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Michael Pitt und Brit Marling in "I Origins".

© dpa

Mike Cahills Thriller „I Origins“: Wie schöne Augen

Die Augen öffnen das Tor zur Seele: Mike Cahill geht in seinem philosophischen Thriller „I Origins“ dieser Theorie nach und schafft ein originelles Gedankenspiel.

Zuerst sieht er ihre Augen. Nur ihre Augen. Auf einer Plakatwand am Rande eines hässlichen Parkplatzes irgendwo in New York. Später schauen sie ihn real auf einem Kostümball an, durch eine Maske hindurch. Schließlich sieht er sie erneut in der U-Bahn – und zum ersten Mal auch die Frau, die zu diesen Augen gehört. Was für ein rasanter Start in eine Liebe!

Ian (Michael Pitt) kennt sich aus mit Augen, und zwar ganz unromantisch. Der junge Wissenschaftler studiert das Sehorgan und versucht gemeinsam mit seiner Kollegin Karen (Brit Marling) dessen evolutionäre Entwicklung lückenlos zu erforschen – vom Orientierungssinn augenloser Würmer bis hin bis zum hochkomplexen System des menschlichen Auges. Insofern ist der englische Titel „I Origins“ ganz im phonetischen Doppelsinn zu verstehen. Schließlich zeichnen uns, ähnlich wie der Fingerabdruck, Farbe und Struktur der Iris als einmalige Individuen aus.

Mike Cahill entwickelt einen aufregenden philosophischen Thriller

„Vielleicht sind die Augen“, so heißt es mehrmals in Mike Cahills Film, „tatsächlich das Tor zur Seele“. Cahill, der 2011 mit dem eigensinnigen Sci-Fi-Werk „Another Earth“ sein vielversprechendes Spielfilmdebüt vorlegte, begibt sich nun an die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Mystik. Denn die höchst romantische Liebesgeschichte zwischen Ian und Sofi (Astrid Bergès-Frisbey), deren Augen er auf der Plakatwand entdeckt hat, findet schon bald ein abruptes, tragisches Ende. Ein paar Jahre später, nachdem die Irisdiagnose längst zu einer globalen Identifikationstechnik ausgebaut ist, tauchen Sofis unverwechselbaren Augen im Gesicht eines indischen Mädchens wieder auf. Ian, der als Evolutionsforscher alle Schöpfungstheorien ein für alle Mal widerlegen wollte, scheint nun den wissenschaftlichen Beleg für die Reinkarnation gefunden zu haben – und geht auf Recherchereise.

Auf dem Papier mag sich das wie ein esoterisches Erbauungsstück lesen. Unter Cahills Regie aber entwickelt sich das Konstrukt überaus konkret zu einem aufregend unterhaltsamen philosophischen Thriller. „I Origins“ bringt rationales Wissenschaftsdenken und den Glauben an übernatürliche Kräfte gleichberechtigt zueinander in Reibung – ohne in jene nebulöse und letztlich unfreiwillig komische Spiritualität abzudriften, wie sie etwa M. Night Shyamalan in „Das Mädchen aus dem Wasser“ (2006) oder „Die Legende von Aang“ (2010) beschworen hat. Vielmehr vermittelt der Film eindringlich die Faszination für die wissenschaftliche Erforschung unseres Daseins und dessen, was möglicherweise darüber hinaus existiert.

"I Origins" ist originell

Und die Form? Cahill verhandelt sein Sujet in einer offenen Erzählstruktur, in der sich allerlei Genreelemente vom romantischen Melodrama bis zum Thriller wiederfinden. Daraus ist erneut ein Film entstanden, auf den man sich einlassen muss, der aber mit eleganter Verve Gedanken- und Assoziationsräume öffnet, die man im Kino viel zu selten betritt. „I Origins“ ist originell. Und schön. Wie schöne Augen.

Cinemaxx, Kulturbrauerei, Zoo Palast, UCI Eastgate; OV: Central, Cinestar SonyCenter, Rollberg, Sputnik; OmU: Eiszeit

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