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Mohamed Amjahid

© Görtz Schleser / Verlag

Mohamed Amjahids "Unter Weißen": Deutsch mit Bio-Siegel

Wie Rassismus und Privilegien einander bedingen: Mohamed Amjahid erzählt in seinem Buch „Unter Weißen“ von alltäglichen Erfahrungen der Diskriminierung in Deutschland.

Es ist noch nicht so lange her, da besuchte Mohamed Amjahid seine Schwester in einem kleinen hessischen Dorf, in dem diese mit ihrem in Deutschland geborenen Mann und dessen Eltern lebt. Ihre Schwiegermutter Ulrike zeigte Amjahid, was ein Fahrradweg ist und dass man auf diesem in keinem Fall „laaaufeen“ solle; ihr Schwiegervater Gerhard wiederum nahm ihn mit auf den Friedhof, erklärte, warum man Tote in Deutschland in Särgen beerdige, und sah keine Veranlassung bei der zufälligen Begegnung mit einer Freundin, diese direkt mit Amjahid bekannt zu machen: „Elvira und Gerhard unterhielten sich noch eine Weile über mich in der dritten Person – während ich unmittelbar daneben stand und wieder dazu überging, die Umgebung zu betrachten.“

Amjahid erzählt von Erfahrungen wie dieser in seinem gerade erschienenen Buch „Unter Weißen“, das den Untertitel trägt „Was es heißt, privilegiert zu sein“. Wobei das Zusammenspiel von Titel und Untertitel auf Abwege führen könnte. Amjahid geht es nicht um eigene Privilegien, derer er sich durchaus bewusst ist, „gegenüber Geflüchteten zum Beispiel“. Sondern um jene der Mehrheitsbevölkerung in der Bundesrepublik, von 65 Millionen Menschen hierzulande, die keinen Migrationshintergrund haben und von Amjahid mal als „die Weißen“, mehr aber noch mit dem unschönen, wie er findet, jedoch „nützlichen“ Begriff „Biodeutsche“ bezeichnet werden.

Im Zentrum des Buches steht der Alltagsrassismus

Amjahid gehört zu den knapp über 16 Millionen Menschen, deren Wurzeln nicht in Deutschland liegen. Seine Eltern stammen aus Marokko, kamen in den sechziger Jahren als Gastarbeiter in die Bundesrepublik, wo Mohamed 1988 in Frankfurt am Main geboren wurde, und gingen Mitte der neunziger Jahre mit ihm und seinen zwei älteren Schwestern zurück in die Heimat. Amjahid machte in Marokko Abitur und bemühte sich danach erfolgreich um einen Studienplatz in Tübingen. Nach einem Volontariat beim Tagesspiegel arbeitet er inzwischen als politischer, unter anderem für das Themenfeld Flucht und Migration zuständiger Reporter beim „Zeit“-Magazin. Als solcher, so schreibt er zu Beginn, bewege er sich in anderen Gesellschaftskreisen als seine Eltern damals, „aber viele Diskriminierungen, denen sie damals ausgesetzt waren, erlebe ich auch heute noch in Deutschland auf ähnliche Weise“.

Im Zentrum des Buches steht der Alltagsrassismus, jene Diskriminierungen, die mal offener, mal subtilerer Natur sind. Amjahid geht es weniger um den Rassismus von Nazis und Rechtspopulisten, sondern um den aus der vermeintlich liberalen Mitte der Gesellschaft. Dies sei ein oft unbewusster, verdrängter, sich mitunter, so Amjahids These, den Privilegien als Weiße verdankender Rassismus: „Die meisten Biodeutschen setzen sich mit der eigenen Position und den damit verbundenen Privilegien kaum je auseinander und zementieren so den Status Quo.“

Amjahid wurde als "Hipster-Salafist" oder "der neue Araber" betitelt

Diese Gesellschaftsmitte hat Amjahid im Visier, sie anzusprechen und aufzurütteln ist sein Anliegen. Wobei vieles von dem, was er darlegt, autobiografisch beglaubigt ist. Das beginnt mit seinem Kampf mit der deutschen Bürokratie, der sein grüner marokkanischer Pass schon mal gar nicht genügt; das geht weiter mit Ressentiments, denen er während seiner Ausbildung zum Journalisten ausgesetzt war, als er über die Jahre in verschiedenen Zeitungsredaktionen wahlweise mit „Hallo Ahmadinedschad“, als „Hipster-Salafist“ oder „neuer Araber“ bezeichnet worden ist. Und das hört vermutlich nicht auf, wenn seine Mutter weiterhin auf eine Schwiegertochter mit blauen Augen, blonden Haaren und mindestens weißer Haut hofft, auf dass diese ihr ein „süßes, weißes Enkelkind“ schenken möge.

