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Der Pianist Maurizio Pollini.

© dpa

Maurizio Pollini in der Philharmonie: Einsam in trüben Tagen

Der Pianist Maurizio Pollini spielt Schumann und Chopin in der Philharmonie.

Donner, Blitz und Regenfluten, die gerade noch über der Philharmonie niedergingen, sind plötzlich verstummt, als Maurizio Pollini das Podium betritt. Gebeugt wie ein von unerwartet starkem Gegenwind ermüdeter Spaziergänger erreicht er den Flügel und lässt sich mit leisem Fatalismus auf die Klavierbank fallen. Der Saal ist gut gefüllt, wenn auch keine Podiumsplätze ausgegeben werden mussten. Pollini bedeutet immer noch etwas im musikalischen Gedächtnis dieser Stadt, die er seit 1970 regelmäßig als Solist aufsucht und in der er 1993 seinen Zyklus aller Beethoven-Sonaten stemmte.

Nun ist der 74-Jährige zurück mit einem Schumann-Chopin-Programm, in dessen Zentrum Schumanns Fantasie C-Dur op. 17 steht – so wie erst vor gut zwei Wochen beim umjubelten Auftritt von Grigory Sokolov an gleicher Stelle. Der Versuchung, beide Konzerte unmittelbar miteinander zu vergleichen, sei noch für eine kurze Zeit widerstanden. Denn Pollini stellt zunächst eine Erinnerung an Pierre Boulez in den Raum: Schönbergs sechs kleine Klavierstücke op. 19, komponiert 1911. Fünf zarte Minuten des Flirrens und Fließens.

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Danach aber wird es aschgrau. Als ob nicht gerade ein klärendes Gewitter dreingeschlagen hätte, wirkt Pollinis Spiel in eine fahle Mittellage gequetscht, ohne Farben, ohne jede erkennbare Lebendigkeit. Schumanns ungestümes Ausschreiten des (musik-)bürgerlichen Lebensrahmens wirkt da nicht einmal mehr depressiv. Sondern einfach nur vorbei.

Pollini schleppt sich ziellos dahin

Pollini fehlt es an diesem Abend nicht nur an Kraft zur Vergegenwärtigung, auch seine Kenntnisse des Notentexts decken sich immer wieder eher schemenhaft mit dem, was einmal in den Noten stand. Es scheint ihn nicht einmal zu stören. Und jetzt muss es doch heraus: Wie hat Sokolov aus jedem Ton der Schumann-Fantasie eine Welt geschaffen, die Farb- und Stilpalette ganz weit geöffnet, wie leuchteten seine Verzierungen, sangen seine Choräle! Wie war alles Spiel und voller Entdeckungen! Maurizio Pollini dagegen schleppt sich so ziellos dahin, dass das ihn liebende Publikum schon vor dem letzten Satz applaudiert. Allein, es hilft nichts.

Die zweite Konzerthälfte gehört wie bei Sokolov Chopin, dem Komponisten, der Pollini als 18-Jährigen 1960 ganz nach oben katapultiert hat. Wie ihm heute das Scherzo Nr. 1 h-Moll op 20. verunglückt, bis zur gänzlichen Auflösung aller musikalischen Bindekräfte, hat etwas Tragisches an sich. Kurze Rettung bieten die schlichtesten Stücke des Abends, die zwei Nocturnes op. 55, denen das matte Licht der Teilnahmslosigkeit am wenigsten schadet.

Ja, es gibt auch Zugaben, noch mehr Chopin. Leider spielt Pollini Schönbergs Klavierstücke nicht noch einmal. Denn in diesen fünf Minuten träumen die jahrzehntelangen Verdienste eines großen Interpreten. Hätte er noch den Mut vergangener Tage, Schönberg wäre einmal mehr erklungen in der Philharmonie, und der Rest wäre Schweigen.

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