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© Doris Spiekermann-Klaas

Interview mit Tobias Rapp: Die neuen Tempel des Techno

Techno, das war einmal, heißt es. Aber falsch: Autor Tobias Rapp hat ein Buch über den neuen Berliner Underground, Easyjetset und Rave-Touristen geschrieben. Die Szene war noch nie so lebhaft wie heute, sagt er. Ein Gespräch.

Die Loveparade findet seit 2007 im Ruhrgebiet statt. Clubs wie Tresor, E-Werk, WMF, Ostgut oder Matrix gibt es nicht mehr oder mussten zeitweilig aufgeben. Ist Techno verschwunden?

Als mir klar wurde, wie viele Menschen derselben Meinung sind wie Sie, habe ich begonnen, mein Buch zu schreiben. Techno wird heute mit einer Phase identifiziert, in der die Musik binnen weniger Jahre von Null auf Hundert explodierte. Anfang der Neunziger beschränkte sie sich auf einen kleinen Zirkel - 130 Leutchen tanzten zur ersten Loveparade 1989 über den Ku’damm. Und sie wurde sehr groß Ende der Neunziger, bevor alles zusammenkrachte. Heute hat sich Techno in den Untergrund zurückgezogen, dort erneuert er sich. Die Musik hört sich zwar ähnlich an. Aber kommerziell hat sie sich emanzipiert und auf unabhängige Geschäftsmodelle verlagert. Die Clubs werden professioneller betrieben und die Technik ist besser. Es gibt einen riesigen Zustrom von DJs, Produzenten und Ravern aus aller Welt, die die Vormacht deutscher Akteure gebrochen haben. Billigflieger spülen jedes Wochenende einen Easyjetset in die Stadt. Die Szene ist aus der Mitte Berlins ausgezogen. Nun ist die Partymeile ein Areal zu beiden Ufern der Spree. Niemand käme heute auf die Idee, die „ravende Gesellschaft“ auszurufen. Der Wille zur Mehrheitsfähigkeit ist auch in der Musik selbst verschwunden. Hier wird ein neues Berlin erfunden...

... in dem es immer schon billig war zu wohnen. Nun ist es auch noch billig geworden, hierher zu kommen?

In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Hostel-Betten von 400 auf 18.000 gestiegen. Es ist billiger, in Berlin zu übernachten als in Prag oder Budapest. Das zieht Easyjetraver an. Der nationale Bezugsrahmen löst sich auf für Leute, die Techno hören. Irgendwann kommen sie automatisch nach Berlin. Denn hier passiert’s. Und jetzt kann man es sich auch leisten.

Wie groß ist die Raver-Szene?

Ich schätze etwa 10.000 Leute.

Wie setzt sie sich zusammen?

Ohne gemeinsamen Nenner. Es gibt die Frau aus Stockholm, die gerade zwischen zwei Jobs ist und für zwei Monate nach Berlin kommt und in der Wohnung von Freunden lebt, die sie sich hier gekauft haben. Es gibt den schwulen Programmierer aus Mailand, der seit Jahren für eine Woche anreist. Es gibt den Engländer Anfang zwanzig, wahnsinnig musikinteressiert, der wesentlich mehr über die Szene weiß als jeder Berliner und illegale Clubs aus dem Internet kennt. Daneben interessieren sich auch Leute für das Nachtleben, für die der „Berlin Chic“ vor allem als modisches Statement reizvoll ist. Die fliegen hierher, um zu studieren, wie sich die Leute kleiden.

Wie konnte ausgerechnet eine Berliner Subkultur einen solchen Sog entwickeln?

Historischer Unfall. Da sich alle hochfliegenden Hauptstadtpläne zerschlagen haben, sind die Restriktionen gegenüber anderen Lebensentwürfen und dem hedonistischem Wahnsinn nicht groß.

Sie beschreiben das Berghain als „Tempel des Techno“. Was macht einen Club so besonders?

Eine Sache, die der Clubmusik heute generell in die Hände spielt, ist das Bedürfnis vieler Leute, Musik mit dem Sozialen zusammen zu rezepieren. Ein Club funktioniert ja nicht wie ein Konzert, zu dem man geht, es sich anschaut, ein paar Zugaben erklatscht und wieder verlässt, sondern man ist als Clubgänger Teil des Ganzen. Besonders an Berliner Clubs ist, dass sie soziale Subjekte sind, in die man sich einklinken kann und die sich dann selber feiern. Das zieht Leute aus aller Welt an. Das Berghain ist dafür das perfekte Beispiel: Es ist schwer hinein zu gelangen. Aber drinnen gibt es keine Stars. Man befindet sich auf demselben Level wie alle anderen.

