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Wüstenbesucher. Yazan Khalilis Dia-Serie „The Aliens“ ist in der begleitenden Ausstellung in der Werkstatt des Theaters zu sehen.

© Y. Khalili

Palästina-Festival „After The Last Sky“: Gaza ist überall

Das Palästina-Festival „After The Last Sky“ am Ballhaus Naunynstraße bietet einen einzigartigen Überblick über das palästinensische Kunstschaffen der Gegenwart.

„Stone her“, steht auf der Tomate. Steinige sie! Jeder Zuschauer bekommt so ein Wurfgeschoss am Eingang ausgehändigt. Auf der Bühne ist die Performerin Maiada Aboud angekettet, einen roten Eimer über den Kopf gestülpt. In dieser Abu-Ghuraib-Pose verharrt sie stumm eine Stunde lang. Die Aufforderung ist klar. Tomaten sollen auf sie niederregnen, dafür stellt sie ihren Körper zur Verfügung. Allerdings mag das Berliner Theaterpublikum ja für vieles bekannt sein, aber sicher nicht für seine Gewaltbereitschaft. Also kullern an diesem Abend die Tomaten nur zaghaft in Richtung der Performerin. Keiner ist bereit, den ersten Stein zu werfen.

Einen brauche es, der den Anfang mache, dann folgten die anderen, erzählt die in London lebende Palästinenserin Maiada Aboud später über ihre Erlebnisse bei der Performance „Stigmata II“. Sie thematisiert darin weibliche Erfahrungen von patriarchaler Unterdrückung und Gewalt. Nicht schlimm, sagt die Künstlerin, dass keiner geworfen habe. Es genüge schon, dass sich alle mit der Möglichkeit auseinandersetzen, von der Tomate Gebrauch zu machen. Aber klar, Aboud ist Härteres gewohnt. In ihren Performances hat sie schon bis zum Erbrechen Äpfel verschlungen. Oder ihren Körper mit einer Metallbürste blutig geschrubbt.

Der Gaza-Konflikt prägt die Narrationen

„Stigmata II“ ist Teil des Festivals „After The Last Sky“, das am Ballhaus Naunynstraße vier Wochen lang einen in diesem Umfang einmaligen Überblick über das palästinensische Kunstschaffen der Gegenwart bietet, mit Protagonisten aus den besetzten Gebieten und der Diaspora. Der Titel ist einem Gedicht von Mahmoud Darwish entlehnt: „Where will we go after the last frontier? Where will the birds fly after the last sky?“ Natürlich sind die Narrationen, ganz gleich in welchem Genre, von „der Situation“ geprägt, wie der scheinbar endlose Konflikt zwischen Israel und Palästina auch genannt wird. Aber eben nicht nur. Mit dem Festival zielen die Kuratorinnen Anna-Esther Younes, Pary El-Qalqili und Nadia J. Kabalan auf tieferliegende Fragen von Ausschluss, Identität und Sichtbarkeit palästinensischer Künstler im internationalen Kunstbetrieb.

Schon logistisch haben die Festivalmacher eine große Leistung vollbracht. Gäste aus der Westbank oder aus Gaza einzuladen, erfordert Stahlnerven im Umgang mit der Bürokratie. Davon handelt auch die Videoarbeit „Homecoming Queenz“ von Elias Wakeem. Zusammen mit einer befreundeten Dragqueen hat er eine Ankunft am Flughafen von Tel Aviv mit dem Handy gefilmt – vor allem die absurde Verhörsituation, in die sie selbstredend gerät. Man hört aus dem Off detailreiche Erkundigungen nach ihrer Familie. Und die schon paranoia-taugliche Frage: „Stimmt es, dass Sie einen Hund hatten, der sich aus dem Fenster gestürzt hat?“

Jede Rückkehr ist Fiktion

Ebenfalls surreal mutet die suggestive Dia-Arbeit „The Aliens“ von Yazan Khalili an. Man sieht Standbilder einer Reise durch die Wüste, die auch zu einem längst verfallenen Vergnügungspark mit abgestürzten Gondeln und einem rostigen Flugzeugrumpf führt. Khalilis Protagonisten imaginieren sich als Astronauten, die durch eine seltsam entrückte Mondlandschaft ziehen. „Jede Rückkehr ist Fiktion“, steht auf einem Bild, „und in der Fiktion kehren wir zurück.“

„The Aliens“ ist Teil der Ausstellung „Questioning the Chroma-Key Principle“, die Nadia J. Kabalan kuratiert hat. In der Werkstatt des Kreuzberger Theaters zeigt die Schau mit wenigen gut ausgesuchten Arbeiten eine große Bandbreite palästinensischer Themen. Mohamed Badarne hat für sein Fotoprojekt „Die Berliner U- Bahn – Ein Mikrokosmos von Menschen im Exil“ Geschichten von Palästinensern gesammelt, die sich gewöhnlich als Unsichtbare durch die Stadt bewegen.

Leid und Theorie-Luxus

Bis Oktober stehen noch etliche vielversprechende Performances, Panels, Lesungen, Filme und Konzerte auf dem Festivalprogramm. Raafat Hattab etwa tritt in der symbolgeladenen Soloarbeit „The Wild Swans“ als „Braut von Palästina“ auf (21.9.), was auch eine Bezeichnung für die Hafenstadt Jaffa ist. Miraz Bezar inszeniert die szenische Lesung des Romans „Tennis in Nablus“ von Ismail Khalid (24.9.), der eine Familiengeschichte aus dem Jahr 1939 erzählt.

Was beim Festival auch zutage tritt, ist der Unterschied zwischen einer Kunst, die unter dem unmittelbaren Eindruck von Leid steht, und der anderen, die sich – ganz wertfrei – den Luxus von Theorie und Abstraktion erlauben kann. Auch solche Kontraste öffnen Räume. An einem Abend diskutieren unter anderem Maiada Aboud und Leyya Mona Tawil, Schöpferin des brachialen Tanzstücks „Destroy“, auf dem Panel „Exorcism“ darüber, wie sich Kolonisation in die Körper einschreibt.

Am anderen Abend tritt der Pianist Aeham Ahmad auf, in Syrien geborener Palästinenser, der schon in den Trümmern des Flüchtlingslagers Yarmouk gespielt hat. Ein gehetzt wirkender junger Mann, der mit Rucksack auf die Bühne kommt, bei seinen kurzen Schilderungen der Schrecknisse in Syrien wiederholt mit den Tränen kämpft und der sein Klavier so durchdringend klingen lässt, als würde Glas zertrümmert. Mittlerweile lebt Ahmad in Deutschland, und vor allem ein Wort unserer Sprache kennt er gut: „Staatenlos“.

Ballhaus Naunynstraße, bis 9. Oktober

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