konzeptkunst seit 1913 bis zur totalen Verweigerung des Sichtbaren vorangetrieben. Im Bode-Museum mit seiner Skulpturensammlung von der Spätantike bis zum frühen Klassizismus begibt sich Lüpertz weit dahinter zurück. Er ist überzeugt davon, dass zeitgenössische Kunst nur in der Auseinandersetzung mit Bestehendem erwachsen kann.

In seinem Fall ist dies ein seltsamer Apoll. Eine Skulptur aus Eichenholz, die Ludwig Münstermann im frühen 17. Jahrhundert für ein Orgelprospekt geschnitzt hat. Auf der Schauseite der Orgel verkörperte die Figur die weltliche Musik. Vier Jahrhunderte später ist der dunklen Gestalt auf einem kleinen Wandpodest vieles abhanden gekommen: die Harfe, ein Teil des linken Arms, die farbige Fassung. Übrig bleibt eine schmale, knapp meterhohe Gottheit mit expressiv verschobenem Körper und extrem schmalem Kopf. „Nicht die Norm“, meint Markus Lüpertz mit Blick auf die Heroen aus Marmor, die sonst den Apoll verkörpern. Eben darum habe ihn das Werk so fasziniert, dass er für fast zwei Wochen in die Restaurierungswerkstatt des Museum gezogen ist. Um die hölzerne Gestalt so oft wie möglich zu betrachten, zu zeichnen und ihre Haltung, Geste, ihren Gesichtsausdruck zu durchdringen.

Das Ergebnis ist nun im Museum zu sehen. Rund um den Apoll stehen zwölf von insgesamt neunzig zum Thema entstandene Zeichnungen aus Kohle, Kreide, Gouache und Grafit. Auf abstrahierten Staffeleien, als seien sie selbst skulptural angelegt. Man kann sie umrunden, die Blickachsen verändern und Lüpertz’ Figurenfragmente immer wieder mit Münstermanns Apoll abgleichen. Ebenso wie mit den übrigen Skulpturen im Saal, die ein ganz anderes ästhetisches Programm verkörpern: das Glatte, Perfekte, Muskulöse.

Ludwig Münstermann hat Neues geschaffen. Sein Ausdruck rückt ab vom Ideal der Antike. Er verlässt den gestalterischen Kanon und verkleinert den Schutzgott der Künste in jeder Hinsicht – im Maß wie der menschlichen Mimik. Verstehen lässt sich dieser Bruch bloß in der Rückschau, die jenen Apoll aus Oldenburg in eine bildnerische Tradition stellt. Lüpertz stellt sich dazu, „etwas unverfroren“, wie er sagt, aber das ist reine Koketterie. Natürlich sieht sich der Bildhauer am Ende einer langen Reihe. Mit Ganymed, Uranus oder Hektor, seinen wiederkehrenden Themen der vergangenen Jahrzehnte, haben schon die griechischen Künstler gerungen. Gleichwohl lässt Lüpertz seine Götter nicht gegen stolze Adler kämpfen, sondern ein Huhn würgen und stutzt damit die Heroen der Vergangenheit auf heutiges Normalmaß.

Dass er sich wohlfühlt in diesem Museum, vergisst der Künstler nicht zu erwähnen: ein Haus, das ganz der Kunst gewidmet ist und ohne jede architektonische Allüre, sich selbst auszustellen. Wie herrlich muss das Künstlerdasein im späten 19. Jahrhundert gewesen sein, fern von der „Geisterbahn heutiger Kunst“, für die Lüpertz partout kein Ticket lösen will. Im Bode-Museum hätte er sich einreihen können mit seinen maßvollen Blättern, als bescheidener Interpret. Nur ist das nicht seine Sache: Stattdessen begibt sich Lüpertz in den uralten Wettstreit, misst sein Werk an dem der Kollegen und baut vor dem Haus wie auch zum Eingang der Basilika und in den Innenhöfen große Plastiken auf. Sie sind farbig bemalt und monumental wie ihre Ebenbilder in vorangegangenen Epochen. Man trifft auf „Hektor“ und „Achill“, den großen Kämpfer mit dem kleinen Schwachpunkt. Auf „Uranus“ und eine „Etrurierin“ von 2001. Die anderen Figuren hat Lüpertz in jüngerer Zeit geschaffen, meist aus Bronze, nur den verwundbaren Achill aus Gips. Wie Fremde stehen sie in den prächtigen Sälen zwischen den Schätzen der Sammlung – den mittelalterlichen Madonnen und Schöpfungen von Donatello oder Canova. Sie wirken wie Berge von Fleisch(lichem) auf der Suche nach ihren historischen Pendants.

„Auf dieses Risiko muss ich mich einlassen“, sagt der Künstler. Hintersinn ist die Bestätigung eines Spätwerks, auf das sich Lüpertz verlassen kann. Er habe sich in dieser Institution etablieren wollen, um den Vergleich anzutreten. „Nur im Vergleich ist Größe feststellbar“, schiebt er wenig später hinterher und gibt sich gewohnt selbstbewusst, aber voller Respekt für die Einfälle und wunderbare Formensprache seiner Vorgänger. Die Begegnung gelingt. Mit Lüpertz’ Versehrten zieht der Mensch in das Museum ein. Auf einmal müssen sich die Götter an der Sprache der Gegenwart messen. Für den Künstler ist sie der einzig relevante Bezug: „Hier passiert etwas, das nicht Vergangenheit oder Zukunft ist.“

So lässt sich am Ende auch die trotzige Behauptung im Titel lesen. Die Abstraktion hat noch gar nicht begonnen, weil Künstler wie Markus Lüpertz noch immer damit beschäftigt sind, dem Figürlichen die letzten Geheimnisse abzuringen. „Nichts Neues“ ist das allein für jene, die nicht genau hinschauen wollen – oder können. Man muss die ästhetische Sprache des Malers und Bildhauers nicht bis ins Detail nachvollziehen. Man kann sogar mit ihr hadern und sie als reaktionär empfinden. Doch in dieser Ausstellung lässt sich eine Menge von Lüpertz lernen.

Bode-Museum, Museumsinsel, bis 7. 2.; Di bis So 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr. Katalog (Verlag Walther König) 29,80 €.

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