Es zeichnet Amjahids nüchtern geschriebenen, auf einen anklagenden Ton verzichtenden, mitunter sehr offenen Bericht aus, dass er es nicht nur beim Autobiografischen belässt. Stets versucht Amjahid, kulturellen Diskriminierungserfahrungen analytisch auf den Grund zu kommen. „Unter Weißen“ liest sich stellenweise wie ein Parforceritt durch bekannte Debattenarenen. Es behandelt den Umgang mit Geflüchteten: Amjahid war beispielsweise 2015 in Ungarn oder wohnte den Willkommensarien auf dem Münchener Hauptbahnhof bei. Es untersucht den Rechtsruck in Europa oder auch die rassistischen Strömungen innerhalb der homosexuellen Community. Und nicht zuletzt den sich in der Sprache zeigenden Rassismus, vom N-Wort bis zu der Bezeichnung „Ziegenficker“, auch mit der Betonung darauf, wie langsam sich das Bewusstsein für die damit verbundene Problematik ändere.  „Der Widerstand gegen eine Dekolonisierung unserer Sprache und damit unseres gemeinsamen Alltags ist jedenfalls groß“.

Minderheiten im Wettbewerb um die Anerkennung der Mehrheit

Mohamed Amjahid wiederum verwendet seinerseits Begriffe aus dem angloamerikanischen Diskurs, um damit zu dokumentieren, wie schwer es ist, sich im Deutschen in einem angemessenen Vokabular mit Rassismus und Diskriminierungen auseinanderzusetzen: „people of colour“ zum Beispiel, „othering“ (wenn Minderheiten durch bestimmte Zuschreibungen eben zu den „Anderen“ gemacht werden) oder „tokenism“ (wenn beispielsweise jemand wie er zu einem Vorzeigemigranten auserkoren wird, als eine Art Feigenblatt gewissermaßen).

Oft hat man bei der Lektüre das Gefühl, dass Mohamed Amjahid eigentlich offene Türen einrennt, es mitunter Selbstverständlichkeiten sind, die er ausspricht. Wenn er zum Beispiel sagt, dass es die „Nafris“, also die Nordafrikaner, nicht gibt, den Türken, die Schwarzen und so weiter. Dann jedoch legt er wieder ganz einleuchtend dar, wie sich die Auseinandersetzungen zwischen Minderheiten, beispielsweise zwischen Türken und Arabern, zwischen Arabern und Roma, in dem „Wettbewerb um die Anerkennung der Mehrheit“ begründen; und dass dieser Wettbewerb das „rassistische Grundrauschen“ nur verstärke, „das Minderheiten sowieso durch ihr Leben und ihren Alltag begleitet“.

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Weiße

Andererseits blendet er aus, dass Auseinandersetzungen zwischen den oben erwähnten Bevölkerungsgruppen auch historisch bedingt sein können, dass sie womöglich schon in den Herkunftsländern geführt wurden und nicht allein im Hinblick darauf, sich bei der Mehrheitsgesellschaft lieb Kind zu machen. Wenn zwei sich streiten, freut sich der Weiße, verkürzt Amjahid. Ob der sich nur freut? Oder sich vielleicht sogar sorgt?

Auch beantwortet Amjahid nicht die sich unweigerlich stellende Frage, was die weiße Mehrheitsbevölkerung, zumal die privilegierte, in der Mitte der Gesellschaft lebende, noch tun kann, außer ein geschärftes Bewusstsein für jedwede Form von Diskriminierungen zu entwickeln. „Ihre (selbst)kritische Sicht auf die Wirklichkeit und die eigenen Privilegien wird heute jedenfalls dringender gebraucht denn je“, appelliert Amjihad abschließend an seine Leser und Leserinnen. Ob das allein hilft gegen vielerlei Ressentiments, für mehr Gleichberechtigung und Toleranz? Aber vielleicht muss man es wirklich als Erfolg verbuchen, wenn eine Frau wie Ulrike eines Tages nicht mehr meint, Menschen mit offensichtlich migrantischem Hintergrund erklären zu müssen, was ein Fahrradweg ist. Oder jemand wie Gerhard sie von Angesicht zu Angesicht wahrnimmt und nicht über ihren Kopf hinweg jemand anderem vorstellt. Es ist eigentlich: das Mindeste.

Mohamed Amjahid: Unter Weißen. Was es heißt, privilegiert zu sein. Hanser Berlin, Berlin 2017. 188 Seiten, 16 €.

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