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Peter Weiß, 1982, als ihm der Bremer Literaturpreis verliehen wurde

© Dietbert Keßler/Wikipedia

Peter Weiss: Abwehr des Heroischen

Von der Ästhetik des Wiederlesens und Wiederentdeckens: Ein Berliner Symposium zum Werk des Malers und Schriftstellers Peter Weiss.

Er schrieb wie gemalt und malte szenisch. Doch die 400 Gemälde und Grafiken, die Peter Weiss hinterlassen hat, sind wahrscheinlich verloren. Sie wurden 2008 aus dem Magazin eines Stockholmer Auktionshauses gestohlen, bisher ist kein Stück wieder aufgetaucht. Das ist umso tragischer, da Weiss das Konvolut mühevoll von Station zu Station bis ins schwedische Exil gerettet hatte.

Dass das Publikum am Montagabend im Berliner Brecht-Haus dennoch in den Genuss kam, einen Großteil dieser Bilder zu sehen, ist Mikael Sylwan, dem Sohn von Gunilla Palmstierna-Weiss, zu verdanken. Er hat das bildnerische Vermächtnis nach alten Fotografien reproduziert und in einem Film (der erst im November offiziell zu sehen sein wird) wieder zugänglich gemacht. Es war eine Weltpremiere, die in Erinnerung ruft, dass der Schriftsteller Peter Weiss Maler hatte werden wollen. Schneller vielleicht als das literarische Werk stößt man in dem Film auf die Zerrissenheit und Abgründe dieses Ausnahmekünstlers, auf ein Gefühl der Nichtzugehörigkeit und der Verlorenheit, das sich nicht nur in den bekannten Selbstporträts zeigt. Von Bosch und Breughel, aber auch von neusachlichen und surrealistischen Stilelementen beeinflusst, zeugen viele seiner Phantasmagorien des Schreckens von einer noch verstörenderen inneren und äußeren Entfremdung und Selbstzerfleischung als in seiner Prosa.

Weiss war ein "privilegierter Außenseiter", sagt seine Witwe

Diesen „anderen“ Weiss, den Maler, Filmemacher und Journalisten, näherzubringen, war eine erklärte Absicht der von Jörg Sundermeier und Ingar Solty kuratierten Peter-Weiss-Woche, die den Berliner Weiss-Reigen anlässlich von dessen 100. Geburtstag im November eröffnete.

In seinem 1956 entstandenen, auf Schwedisch geschriebenen und erst 2000 publizierten Roman „Die Situation“, eine Art ästhetisch-diskursive Selbstbefragung, umreißt Peter Weiss die damalige Lage von Intellektuellen im restaurativen Schweden der fünfziger Jahre: „Für uns ist das Erwachen kein klarer Schritt von der Nacht zum Tag, wir erwachen langsam, oft qualvoll“, schreibt er, und: „Wir können uns kein anderes Dasein vorstellen als dieses selbstgewählte in einer verlassenen Gegend."

Als „privilegierter Außenseiter“ (Palmstierna-Weiss) wollte er Anschluss finden an die Künstlerkreise, hungrig auf Anerkennung. Doch mit der Malerkarriere will es nichts werden, Weiss beginnt wieder zu schreiben, bis 1960 auf Schwedisch, und experimentelle Filme zu machen. Doch auch damit gelingt ihm nur bedingt der Durchbruch: Auf dem Filmhaus, das seine Filme zeigte, solle die Pestfahne wehen, dekretiert ein Kritiker. Weiss revanchiert sich mit bösen journalistischen Repliken wider den cineastischen Mainstream und die schwedische Filmzensur im Dienste der „Aufrüstungspropaganda“. Die journalistische Arbeit, so der Weiss-Spezialist Gustav Landgren, erlaubte Weiss, seinen literarisch so prägenden Aufzählungsgestus zu erproben.

Mit den Beatles wollte er dann doch nicht zusammenarbeiten

Gunilla Palmstierna-Weiss, die hintergründig-kluge, 88-jährige Witwe des 1982 gestorbenen Autors – „ich sitze aber nicht als Berufswitwe hier!“ –, hob den „schwedischen“ Peter Weiss auf die Bühne. Er sprach, erinnert sie sich, ein perfektes, an Lappland erinnerndes Schwedisch und tat sich schwer damit, dass Frauen von Männern erwarteten, bei der Hausarbeit zu helfen. Die wiederholte Zurückweisung seiner Stücke in Schweden traf ihn tief; umso gewichtiger wirkte der plötzliche, unerwartete Erfolg in der Bundesrepublik und die spektakuläre Inszenierung des Marat-Stücks.

Auf den Vorschlag der Beatles zu einer Zusammenarbeit ging Peter Weiss allerdings nicht ein. Das hätte das Spannungsfeld seiner Arbeit wohl völlig zerrissen, ein Spannungsfeld, in dem sich „das kurze 20. Jahrhundert“ verdichtete. „Ein Nichts. Namenlos. Ein Seismograph“, heißt es 1960 programmatisch in „Der Schatten des Körpers des Kutschers“. Noch ist Peter Weiss ein träumender Nichterweckter.

Die Entwicklung zum politischen Autor nachzuzeichnen, die Kontinuitäten und Brüche, unternahm ein von dem Potsdamer Germanisten Helmut Peitsch moderiertes Podium, das schon qua Generation die disparaten Zugänge zu Weiss ahnen ließ und wie ein historischer Abdruck der Weiss-Rezeption wirkte. Als Teilnehmer der berühmten Vietnam-Konferenz 1968 in Berlin übernahm Jürgen Schutte den Part des Zeitzeugen; Jens-Fietje Dwars trat als enttäuschter Sozialist (Ost) auf, der in der 1988 handschriftlich kopierten „Ästhetik des Widerstands“ (Ausgabe West) einen Notausgang erblickte. Die nachgeborene Komparatistin Jenny Willner wiederum verleibte sich „ihren Weiss akademisch ein, indem sie als zufällig schwedisch sprechende Hilfskraft dessen Tagebücher abschrieb. Fehlte nur ein Vertreter des zerfallenden „roten Jahrzehnts“, der in dem 1100-Seiter Antworten auf die Frage nach dem eigenen Scheitern gesucht hatte.

Weiss ist aktueller denn je

Insofern war es nicht überraschend, dass einige Einschätzungen der Diskutanten weit auseinandergingen. Die Bedeutung der „Ästhetik des Widerstands“ im Werk von Peter Weiss wollte Dwars gar nicht hoch genug verorten, sie sei die „summa“ seines Lebens gewesen und sein „Fatum“, dieses Buch zu schreiben, was Schutte zurückwies. Dass der Erfolg in der Bundesrepublik ein wichtiger Wendepunkt war, lag für alle auf der Hand. Doch die politische Außenwendung des Autors Weiss wurde zwischen notwendiger Wirklichkeitsnähe und „Sackgasse des Dokumentarischen“ (Dwars) justiert. Uneinigkeit gab es auch darüber, ob das Trotzki-Stück nur als „naive“ Provokation der DDR-Bürokratie zu verstehen sei oder Weiss, indem er die Sprache selbst zum Subjekt erhob und ihr etwas „Clowneskes“ anhaftete, wie Willner dagegenhielt, viel „schlauer“ gewesen sei, als gemeinhin unterstellt wird.

Wäre man, wie angekündigt, dem psychoanalytischen Strang im Werk von Peter Weiss, seiner Fokussierung auf den Körper, seiner Abwehr alles Heroischen nachgegangen, hätte man auch noch eine Spur gefunden, die zur Aktualität dieses Autors führt.

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