Gleichmacherei als Befreiung?

Ja. In anderen Städten gibt es eine viel stärker glamourös gefärbte Clubkultur. Dort geht es um die Feier von Schönheit, Jugend und Reichtum. Das gibt es hier nicht, wo alles gesichtloser und anonymer zugeht und eine Resistenz gegenüber dem Sonderstatus auch sonst gesellschaftlich bevorteilter Gruppen existiert. Versuche, mehr Glamour und Prominenz durchzusetzen, sind meist gescheitert.

Klassischer Techno hat an die Gleichförmigkeit seines Bumm-bumm-bumm-Beats Erlösungsmomente gekoppelt. In keiner anderen Musik wurde das Moment der Verzögerung, der Aufschiebung so exzessiv als Stilmittel eingesetzt. Das war die bestimmende Musik der Neunziger Jahre. Wie kann etwas, das so lange schon nach demselben Muster funktioniert, immer noch befreiend wirken?

Die Beschränkung der musikalischen Mittel ist eine Tugend ist. Ein Techno-Track ist wie ein japanisches Haiku: ganz einfach und sehr schwierig. Man muss sich in die Schleifen des Immergleichen fallen lassen. Das ist in den letzten Jahren eher noch radikaler geworden als zur Hoch-Zeit des Technobooms. Damals war die elektronische Musik viel muskulöser. Der paradigmatische Berliner Sound, der sich aktuell im Minimal-Techno verwirklicht hat, basiert eher auf einem Skelett von Musik. Es wird viel stärker auf Dauer gesetzt. Es geht darum, sich Zeit zu nehmen, um über eine lange Strecke hinweg diesen meditativen Sog zu entwickeln. Es macht keinen Sinn, da nur mal eben reinhören zu wollen. Die Wiederholung macht einen fertig und glücklich.

Schafft die Reduktion der Mittel jene Freiräume, die das Hören zum geistigen Abenteuer macht?

Wichtiger als die Kopferfahrung ist die körperliche Dimension einer Musik, die sehr laut ist, aber nicht weh tut. Denn laut ist vor allem der Bass. Der schüttelt einen durch. In einerm Laden wie der Bar 25 ist Musik mehr ein Puls, der immer da ist. Trotzdem gehen einem tausend Dinge durch den Kopf.

Ist es nicht niederschmetternd, etwas so Einfaches wie Techno so schwer zu bekommen?

Ja, diese Subkultur hat ihre merkwürdigen Momente. Und sie hängen oft mit einem Türsteher zusammen, der die große Kunst des subtilen Terrors beherrscht. Vor allem in der Komplizenschaft, die man selbst zum Türsteher eingeht. Denn man will ja hinein, aber eben auch nicht mit jedem feiern. Weshalb man niemandem, der vom Türsteher abgewiesen wird, eine Träne nachweint. Am Schlangestehen ist deshalb auch nicht wichtig, ob man eingelassen wird oder nicht. Sondern, dass man auf den Eintritt in die wummernde Welt eines Clubs vorbereitet wird. Wenn es selbstverständlich würde, sie zu betreten, wäre es langweilig. Die Schlange erhöht die Erwartung. Sie verstärkt von Außen den Druck im Inneren. Der Club heißt ja längst nicht mehr Club, weil nur Mitglieder zugelassen würden. Es ist aber ein geschlossener Raum, der sich gegen die Außenwelt abdichtet, ein Schutzraum. Sonst könnte sich das Tänzerkollektiv nicht gehen lassen. Im Berghain darf deshalb nicht fotografiert werden. Telefonhandys müssen an der Garderobe abgegeben werden. Der Club will kein Bild von sich in der Außenwelt wieder finden. Seine Welt existiert in einem ewigen Frühmorgen. Hier steht das ungefilterte, nicht aufgezeichnete Erlebnis im Mittelpunkt. Bei Popkonzerten zückt jeder seine digitale Minikamera. Ein Kaleidoskop verwackelter Bilder mäandert am nächsten Tag durchs Internet. Die Technokultur geht in die entgegengesetzte Richtung. Sie wird analog und unsichtbar. Obwohl sie ihrerseits stark vernetzt ist.

Den Status als „Feier-Hauptstadt der westlichen Welt“, wie Sie schreiben, verdankt Berlin einer Musik, die sich nicht nur nicht verändert, sondern auch nicht verändern darf. Sie zitieren einen Clubbetreiber mit den Worten: Seit wir nur noch Techno spielen und auf Abwechslung verzichten, brummt der Laden. Das soll ein Erfolg sein?

Berlin wird mit Techno identifiziert, so dass Leute, die anreisen, hier auch vorfinden wollen, was ihnen das Klischee glauben macht. Andererseits wird heute sehr viel kreative Kraft auf die ästhetische Binnendifferenzierung verwendet. Zwischen den DJs findet eine rege Kommunikation statt, aber sie handelt nicht von den großen, sondern von den kleinen Unterscheiden. Es gibt Leute, die waren noch nie in Berlin. Trotzdem verfolgen sie genau, welche Stücke ein Resident-DJ im Berghain aus seiner Playlist streicht und neu aufnimmt. Sie tauschen sich darüber in Internetforen aus.

Außenstehenden fehlt das Vokabular für solche Unterschiede. Sie wenden in Ihrem Buch einen Trick an, um die Kleinteiligkeit überschaubarer zu machen.

Die Party ist zwar immer dieselbe, aber sie wird durch den Wochentag definiert, an dem sie stattfindet. Es macht einen Unterschied, ob man mittwochs feiert, während die meisten Leute zur Arbeit gehen und der Schritt in die Parallelwelt des Nachtlebens noch radikaler und dekadenter ausfällt. Oder ob man sonnabends ausgeht, wenn jeder ausgeht und man selbst eben nur anders ausgeht. Es gab eine Schwerpunktverschiebung der Party zur Afterhour-Party. Sind die verlangsamten, herunter gedimmten Beats des Chill-Out der angemessene Soundtrack für eine Stadt, die ihren Höhepunkt hinter sich hat.

Ein sehr feuilletonistischer Gedanke. Diese Musik ist gemacht für Leute, die nach einer durchtanzten Nacht zerstört und dezentriert in der Gegend herumstehen. Wollen nicht mehr den Terror der Bassdrum erleben, sondern psychedelische Sounds hören, die Platz geben zum Fantasieren.

Die Club-Szene hat nichts Widerständiges. Die Party geht zwar endlos weiter, aber sie will nicht mehr Teil des Alltags sein, was die Loveparade-Generation noch bezweckte. Bei Punkrock ist auch nicht klar, worin das viel beschworene Rebellentum bestehen soll. Obwohl die Party-Szene unpolitisch ist, hat die Debatte um MediaSpree gezeigt, wie schnell sich Widerstand gegen eine Politik mobilisieren kann, die den Ravern ihre Tanzflächen wegnehmen will. Sie sind dabei pragmatisch vorgegangen, ohne gleich „das System“ anzugreifen und abzulehnen.

Durch die Mobilität der Rave-Szene ist etwas entstanden, was es in Berlin als Begriff schon länger gibt – eine „Hedonistische Internationale“. Für einen kurzen Moment bestimmt die sogar Stadtpolitik. Passen Partypower und Volksbegehren zusammen?

Normalerweise läuft Pop und Politik immer schief. Diesmal nicht. Wobei die politischen Ansichten der Beteiligten im Einzelnen so weit auseinander liegen, dass da gar nichts zusammen geht. Aber die konkrete politische Situation hat ein Bündnis erzeugt, dessen interessanteste Lehre ist, dass Radikalität und Pragmatismus sich in der Abwehr einer greifbaren Bedrohung nicht ausschließen müssen.

Sie zitieren einen DJ so: „Jeder, der herzieht, hat irgendwelche Mechanismen in seinem Leben, die verhindern, dass man sich zu sehr zu hause fühlt. Dieses Leben kann sehr schnell vorbei sein.“ Wie konnten sich solche kreativen Globetrotter, die bewusst keinerlei Wurzeln schlagen, um eine Graswurzelbewegung scharen wie „Media-Spree versenken“?

Ja, verrückt. Aber Clubs sind sehr stark definierte Orte, Gegenpole zur Ortlosigkeit des Vagabunden. Der wachsende Erfolg der Clubs verdankt sich dieser Live-Qualität, die an einen bestimmten Raum gekoppelt ist.

Durch Ihr Buch sind diese Orte kein Geheimnis mehr.

Über den Schaden brauche ich mir keine Sorgen zu machen. Es wird immer Türsteher geben, die entscheiden, wer in einen Club darf und wer nicht. Sollten nun zehn Leute mehr draußen warten, heißt das nicht, dass zehn Leute mehr hinein gelangen.

Das Gespräch führte Kai Müller.

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